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EU-Ratspräsident Tusk schlägt Alarm

14. September 2016

Der Brexit sei ein Weckruf gewesen. Europa müsse umsteuern und die Nöte der Bürger ernst nehmen, bevor es zu spät sei. Auch Luxemburgs Außenminister Asselborn hatte einen "Ruck" verlangt - und legt noch einmal nach.

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Donald Tusk (Archivbild:Getty Images/AFP/M. Ericsson)
"Keine Zeit verlieren": Donald Tusk (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/M. Ericsson

Vor dem Gipfel über die Zukunft der EU hat Ratspräsident Donald Tusk die Staats- und Regierungschefs davor gewarnt, die Lehren aus dem Austrittsvotum der Briten zu ignorieren. Viele EU-Bürger stellten sich ähnliche Fragen wie die Menschen dort; sie wollten von Europa Schutz und Stabilität, schreibt Tusk im Einladungsschreiben zu dem Treffen. Er kritisierte, dass Europa in der Flüchtlingskrise zu lange gezögert habe, seine Grenzen zu schützen.

Am Freitag beraten die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 Länder in der slowakischen Hauptstadt Bratislava über Weichenstellungen für die Zukunft der EU - ohne Großbritannien. Es wäre "ein fataler Fehler anzunehmen, dass das negative Ergebnis des Referendums im Vereinigten Königreich ein spezifisch britisches Problem darstellt", so Tusk in dem ungewöhnlich langen, fünfseitigen Brief.

"Chaos an unseren Grenzen"

Die Zweifel an der Europäischen Union seien vor allem durch die Migrationskrise angefacht worden - dies sei "der Wendepunkt" gewesen. "Das Chaos im vergangenen Jahr an unseren Grenzen" und hunderttausende Flüchtlinge auf dem Weg durch Europa hätten "ein Gefühl der Bedrohung bei vielen Europäern" erzeugt, schreibt der Ratspräsident. Die Menschen hätten zu lange warten müssen, bis versucht worden sei, die Lage etwa über die Schließung der Westbalkanroute und das EU-Türkei-Abkommen unter Kontrolle zu bekommen.

"Statt dessen hörten sie zu oft politisch korrekte Erklärungen, dass Europa keine Festung werden dürfe, dass es offen bleiben muss", schrieb Tusk. "Das Fehlen schneller Handlung und einer einheitlichen europäischen Strategie haben das Vertrauen der Bürger in ihre Regierungen geschwächt." Nun sei keine Zeit mehr zu verlieren, warnte der EU-Ratspräsident. "Bratislava muss der Wendepunkt mit Blick auf den Schutz der Außengrenzen der Union sein."

"Kein Schwarzer-Peter-Spiel"

Bei den anstehenden Gesprächen gehe es nicht um neue Verträge oder den Ausbau der EU zu einem Einheitsstaat. "Meine Gespräche haben klar gezeigt, dass neue Befugnisse für die europäischen Institutionen nicht das gewünschte Rezept sind", schrieb Tusk. Ziel müsse es vielmehr sein, "eine Reihe von Dingen zu korrigieren, um das zu erhalten, was am besten ist."

Tusk, der im Vorfeld des Gipfels durch die EU-Hauptstädte gereist war, forderte von den Staats- und Regierungschefs in Bratislava eine "kritische Diagnose". Dabei müsse "ein Schwarzer-Peter-Spiel" vermieden werden.

Luxemburgs Außenminister Asselborn (Archivbild: dpa)
"Gegen die Gleichgültigkeit": Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/J. Gavlak

Asselborn: "Die EU ist in größter Gefahr"

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hatte am Dienstag Ungarns EU-Mitgliedschaft in Frage gestellt. "Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt", sollte "vorübergehend oder dauerhaft aus der EU ausgeschlossen werden", sagte Asselborn der Zeitung "Die Welt".

Inzwischen verteidigte er seine Äußerungen, die unter anderem bei Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf Ablehnung gestoßen waren. "Es geht nicht gegen ein Volk oder gegen ein Land", sagte Asselborn der "Süddeutschen Zeitung". Er sehe die EU in größter Gefahr. "Unsere Gründungsväter und -mütter haben gewusst, dass man die Gemeinschaft nicht nur auf Strukturen, sondern auch auf Werten aufbauen muss", betonte er.

"Wir machen sonst alles kaputt"

Bei seinen scharfen Worten sei es ihm um einen Weckruf vor dem Sondergipfel in Bratislava gegangen: "Wir können nicht indifferent bleiben. Ich habe etwas gesagt gegen die Gleichgültigkeit. Es muss ein Ruck durch Europa gehen. Wir machen sonst alles kaputt."

Mit Spannung wird die Rede des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vor dem Europaparlament in Straßburg an diesem Mittwoch erwartet. Auch hier sprechen manche Beobachter bereits von einer "Ruck"-Rede zur Lage der Union. Juncker wird voraussichtlich über den Brexit sprechen, aber auch über den Flüchtlingsstreit - und die Blockade mehrerer Mitglieder gegen den Mehrheitsbeschluss, Flüchtlinge innerhalb der EU umzuverteilen.

jj/ust (dpa, afp, rtr)