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Türkischer EU-Beitritt? EU reagiert kühl

19. August 2016

Spannungen hin, Spannungen her. Der türkische EU-Botschafter Yenel strebt eine EU-Mitgliedschaft seines Landes bis zum Jahr 2023 an. Die EU-Kommission reagiert verhalten. Auch die Bundesregierung will kein Datum nennen.

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Die Flaggen der Türkei und der EU (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/MAXPPP/C. Petit Tesson

Begeisterung hört sich anders an. Die EU-Kommission hat eher verhalten auf den Wunsch der Türkei nach einem Beitritt zur Staatengemeinschaft innerhalb der kommenden sechs Jahre reagiert. "Wir werden jetzt nicht über ein genaues Beitrittsdatum spekulieren", erklärte eine Sprecherin der Behörde in Brüssel. "Die Beitrittsverhandlungen basieren auf den Leistungen der Türkei selbst", fügte sie hinzu. Zu den Anforderungen gehörten die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte.

Zuvor hatte der türkische EU-Botschafter Selim Yenel geäußert, die türkische Regierung wolle der Europäischen Union vor dem Jahr 2023 beitreten. "In dem Jahr wird die türkische Republik 100 Jahre alt. Es wäre die Krönung für mein Land, dann Mitglied der Europäischen Union zu sein", sagte Yenel der Zeitung "Die Welt". Derzeit seien zwar "die Bedingungen für einen Beitritt nicht so günstig, aber das kann sich schnell ändern", betonte Yenel.

Juncker: "Nicht beitrittsfähig"

Derweil bekräftigte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine Skepsis gegenüber einer baldigen Aufnahme der Türkei in die Europäische Union. "So bald wird es nicht zu einem Beitritt der Türkei kommen können, weil die Türkei ganz einfach die Bedingungen nicht erfüllt", sagte Juncker der "Tiroler Tageszeitung" aus Österreich. Die Verhandlungen mit Ankara würden sich noch "über viele Jahre hinziehen", sagte Juncker. Derzeit sei das Land weder beitrittsbereit noch beitrittsfähig. In dem online veröffentlichten Interview nahm er nicht auf die aktuellen Einlassungen des türkischen EU-Botschafters Bezug.

Juncker warnte trotz der derzeitigen Spannungen erneut davor, die Beitrittsgespräche mit der Türkei einzustellen. "Wir befinden uns ja nicht nur mit Herrn Erdogan und seiner Regierung im Gespräch, sondern streben eine Gesamtlösung an, die dem türkischen Volk von Nutzen sein wird", sagte er mit Blick auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Zuletzt hatte es unter anderem zwischen Berlin und Ankara einige Verstimmungen gegeben.

Keine Prognose aus Berlin

Die Bundesregierung will keine Prognose zur Dauer der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei abgeben. "Ich bin nicht in der Lage, jetzt zeitliche Einschätzungen zu geben, wie dieser Prozess von Beitrittsverhandlungen weiterläuft", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die Türkei und die EU befänden sich in einem "ergebnisoffenen Prozess" von Beitrittsverhandlungen, betonte Seibert. Aus Sicht der Bundesregierung sei es derzeit undenkbar, neue Verhandlungskapitel zu eröffnen.

Schon seit 1987 will die Türkei offiziell der EU beitreten. Die 2005 gestarteten Verhandlungen sind in 35 Kapitel unterteilt. Mit ihrer Hilfe soll das Land an die EU herangeführt werden. Geöffnet worden sind bislang 16 Kapitel, provisorisch abgeschlossen wurde nur der Bereich Forschung und Wissenschaft.

Zankapfel Visafreiheit

Mit Blick auf die geplante Visa-Liberalisierung verlangte der türkische EU-Botschafter Garantien von Seiten der EU: "Wir haben große Zweifel, dass die EU die Visumpflicht für Türken wirklich aufheben wird, wenn wir alle dazu notwendigen 72 Bedingungen erfüllt haben", sagte Yenel. "Wir müssen sicher sein können, dass alle EU-Institutionen einem visumfreien Reiseverkehr für türkische Bürger am Ende auch zustimmen."

Der Visa-Streit hat Auswirkungen auf den Flüchtlingspakt zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Das im März geschlossene Abkommen sieht vor, dass die Türkei alle auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurücknimmt, die nicht in Griechenland um Asyl bitten oder deren Antrag unbegründet ist. Für jeden Syrer, der aus der Türkei nach Griechenland kam und wieder zurückgeschickt wurde, soll ein Flüchtling aus Syrien direkt aus der Türkei in die EU gelangen. Im Zuge des Abkommens wurde Ankara auch eine Aufhebung des Visazwangs in Aussicht gestellt.

Zweiter Zankapfel Anti-Terror-Gesetze

Die Voraussetzungen dafür sehen viele EU-Politiker allerdings nicht gegeben. Unter anderem wird verlangt, dass die Türkei ihre Anti-Terror-Gesetze abschwächt. Das repressive Vorgehen der Behörden nach dem Putschversuch und die von der Regierung in Ankara erwogene Wiedereinführung der Todesstrafe haben die Bedenken verstärkt. Die Türkei droht ihrerseits damit, das Flüchtlingsabkommen platzen zu lassen, falls der Vizazwang nicht fällt.

Für neuen Zündstoff hatte zuletzt eine als vertraulich eingestufte Analyse aus dem Bundesinnenministerium gesorgt, wonach die Türkei unter Präsident Erdogan seit Jahren islamistische und als terroristisch eingestufte Organisationen unterstützt. Ankara wies dies vehement zurück.

Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht derweil, die Wogen zu glätten. Trotz der aktuellen Misstöne sieht sie "eine besondere Verbindung" zwischen Deutschland und der Türkei. "Das wird auch so bleiben", sagte die CDU-Politikerin den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. "Was das deutsch-türkische Verhältnis besonders macht, sind die über drei Millionen türkischstämmigen Menschen, die in Deutschland leben."

kle/jj (epd, dpa, rtr)