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Wie wollen EU-Staaten Migration begrenzen?

15. August 2023

Grenzen schützen, mehr Abschiebungen, abschrecken: Das sind die Zutaten der Asylpolitik der EU schon seit einigen Jahren. Doch wirkt das Rezept? Ersteinreise-Staaten und Zielländer haben unterschiedliche Interessen.

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Grenzbeamte in Griechenland
Grenzbeamte in Griechenland: Die Außengrenzen am Evros-Fluss sind mehr oder weniger geschlossenBild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

In diesem Jahr erwartet die europäische Grenzschutzagentur Frontex einen weiteren Anstieg der Zahlen von Migranten und Asylsuchenden in der EU. Im vergangenen Jahr verzeichnete Frontex 330.000 sogenannte irreguläre Einreisen. Das war die höchste Zahl seit 2016, dem bisherigen Höhepunkt von Migration und Flucht in die EU. In diesem Jahr könnten es noch einmal mehr werden, schätzt Frontex, da sich die Zahl der erfassten irregulären Ankünfte zum Beispiel auf der zentralen Mittelmeerroute nach Italien in diesem Frühjahr glatt verdreifacht hat.

Einige EU-Staaten und das Ex-Mitglied Großbritannien bemühen sich deshalb, ihre Gesetze und Regelungen beziehungsweise die Praxis in den Asylverfahren so zu verschärfen, dass Menschen von der Einreise abgehalten, das heißt abgeschreckt werden.

Wie reagiert Deutschland?

In Deutschland klagen Städte und Gemeinden über Überlastung der Unterbringung und Integrationsaufgaben. Rund ein Viertel aller Asylanträge in der EU werden in Deutschland gestellt, obwohl die Bundesrepublik wegen ihrer geografischen Lage eigentlich nicht das Land der ersten Einreise sein kann - und damit eigentlich nach EU-Recht nicht zuständig wäre. Bund und Länder haben deshalb vereinbart, die Regeln für Abschiebungen und vorausgehende Abschiebehaft für ausreisepflichtige Migranten zu verschärfen. Eine Ausweitung von Grenzkontrollen zum Beispiel zu Polen, um irreguläre Einreisen zu erschweren, lehnt die Bundesinnenministerin Nancy Faeser bislang ab. Nur an den Grenzen zu Österreich, das quasi am Endpunkt der "Balkanroute" der Migranten liegt, wird bereits seit einigen Jahren mit Stichproben kontrolliert.

Asylzentrum in Ruanda?

Andere Zielländer wie Frankreich, Österreich, die Niederlande und Großbritannien versuchen mit verschiedenen Verschärfungen abzuschrecken. Das Vereinigte Königreich zum Beispiel droht mit der Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda oder der Internierung von Migranten auf Schiffen. In Dänemark scheiterte zwar ein Versuch, ein Asylzentrum in Ruanda zu eröffnen und Verfahren dorthin auszulagern, dennoch hat die Regierung in den letzten Jahren die Verfahren restriktiver gestaltet. Auch an Grenzkontrollen zu Deutschland hält Dänemark seit Jahren fest. In Dänemark beantragen gerade einmal 180 Menschen pro Monat Asyl. Das ist verglichen mit Österreich, zwischen 4000 und 11.000 Anträgen pro Monat im vergangenen Jahr, sehr wenig.

Ein Abschiebeflug bringt abgelehnte Asylbewerber nach Kabul
Alles auslagern? Ein Abschiebeflug bringt abgelehnte Asylbewerber nach Kabul (2019)Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Übrig bleiben gefährliche Seewege 

Völlig andere Interessen haben die Länder, wo die Migranten zuerst ankommen. Italien, Griechenland, Malta, Zypern, Kroatien und neuerdings auch Polen. Sie versuchen, Einreisen so schwer wie möglich zu machen. Die Außengrenzen zu Lande, wie zum Beispiel am Evros-Fluss zwischen Griechenland und der Türkei, sind mehr oder weniger geschlossen. Übrig bleiben die gefährlichen Seewege oder Einreisen per Flugzeug mit echten oder gefälschten Visa. Das nennt sich dann "Schutz der EU-Außengrenzen" und wird von den Innenministern der EU regelmäßig beschlossen. Italien versucht, den privaten Rettungsschiffen das Anlanden von Schiffbrüchigen möglichst kompliziert zu gestalten. Auch das soll abschreckende Wirkung entfalten.

Soldat an der griechisch-türkischen Grenze
Schon seit Jahren geschlossen: Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei am Fluss EvrosBild: Dimitris Papamitsos/Greek Prime Minister's Office/AP/picture alliance

Griechische, kroatische und polnische Grenzschutzbeamte greifen nach Angaben der "New York Times" und Menschenrechtsorganisationen zu sogenannten "pushbacks". Das meint das Zurückschieben von Migranten, die nach Grenzübertritt auf eigenem Staatsgebiet aufgelesen werden, in das Land, aus dem sie eingereist sind - ohne ein ordentliches Verfahren. Die betroffenen Behörden weisen die Vorwürfe zurück, denn dieses auch "Refoulement" genannte Vorgehen ist nach europäischem und internationalem Recht eigentlich verboten. Eigentlich.

Warum hat Ungarn kaum Asylsuchende?

Ungarn, dessen Regierung erklärtermaßen überhaupt keine Migration zulassen will, praktiziert pushbacks ganz offiziell. Migranten, die ohne Papiere eingereist sind, können ohne Verfahren abgeschoben werden. Ungarn beruft sich dabei auf ein "Notstandsgesetz" auf dem Jahr 2015. Europäische Gerichte haben diese Praxis für nicht rechtmäßig erklärt. Die Regierung in Budapest ignoriert die Urteile und verweist aus ihrer Sicht auf den vollen Erfolg. In Ungarn haben im vergangenen Jahr gerade einmal 44 Menschen Asyl beantragt. Das liegt auch daran, dass Anträge außerhalb in ungarischen Botschaften gestellt werden müssen.

Papst Franziskus besucht Budapest
Trotz harscher Kritik vom Papst beim Besuch in Budapest im April: Ungarns Premier Orban (li.) setzt auf Abschottung Bild: Vatican Media/AFP

150.000 Menschen wurden nach Angaben des "Europäischen Flüchtlingsrates " (ECRE) hauptsächlich an der mit einem Zaun bewehrten Grenze ohne viel Federlesens nach Serbien zurückgebracht. Aus Sicht der Regierung in Ungarn wirkt diese Abschreckung. Es sieht deshalb auch nicht ein, sich an einem reformierten EU-Asylrecht zu beteiligen, dass erstmals die Verteilung von Migranten oder hilfsweise Ersatzzahlungen vorsehen würde.

Warum möchte Italien ein Abkommen mit Tunesien?

Italien kann seine Küsten nicht so effizient gegen "irreguläre Migranten" schützen. Die meisten der 60.000 Menschen, die in den ersten sieben Monaten 2023 über das Meer kamen, werden nicht von Rettungsschiffen der Hilfsorganisationen angelandet, sondern erreichen mit den Schlepperbooten die italienischen Häfen. Die Dunkelziffer ist unbekannt, weil viele Einreisen gar nicht erfasst werden.

Die italienische Regierung will deshalb erreichen, dass Tunesien die Migranten am Einsteigen in die Boote hindert. Geldzahlungen gegen das Zurückhalten von Migranten, Verhandlungen über ein Abkommen laufen. Die Zahl der Menschen, die von Tunesien aus nach Italien gelangen wollen, hat sich verzehnfacht in diesem Jahr.

Schiffbrüchige vor Italien
Immer wieder Dramen im Mittelmeer: Schiffbrüchige vor Italien Bild: MINDS Global Spotlight/Italian Navy/picture alliance

Der Weg über Libyen wird wegen des rabiaten und restriktiven Vorgehens der libyschen Küstenwache immer unattraktiver. Mit Libyen hat die EU eine Vereinbarung zur Verhinderung von Migration abgeschlossen. Die Menschen, die in Italien ankommen, ziehen in der Mehrheit übrigens weiter nach Norden. Nur einige Tausend stellen pro Monat einen Asylantrag.

Polen will Migration nach EU-Vorgaben verhindern

Ein heißes Thema ist die Migration im derzeitigen Wahlkampf in Polen. Die regierende nationalkonservative PiS-Partei will Einwanderung verhindern und Polen "schützen", obwohl die Zahl der Asylsuchenden sehr gering ist. In Polen haben im ersten Halbjahr 2023 laut Eurostat, der EU-Statistikbehörde, 2785 Menschen einen Antrag auf Asyl gestellt. Das ist bei einer Bevölkerungszahl von 38 Millionen eine verschwindend geringe Zahl. Trotzdem verwahrt sich der polnische Premier Mateusz Morawiecki gegen Versuche der EU das gemeinsame Asylrecht langfristig zu reformieren. An der Ost-Grenze wird ein Zaun zu Belarus errichtet. Morawiecki will ein Referendum abhalten lassen, um Migration nach EU-Vorgaben mehr oder weniger auszuschließen. Die Einwanderer werden vor allem als politische Waffe des russischen Aggressors angesehen, weil Russland sie an die belarussische Grenze schicke.

Polen | Mateusz Morawiecki an der Grenze zu Belarus
Grenzzaun zu Belarus: Polens Premier Morawiecki macht Wahlkampf mit Migranten, die es kaum gibtBild: Kacper Pempel/REUTERS

Asylrecht aufheben, um abzuschrecken?

Abschreckend wirken könnte auch eine Diskussion, die der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Thorsten Frei Ende Juli begonnen hatte. Frei plädierte dafür, das in der EU theoretisch garantierte individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen und durch ein Einwanderungskontingent zu ersetzen. Frei argumentierte unter anderem das geltende System sei ungerecht, da nur eher wohlhabende Menschen oder junge kräftige Männer die Gefahren der komplizierten Einreise in die EU überstehen würden. Alte, Kranke, Frauen und Kinder hätten wenig Chancen, die Sahara zu durchqueren oder in die Boote zu steigen.

In der Tat weisen auch Flüchtlingsorganisationen darauf hin, dass die Politik der EU darauf abzielt, die Einreise möglichst schwer zu machen, da der Asylantrag nur auf dem Boden der EU gestellt werden kann. Wer es einmal in die EU geschafft hat, kann in den allermeisten Fällen bleiben, auch wenn sein Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. Abschiebungen ins Herkunftsland bleiben die Ausnahme. Syrische und afghanische Flüchtlinge, die es nach Europa geschafft haben, können zu über 90 Prozent mit ihrer Anerkennung als schutzbedürftig rechnen. Bei vielen anderen Herkunftsländern, wie zum Beispiel Pakistan oder der Türkei, sieht es genau umgekehrt aus. Hier beträgt die Ablehnungsquote über 75 Prozent. Ablehnung bedeutet in den meisten Fällen aber nicht gleich Ausreise.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union