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Europäische Romapolitik

Bernd Riegert16. Oktober 2012

Immer mehr Roma aus Serbien und Mazedonien stellen Asylanträge in Deutschland. Die EU sieht keine Gründe für Asylgewährung. Sie will den Roma in ihren Heimatländern helfen, die Armut zu überwinden.

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Bayern/ ARCHIV: Ein Schild mit der Aufschrift "Bundesamt fuer Migration und Fluechtlinge" haengt am Freitag in Zirndorf (Kreis Fuerth) am Zaun der Zentrale Annahmestelle (ZAE) fuer Asylbewerber (Foto: Daniel Peter/dapd)
Bild: dapd

Die deutschen Behörden haben in den letzten Monaten eine Zunahme von Asylsuchenden aus Mazedonien und Serbien festgestellt. Die Zahl, so das Bundesinnenministerium, stieg im September auf 2450. Das sind doppelt so viele wie im August. Im Oktober entwickeln sich die Zahlen ähnlich, so eine Prognose. Die meisten Asylsuchenden gehören zur Volksgruppe der Roma. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich spricht von "ungebetenen Gästen" und "Asylmissbrauch". Er kündigte an, er wolle das Bundesamt für Migration mit Bundespolizisten verstärken, um die Asylverfahren zu beschleunigen. Die meisten Roma könnten keine politische Verfolgung geltend machen, sondern flöhen vor wirtschaftlichem Elend und Armut in ihren Heimatländern.

EU-Kommission: Roma suchen kein Asyl

Die Einreise nach Deutschland, Frankreich oder in andere westeuropäische Länder ist für Roma aus Mazedonien und Serbien relativ einfach. Seit Ende 2009 brauchen Bürger dieser Staaten kein Visum mehr, sondern können einfach mit einem gültigen Reisepass als Touristen einreisen. Beantragen die Roma dann Asyl werden sie in Sammelunterkünften untergebracht und nach rund zwei bis drei Monaten wieder in ihre Heimat abgeschoben. Der Sprecher der EU-Kommission Michele Cercone sagte am Montag (15.10.2012) in Brüssel, bei den Roma aus Serbien und Mazedonien könne man nicht von echten Asylsuchenden sprechen. "Wir reden über Leute, die im visafreien Reiseverkehr vom Balkan in die EU kommen. Das Problem ist, dass eine ganze Reihe von ihnen Asyl beantragt. Am Ende stellt sich dann fast immer heraus, dass die Anträge unbegründet waren", so Cercone. "Es gibt eben sehr viele Anträge gerade aus dieser Region. Sie verursachen einen Rückstau und ein großes Problem in den Asylsystemen in den betroffenen Ländern."

Strategie zur Integration der Roma noch nicht umgesetzt

Auch die Europäische Union erkennt an, dass die Roma in ihren Heimatländern oft unter widrigen Bedingungen leben müssen. Nur ist wirtschaftliche Not kein Asylgrund im engeren Sinne. Die EU-Kommissarin für Justiz und Bürgerrechte, Vivian Reding, nannte schon bei der Vorstellung der gemeinsamen Roma-Politik der EU im Mai bedrückende Zahlen. "45 Prozent der befragten Roma leben in Wohnungen ohne Küche, Bad und Elektrizität. Einer von drei Roma ist arbeitslos. 20 Prozent haben keine Krankenversicherung und 90 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Das ist alarmierend." Im Mai legten die 27 Mitgliedsstaaten der EU nach jahrelangen Diskussionen nationale Aktionspläne zur Verbesserung der Lage der Roma vor. Zehn bis zwölf Millionen Roma leben in Europa, die größte Minderheit auf dem Kontinent. Die EU-Mitgliedsstaaten räumen ein, dass die Roma unter Diskriminierung leiden und nur eingeschränkten Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung haben. Bis 2020 sollen die Roma besser integriert werden. Das sieht eine gemeinsam beschlossene Strategie der EU-Mitgliedsländer vor.

Porträt von EU-Kommissarin Vivian Reding
EU-Kommissarin Reding setzt sich für Integration einBild: picture-alliance/Wiktor Dabkowski

Westliche Balkanstaaten machen keine Fortschritte

Die größten Probleme haben dabei die Staaten der EU, die ohnehin vergleichsweise arm sind, also Rumänien und Bulgarien, so die Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Livia Jaroka. Die ungarische Konservative ist selbst Roma und engagiert sich seit Jahren für die Roma-Integration. In Rumänien leben etwa 535.000 Roma, in Bulgarien 370.000 und 205.000 in Ungarn. Jaroka weist darauf hin, dass die Beitrittskandidaten der EU auf dem westlichen Balkan die Roma-Integration nicht entschlossen angehen. "Wir sehen sehr geringe Anstrengungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Die Integration der Roma ist dort nicht nur langsamer geworden, sondern steht komplett still", kritisiert Jaroka. "Es gibt dort erhebliche Probleme seit fast zwanzig Jahren." Die Abgeordnete fordert, dass die Balkan-Länder Hilfsgelder aus Brüssel, die während der Beitrittsverhandlungen ausgezahlt werden, für die Roma verwenden sollen. "Der Stabilisierungs- und Annäherungsprozess muss als Hebel genutzt werden, um die ärmsten Gemeinschaften früh in das europäische Projekt einzubinden", so Jaroka. Die EU-Justiz-Kommissarin Reding stimmt ihr zu: "Wenn wir mit diesen Ländern verhandeln, ist die Roma-Frage immer auf der Tagesordnung. Diese Frage muss gelöst werden, um engere Beziehungen mit der EU eingehen zu können."

EU-Parlament Abgeordnete Livia Jaroka (Foto: AFP)
Livia Jaroka kritisiert die Roma-Integration auf dem westlichen BalkanBild: THIERRY MONASSE/AFP/Getty Images

Innenminister wollen Visa-freies Reisen prüfen

Kurzfristig werden die Verhandlungen über eine Roma-Integration die Asylbewerberzahlen in Westeuropa nicht senken. Deshalb haben sechs Innenminister aus Frankreich, Österreich, Belgien, Luxemburg, Belgien und Deutschland die EU-Kommission aufgefordert, eine Aussetzung des visafreies Reisens für Serbien und Mazedonien zu prüfen. EU-Kommissionsprecher Cercone bestätigte, dass die Innenminister bis zum Jahresende einen Mechanismus schaffen wollen, um in "außergewöhnlichen" Situationen den Visazwang wieder einzuführen. Die serbische Regierung bot an, die Kosten für rund 10.000 Asylbewerber in ganz Europa zu übernehmen. "Das ist für uns billiger als der Schaden, der entsteht, wenn wir keine Visafreiheit mehr haben", sagte der serbische Regierungschef Ivaca Dacic laut Nachrichtenagentur "Beta".

Ein Roma-Kind steht vor Müllsäcken, Shutka, Mazedonien.
Leben am Rande der Gesellschaft: Roma in der mazedonischen Stadt ShutkaBild: DW

Der Flüchtlingsrat des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen bemängelt, dass die Asylanträge von Roma aus nicht EU-Staaten wie Serbien und Mazedonien mehr oder weniger pauschal verworfen würden. Nur weil diese Staaten der EU beitreten wollten, seien soziale Diskriminierung und Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt nicht gelöst. "Serbien und Mazedonien stehen, weil sie sich der EU angenähert haben, auf der sogenannten sicheren Liste der Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, es erfolgt zwar eine Einzelfallprüfung, aber es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass in diesem Land keine Verfolgung herrscht", sagte die Sprecherin des Flüchtlingsrates, Birgit Naujoks, im Westdeutschen Rundfunk. "Ich möchte die Prognose wagen: Wären diese Länder nicht auf dem Weg in die EU oder geografisch so nahe, würde eine Einzelfallprüfung in manchen Fällen anders verlaufen."

Junge Roma sind ungenutztes Potenzial

Der EU-Kommissar für Arbeit und Soziales, Lazlo Andor, warnt vor zu großer Zuversicht. Die Roma-Politik der EU stehe im Moment vor allem auf dem Papier. Die Projekte, Aufklärungskampagnen und konkreten Vorhaben aus den 27 einzelnen Aktionsplänen der Mitgliedsstaaten müssten jetzt auch umgesetzt werden. "Die nationalen Aktionspläne sind nur ein erster Schritt. Wir müssen sehr viel besser zusammenarbeiten, um die Lücke zwischen den Roma und der übrigen Bevölkerung zu verkleinern, bevor sie noch größer wird", sagte Andor. In manchen Ländern, wie Rumänien, würden junge Roma rund ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, so Andor. Das sei ein enormes Potenzial an Kreativität, das bislang nicht genutzt werde.