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PolitikEuropa

EU: Pushbacks und mehr Grenzzäune

Marina Strauß
8. Oktober 2021

Recherchen mehrerer Medien haben gezeigt, dass nach wie vor Migranten mit Gewalt an den EU-Grenzen zurückgewiesen werden. Jetzt fordern zwölf EU-Staaten mehr "physische Barrieren". Marina Strauß berichtet aus Luxemburg.

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Europäische Flüchtlingspolitik | Grenze zwischen Griechenland und Türkei
Grenze zwischen Griechenland und TürkeiBild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

Als Ylva Johansson an diesem Morgen in Luxemburg vor die Presse tritt, hat sie zwei Botschaften: Mit Kroatien ist die EU-Kommissarin für Inneres, zuständig für Migration, zufrieden. Mit Griechenland eindeutig nicht.

Investigative Recherchen, unter anderem der deutschen Medien ARD und "Der Spiegel", hatten tags zuvor beide EU-Länder in sehr schlechtem Licht dastehen lassen. Beide Staaten sollen an ihren Grenzen mit Gewalt Migranten und Geflüchtete zurückgewiesen haben. Auf heimlich gefilmten Aufnahmen sind den Berichten zufolge maskierte Männer der kroatischen Interventionspolizei zu sehen, wie sie Menschen mit Stangen schlagen.  

Sogenannte Pushbacks, mit denen Migranten, die in einem Land eigentlich Asyl beantragen wollen, an der Grenze gewaltsam zurückgeschoben werden, sind keine neue Entwicklung. Immer wieder berichten Medien, NGOs oder Geflüchtete selbst darüber. Und immer wieder müssen sich die beschuldigten Länder kritische Fragen gefallen lassen.

Ylva Johansson: Pushback-Recherchen sind "schockierend"

So auch in diesem Fall Kroatien und Griechenland. EU-Kommissarin Ylva Johansson, die die Veröffentlichungen als "schockierend" bezeichnete, berief direkt am Donnerstagabend ein Treffen mit den beiden zuständigen Ministern ein.

Tags darauf berichtete sie beim Treffen aller EU-Innenminister, dass die Reaktionen sehr unterschiedlich gewesen seien. "Die kroatische Regierung nimmt das sehr ernst", sagte Johansson. Die Kroaten würde genau das Richtige tun, nämlich zeigen, dass Grenzschutz nicht gegen die Rechtsstaatlichkeit oder Grundrechte verstoßen dürfe.

Polnische Grenzpolizisten umstellen nahe der belarussischen Grenze eine Gruppe Migranten
Polnische Grenzpolizisten umstellen nahe der belarussischen Grenze eine Gruppe MigrantenBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Der kroatische Innenminister Davor Bozinovic zeigte sich bereits am Donnerstagabend vor kroatischen Medien aufklärungswillig. Ein Expertenteam sei schon unterwegs, um herauszufinden, was passiert, wer daran beteiligt gewesen und wo es geschehen sei.

Griechenlands Minister für Migration und Asyl, Notis Mitarchi, stellte sich vor dem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen den Fragen der Presse. Natürlich schütze Griechenland seine Grenzen. Aber immer im Einklang mit EU-Werten.

Doch EU-Innenkommissarin Johansson hatte sich kurz vorher sehr kritisch über ihn geäußert. "Ich werde es nicht akzeptieren, dass Griechenland diese Sache nicht untersucht."

Kritik an den Vorgängen in Kroatien und Griechenland kam auch von anderer Seite, so etwa von Luxemburgs zuständigem Minister für Immigration und Asyl, Jean Asselborn. Man müsse sehen, was geschehen sei und alles tun, damit die Vergehen eingestellt würden, sagte Asselborn. "Das geht nicht in Europa."

Andauernder Zwist in Migrationsfragen

Die neuen Pushback-Vorwürfe sind nur ein weiteres Beispiel dafür, wie unterschiedlich die einzelnen EU-Staaten auf das Thema Migration und Asyl blicken. Und wie schwierig es deswegen ist, gemeinsame Lösungen zu finden.

Europäische Flüchtlingspolitik | Grenze zwischen Bosnien und Kroatien
Asylsuchende in Bosnien und Herzegowina nahe der Grenze zu KroatienBild: Edvin Zulic/AP Photo/picture alliance

Staaten im Süden der Union, wie Griechenland, Italien und Zypern, wollen vor allem, dass Asylsuchende gerechter über den gesamten Block verteilt werden. Einige Staaten im Osten, wie Polen und Ungarn, pochen generell auf eine härtere Abschottungspolitik. Seit einigen Monaten ist für Polen und seine Nachbarstaaten Litauen und Lettland eine andere Herausforderung dazugekommen: Belarus schiebt ihnen zufolge gezielt Migranten über die Grenze - zum Beispiel aus Afghanistan, dem Iran oder dem Irak.

Litauens Innenministerin Agne Bilotaite bezeichnete dieses Vorgehen im Gespräch mit der DW als hybride Angriffe seitens Belarus. Ihre Regierung sieht sich im Recht, wenn sie Migranten - teils mit Gewalt - zurückschicken lässt, die illegal versuchen, über die Grenze ins Land zu kommen. Jeder und jede, die in einer Botschaft oder einem offiziellen Grenzübergang um Asyl bitte, werde angehört, sagte Bilotaite. Wer irregulär einreise, nicht.

Die litauische Praxis beäugen nicht nur viele NGOs kritisch. Denn eigentlich dürfen laut EU-Recht alle Menschen Asyl beantragen, sobald sie den Boden eines EU-Landes betreten.

Zwölf EU-Länder fordern mehr Grenzzäune

Litauen sieht das im Fall Belarus anders und forderte - gemeinsam mit elf anderen EU-Staaten, darunter Österreich, Dänemark und Polen - die Außengrenzen der Europäischen Union besser zu schützen. In einem Brief an die EU Kommission vom 7. Oktober schreiben die zwölf Länder, dass sie "physische Barrieren", also Grenzzäune für eine sinnvolle Maßnahme hielten.

Agne Bilotaite | Innenministerin von Litauen
Litauens Innenministerin Agne Bilotaite hält Grenzzäune in ihrem Land für unabdingbar Bild: Aris Oikonomou/AFP/Getty Images

Die EU-Innenkommissarin zeigte Verständnis für diesen Vorschlag. Alle EU-Staaten hätten das Recht, Zäune an ihren Grenzen zu errichten und wüssten selbst am besten, ob das nötig sei oder nicht. Litauen habe schon 50 Kilometer an der Grenze zu Belarus gebaut, sagte Innenministerin Agne Bilotaite. Innerhalb eines Jahres wolle das Land entlang der gesamten Grenze Zäune hochziehen. Denn ohne, so Bilotaite, sei es unmöglich die Grenze zu sichern. Nicht nur die von Litauen, sondern auch die der Europäischen Union.