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Keine EU-Verhandlungen mit Türkei

22. Juli 2016

Die Türkei driftet Richtung Diktatur und die Politiker suchen nach Sanktionsmöglichkeiten. Eine Option ist der Abbruch der Verhandlungen über den EU-Beitritt. Parteiübergreifend findet dies in Deutschland Zustimmung.

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Berlin Regierungssprecher Steffen Seibert Foto: picture-alliance/AA/M. Kaman
Bild: picture-alliance/AA/M. Kaman

"Im Augenblick ist es aus Sicht der Bundesregierung nicht denkbar, dass neue Beitrittskapitel geöffnet werden", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert (Artikelbild) in Berlin. Er äußerte sich auch erneut besorgt über repressive Maßnahmen und körperliche Gewalt gegen Menschen, die mit dem gescheiterten Militärputsch vom vergangenen Freitag in Verbindung gebracht werden. Hier geht es um Fernsehbilder, auf denen Festgenommene mit Misshandlungsspuren zu sehen sind.

Dennoch agiert Berlin mit angezogener Handbremse und versucht der Türkei trotz aller Verfehlungen und negativen Entwicklungen ein Schlupfloch zu lassen. So betonte Seibert weiter, dass die Bundesregierung grundsätzlich den EU-Beitrittsprozess der Türkei nicht in Frage stelle. Allerdings spielten in den von der EU geführten ergebnisoffenen Verhandlungen rechtsstaatliche Fragen eine ganz entscheidende, zentrale Rolle. Insofern müsse man sehen, "wie sich die Dinge in der Türkei entwickeln".

Zur Ausrufung des Notstandes in der Türkei sagte Seibert, diese Möglichkeit sei in der türkischen Verfassung vorgesehen. Auch die mit dem Notstand verbundene Aussetzung der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Türkei sei nach diesem Abkommen zulässig, soweit es die Lage unbedingt erfordere.

CSU fordert Verhandlungsabbruch

Kritik auf das Vorgehen der türkischen Regierung gegen angebliche Gegner kam von CSU-Chef Horst Seehofer. Er fordert einen umgehenden Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. "Wenn man sieht, wie die Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch den Rechtsstaat abbaut, müssen diese Verhandlungen sofort gestoppt werden", sagte Seehofer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Präsident Recep Tayyip Erdogan habe in wenigen Tagen fast 50.000 Vertreter von Militär, Justiz und Hochschulen aus dem Verkehr gezogen. "So handelt kein demokratischer Rechtsstaat", kritisierte Seehofer. Er lehne zudem die angestrebte Visfreiheit für Türken in der EU ab. Dies gehe aus Sicherheitsaspekten nicht. Unbeschränkte Visafreiheit käme einem Import der innertürkischen Probleme nach Deutschland gleich.

Seehofer auf der CSU-Vorstandssitzung in München Foto: picture-alliance/dpa/C. Sabrowsky
Horst SeehoferBild: picture-alliance/dpa/C. Sabrowsky

Kritik auch von der FDP

Zustimmung erhält Seehofer von FDP-Chef Christian Lindner, der sich ebenfalls für ein Ende der Verhandlungen über eine EU-Mitgliedschaft mit der Türkei aussprach. "Wir erleben in der Türkei einen Staatsstreich von oben, der an den Reichstagsbrand erinnert", sagte Lindner der Onlineausgabe der "Passauer Neuen Presse". Hier werde die Demokratie durch ein autoritäres Regime ersetzt. Aus Sicht Lindners sollen aber nicht nur die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara gestoppt werden. "Auch alle Gespräche über intensivere Handelsbeziehungen und die Visa-Freiheit haben sich erst einmal erledigt. Diese Türkei kann kein privilegierter Partner der EU sein."

FDP Bundesparteitag in Berlin Lindner Foto: alliance/dpa/B. von Jutrczenka
Christian LindnerBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Roth: "Flüchtlingsabkommen aussetzen"

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth verlangte neben einem Stopp der Beitrittsgespräche auch das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei auszusetzen. Roth zeigte sich in der "Augsburger Allgemeinen" geschockt von den Ereignissen in der Türkei. "Erdogan will die Alleinherrschaft und setzt das auch hemmungslos durch." Aber auch Roth will die EU-Option für Ankara nicht endgültig aufgeben. Für eine demokratische und rechtsstaatliche Türkei müsse es weiterhin eine ernsthafte EU-Beitrittsperspektive geben, so Roth.

Deutschland Claudia Roth Politikerin Die Grünen Foto: © Imago/H. Galuschka
Claudia RothBild: Imago/H. Galuschka

"Keine Steuerung aus Ankara"

Die Sorge, dass die Turbulenzen in der Türkei sich durch in Deutschland lebende Erdogan-Anhänger auf Deutschland übertragen könnten hat die die Bundesregierung nicht. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Demonstrationen oder Übergriffe türkischer Gruppen in Deutschland von der Regierung in Ankara gesteuert werden, so Innenministeriums-Sprecher Tobias Plate.

Aus Sicht von Innenminister Thomas de Maiziere muss man Verständnis dafür haben, wenn sich Türken von den Ereignissen in ihrer Heimat betroffen fühlten und ihre Meinung dazu hätten. Die Meinung müsse aber friedlich geäußert werden. De Maiziere selbst hatte betont, wenn Konflikte in Deutschland mit Gewalt, Drohungen oder Einschüchterungen ausgetragen würden, höre der Spaß auf. Der Hintergrund sind Berichte, wonach Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogans auch in Deutschland gegen angebliche Gegner von ihm vorgehen. Erdogan-Anhänger hatten unlängst einen Jugendtreff in Gelsenkirchen attackiert, der der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahestehen soll, den die türkische Regierung als Drahtzieher des Putschversuches sieht.

Für das Wochenende sind Kundgebungen von Erdogan-Anhängern in Berlin und Köln angesetzt. Allein in Köln wird mit 15.000 AKP-Anhängern gerechnet. Dazu kommen noch zahlreiche Gegendemonstrationen in Köln.

cgn/sc (afp, dpa, rtr)