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Politik

"Vergiftungskreislauf" durch Pestizide?

2. Juli 2019

Nach zähem Ringen haben EU und Mercosur ein Freihandelsabkommen geschlossen. Doch Agrarexpertin Larissa Bombardi warnt: Künftig könnten mehr pestizidverseuchte Lebensmittel aus Brasilien auf europäischen Tellern landen.

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Brasilien Landwirtschaft Soja Anbau in Cerrado
Bild: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

20 Jahre lang haben die Europäische Union und der Gemeinsame Südamerikanische Markt (Mercosur) verhandelt. Nun steht das Freihandelsabkommen, das einen Markt mit 760 Millionen Konsumenten schafft und auf dem heute schon Waren im Wert von 87 Milliarden Euro ausgetauscht werden. Stolperstein war bis zum Schluss der EU-Agrarprotektionismus. Vor allem Brasilien erhofft sich nun einen neuen Markt für Soja, Orangen und Rindfleisch. Doch für die europäischen Konsumenten ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht, sagt Larissa Mies Bombardi von der Universität Sao Paolo. 

DW: Frau Bombardi, Sie haben vor kurzem einen 290 Seiten langen, ausführlich dokumentierten Atlas über den Einsatz von Agrarpestiziden in Brasilien herausgegeben. Die Zahlen sind erschreckend. Wie steht es um den Pestizideinsatz in Brasilien?

Symbolbild: Monsanto RoundUp
Glyphosat - unter dem Markennamen "Roundup" - ist das meistverkaufte Pestizid in BrasilienBild: Getty Images/AFP/J. Edelson

Larissa Mies Bombardi: Brasilien und die USA sind die grössten Anwender von Pestiziden weltweit. In Brasilien wird etwa eine Million Tonnen jährlich versprüht. Über 500 Pestizide sind hier genehmigt, 150 davon sind in der EU verboten. Glyphosat ist das mit Abstand am meisten verkaufte Pestizid, aber die in Europa hohe Wellen schlagende Diskussion über die Gefahren von Glyphosat hat hier in Brasilien noch nicht einmal begonnen.

Wie hat sich der Pestizidverbrauch über die Jahre hinweg entwickelt?

In den vergangenen zehn Jahren wurde der Pestizidverbrauch um 150 Prozent gesteigert, im gleichen Maße stiegen auch die Zahl der akuten Vergiftungen durch Pestizide.

Hängt das mit der Ausweitung der Anbaufläche zusammen oder mit zunehmenden Resistenzen bei Schädlingen?

Vor allem mit der Ausweitung. Die Anbauflächen dringen von Brasiliens Zentralsavanne immer weiter in das Amazonasgebiet vor. Die Anbaufläche für Soja zum Beispiel hat sich von 18 Millionen Hektar im Jahr 2002 auf 33 Millionen Hektar 2015 fast verdoppelt.

Es gibt eine Studie des INCA, des Nationalen Instituts für Krebsforschung, wonach jeder Brasilianer allein durch Rückstände in den Lebensmitteln im Schnitt pro Jahr fünf Liter Pestizide konsumiert .

Diese Rechnung stammt nicht von mir. Aber ich habe dokumentiert, dass im Süden, wo sich die großen landwirtschaftlichen Flächen befinden, jährlich zwischen 12 und 16 Kilogramm Pestizide pro Hektar versprüht werden. In Europa sind es gerade einmal ein bis zwei Kilo.

Woher kommt dieser enorme Unterschied?

Das offizielle Argument lautet, dass es in den Tropen mehr Schädlinge gibt. Aber es liegt auch am Modell der industriellen Landwirtschaft, die auf Gentechnik basiert, deren Saatgut Glyphosat-resistent ist. 70 Prozent der Pestizide werden für genetisch verändertes Soja, Mais und Zucker aufgewendet. Das sind riesige Monokulturen. Alleine die Fläche, auf der Soja angebaut wird, ist viermal so groß wie Portugal. Außerdem sind die Behörden sehr großzügig, was Grenzwerte betrifft.

Haben Sie ein Beispiel?

Bei Soja sind in der EU Rückstände von Glyphosat in Höhe von 0,05 mg pro Kilogramm erlaubt. In Brasilien sind es 10 mg pro Kilo, also 200 mal mehr. Im Trinkwasser erlaubt Brasilien sogar 5000 mal höhere Glyphosat-Rückstände als Europa.

Gibt es in Brasilien kein Vorsorgeprinzip?

Nein. Wenn beispielsweise ein Pestizid einmal registriert ist, verfällt die Lizenz nie und ist auch keinen periodischen Neubewertungen unterworfen - so wie in der EU.

Soja Plantage in Brasilien
Sojafelder in Brasiliens Bundesstaat Mato GrossoBild: Getty Images

Die Sojabauern sagen, dass Glyphosat nicht sehr toxisch und viel besser sei als jedes andere Pestizid.

Darüber kann man diskutieren. Glyphosat gilt als wenig toxisch, aber diese Einordnung bezieht sich allein auf die akute Toxizität. Langzeitschäden werden nicht berücksichtigt. Die Weltgesundheitsorganisation hat Studien durchgeführt, wonach es möglicherweise krebserregend sein könnte.

Wie sieht es mit der Umweltbelastung aus? Zersetzen sich die Pestizide in Berührung mit Wasser?

Nein, sie verschwinden nicht, sie werden im Boden und im Grundwasser eingelagert und töten dort die vorhandenen Mikroorganismen ab.

Welche Folge hat das?

Der Boden wird unfruchtbar, das haben wir in Studien an unserer Universität herausgefunden. Die Bodenfruchtbarkeit hat nicht nur mit Mineralien zu tun, sondern auch mit biologischen Mikroorganismen, die durch Insektizide und Fungizide getötet werden.

In 20 Jahren werden die Sojaäcker also zur Wüste?

Ja, mittelfristig deuten die Studien darauf hin.

Und was hat das alles mit Europa zu tun?

Es gibt einen Vergiftungs-Kreislauf. Der Großteil der Pestizide kommt aus den USA und der EU. Chemiekonzerne wie Bayer-Monsanto oder Syngenta exportieren auch Pestizide in Drittländer, die in Europa verboten sind. Der Großteil des Schadens dieser Chemikalien wird natürlich hier in Brasilien angerichtet, aber ein Teil kommt über Exporte in Form von Nahrungsmitteln auch wieder zurück nach Europa.