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EU hofft auf Hilfe aus der Türkei

Barbara Wesel, Brüssel16. Oktober 2015

Die EU und die Türkei haben sich auf einen Aktionsplan zur Bewältigung der Flüchtlingskrise geeinigt. Doch noch sind viele Fragen ungeklärt. Im türkisch-bulgarischen Grenzgebiet wurde ein Flüchtling erschossen.

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Gruppenfoto vom EU-Gipfel in Brüssel (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Jocard

Die meisten der in Brüssel zusammengekommenen Regierungschefs gaben bereits ihre Abschluss-Pressekonferenzen, als eine Nachricht aus Bulgarien die Runde machte: An der Grenze zur Türkei sei ein Flüchtling bei Handgreiflichkeiten mit einer Gruppe bulgarischer Grenzschützer erschossen worden. Ein Grenzpolizist hatte nach eigener Darstellung einen Warnschuss in die Luft abgegeben, der aber den Flüchtling tödlich getroffen habe. Nach Erkenntnissen aus Sofia stammte der Mann aus Afghanistan.

Bulgariens Ministerpräsident hatte deswegen den EU-Gipfel vorzeitig verlassen. Es war zu spät, diesen tragischen Vorfall und seine Konsequenzen bei diesem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union noch zu diskutieren.

EU- Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte bereits einen vollen Erfolg verkündet: Die EU sei grundsätzlich einig mit der Türkei über den Aktionsplan zur Eindämmung der Flüchtlingszahlen auf dem Weg nach Europa. Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen äußerte sich zu den Gipfelergebnissen zurückhaltender: "Wir sind mitten in einem Arbeitsprozess." Euphorie klingt anders. Merkel will am Sonntag nach Ankara reisen, um festzustellen "wie verlässlich die türkischen Zusagen sind".

Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann hatte schon zu Beginn des Treffens das Ziel beschrieben: "Alles was uns hilft, dass Flüchtlinge dort bleiben können und dort menschlich behandelt werden, wo sie sind in der Region, ist richtig." Das ist etwas verklausuliert und heißt: Die Flüchtlinge sollen nicht nach Europa kommen, sondern bleiben, wo sie sind. Dafür braucht die EU das Haupttransitland Türkei. Obwohl das Verhältnis der Union zu dem zunehmend autokratisch agierenden türkischen Präsidenten seit Jahren angespannt ist, gilt inzwischen als ausgemacht, dass nur Recep Tyyip Erdogan die Menge der einreisenden Flüchtlinge an der Außengrenze zur EU aufhalten kann.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem österreichischen Amtskollegen Werner Faymann auf dem EU-Gipfel in Brüssel (Foto: EPA/ANDY WENZEL)
Bundeskanzlerin Merkel mit ihrem österreichischen Amtskollegen Faymann auf dem EU-Gipfel in BrüsselBild: picture-alliance/dpa/A. Wenzel

Schwierige Wiederannäherung an die Türkei

Mit einer Art grundsätzlichen Einigung war die EU-Kommission nach einer Nachtsitzung aus der türkischen Hauptstadt zurückgekommen: Erdogan solle die Grenzen zur EU kontrollieren, die Schlepper bekämpfen, weitere Lager für Syrien-Flüchtlinge einrichten und ihre Perspektiven in der Türkei verbessern. Die Gegenforderung des türkischen Präsidenten hat es in sich: Drei Milliarden Euro will er aus Brüssel, visafreies Reisen für Türken, die Eröffnung neuer Kapitel aus den Beitrittsgesprächen und die Einstufung der Türkei als sicherer Herkunftsstaat. Das ist eine Art politisches Gütesiegel und bedeutet, dass ein Land die Menschenrechte achtet und keine politische Verfolgung stattfindet. Dieser Punkt ist umstritten und blieb beim Gipfel zunächst ausgeklammert.

Einige Regierungen sehen den Forderungskatalog kritisch: "Die Visa-Liberalisierung ist ein Prozess, der eine Menge Vorbedingungen benötigt", sagte etwa der französische Präsident Francois Hollande. Und die Forderung von drei Milliarden Euro finden EU-Diplomaten entschieden zu hoch. Die Bundeskanzlerin wiederum hielt die Summe für ein denkbares finanzielles "burden sharing" mit der Türkei.

Merkel kritisiert osteuropäische Länder

Deutschland und Schweden scheiterten einmal mehr mit ihrer Forderung nach einem sogenannten permanenten Umverteilungsmechanismus für Flüchtlinge innerhalb der EU zwischen mehr und minder belasteten Ländern. Die osteuropäischen Länder aus der Visegrad-Gruppe stellten sich erneut quer. "Ich verstehe nicht, warum einige osteuropäische Länder hier so harsch reagieren und sich irgendwie schlecht behandelt fühlen", wunderte sich Merkel. Es werde noch zahlreicher weiterer Diskussionen bedürfen, bis alle verstanden hätten, dass die Flüchtlingskrise eine ganz grundsätzlich Frage europäischer Werte und Politik sei, so die Bundeskanzlerin.

Sie habe versucht, Ungarns Premierminister Viktor Orbans zu überzeugen, dass es vernünftiger sei die Außengrenzen der Union besser zu schützen, als sich innerhalb Europas abzuriegeln. Der ungarische Rechtspopulist hatte angedroht, er werde seine Grenzen zum EU-Nachbarland Kroatien schließen, wenn der Gipfel nicht Griechenland zum besseren Schutz seiner offenen Seegrenze zur Türkei verdonnern würde.

Gruppenfoto mit den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beim Flüchtlingsgipfel in Brüssel (Foto: AP Photo/Francois Walschaerts)
Weiter keine Einigkeit in der Flüchtlingskrise: die Staats- und Regierungschefs der Europäischen UnionBild: picture-alliance/dpa

Hoffnungsträger Türkei als große Unbekannte

Mit der praktischen Seite der Diskussion bei diesen Treffen war Angela Merkel am Ende ganz zufrieden: Man habe das erste Mal konkret über die Einrichtung der "Hotspots" geredet, wo Empfang, Registrierung, Entscheidung über Bleibeperspektiven und Rückführung von Flüchtlingen gleich am Ort ihrer Ankunft in der EU stattfinden sollen. Kommissionspräsident Juncker will dafür den Auftrag der Grenzschutzagentur Frontex robuster ausgestalten. Diese "Hotspots" sind seit Monaten sozusagen das Einhorn der EU. Alle reden davon, aber niemand hat je eins gesehen. Nur auf der italienischen Insel Lampedusa soll eine solche Registrierungsstelle inzwischen funktionieren.

Und einmal mehr drückten sich die Regierungschefs um die Frage der Aufnahmelager, die an den „Hotspots“ errichtet werden müssten. Denn letztlich haben solche "Hotspots", besetzt mit Grenzschutzpersonal und Asylentscheidern, nur dann Sinn, wenn die Flüchtlinge dort auf eine Erstentscheidung ihres Asylantrages warten müssen und sich nicht einfach zur nächsten Grenze aufmachen können. Wurden diese "Hotspots" in der europäischen Diskussion lange wie eine Wundermedizin zur Bewältigung der Flüchtlingskrise gehandelt, räumte am Ende auch die Bundeskanzlerin ein: "Die 'Hotspots' allein werden die Lösung nicht bringen ohne die Türkei." Ob aber die türkische Regierung nach der Wahl in zwei Wochen es noch für politisch opportun hält, die Masse der Flüchtlinge von der Reise nach Europa abzuhalten, ist derzeit ungewiss.