EU-Wahl: Haudegen gehen, Komiker bleiben
25. Mai 2019"Er hinterließ eine Lücke, die nicht geschlossen werden musste", sagt Elmar Brok mit typischer Selbstironie und einem Augenzwinkern über seinen Abschied aus dem Europäischen Parlament. Nach 39 Jahren als Abgeordneter geht Brok in Rente. Er war der dienstälteste Haudegen im Parlament. 1980, als er das erste Mal nach Straßburg kam, war der Laden noch überschaubar und tagte nicht einmal in einem eigenen Plenarsaal. "Wir waren damals neun Länder und hatten nix zu sagen, heute sind wir 27 beziehungsweise 28 und haben alles zu sagen. Das ist ein dramatischer Unterschied. Dieses Parlament ist machtvoller als manches nationale Parlament in wesentlichen Fragen. Deshalb ist das schöne Wort, das Parlament müsse gestärkt werden, falsch. Das Parlament ist stark."
Brok verlässt seine Wohnstube
Elmar Brok wäre gerne noch geblieben, aber seine Partei CDU hat ihn nicht mehr aufgestellt. Das mit der Lücke ist natürliche Untertreibung. Viele führende EU-Politiker haben Brok in den vergangenen 40 Jahren als Berater geschätzt, ja zum Freund gewonnen. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl rief den knorrigen Ostwestfalen mit dem markanten Schnauzbart und stattlicher Körperfülle regelmäßig an, um Rat einzuholen. Jean-Claude Juncker, der Präsident der EU-Kommission, macht das immer noch. Juncker und Brok kennen sich seit 40 Jahren. "Seine Nummer bleibt in meinem Handy gespeichert", ließ Juncker kürzlich wissen.
Elmar Brok war immer umtriebig, beriet den Bertelsmann-Konzern, hat sich nicht nur Freunde gemacht in seiner langen Karriere. Nicht immer lief alles glatt für ihn. Besonders geärgert haben ihn jüngst Vorwürfe, er habe von Besuchergruppen unrechtmäßig "Gebühren" kassiert. Die Kassenprüfer des Parlaments haben ihn inzwischen entlastet. Seine "Wohnstube", so nennt er den Plenarsaal, verlässt Elmar Brok mit einer kleinen Träne im Knopfloch. "Aber auf der anderen Seite gibt es auch immer etwas Neues, etwas Spannendes. Man merkt, dass man dann müde wird nach 39 Jahren. Ich werde mich jetzt auf europäische Themen konzentrieren und muss nicht mehr jeden Kram machen und nicht mehr jeden Morgen um acht in irgendeiner Arbeitsgruppe sitzen."
Piratin streicht die Segel
Viel leichter fällt der ehemaligen Piraten-Frau Julia Reda (32) der Abschied aus Straßburg. Sie habe nie geplant, Berufspolitikerin zu werden, sagt die Politologin. Zuvor hatte sie mit der Piratenpartei gebrochen und im März ihren Austritt erklärt. "Das war ein Job auf Zeit. Wir brauchen mehr Fluktuation." Fünf Jahre lang hat sich die Netzpolitikerin mit der Reform des Urheberrechts im Internet beschäftigt. Die Richtlinie, die am Ende verabschiedet wurde, hat sie sehr enttäuscht.
Mit einem Vorurteil konnte sie als Abgeordnete aufräumen: "Was ich sehr positiv finde, ist, dass wirklich alle Abgeordneten extrem hart arbeiten. Dieses Vorurteil von den faulen Abgeordneten ist wirklich nicht angebracht." Julia Reda findet allerdings, dass es viel zu viele alte Abgeordnete gibt. Mehr Zwanzigjährige müssten unter den 751 Abgeordneten aus 28 Ländern sitzen.
Elmar Brok, der gerade seinen 73. Geburtstag gefeiert hat, widerspricht. Inzwischen seien viele junge Parlamentarier gekommen. Der Spruch "Schick den Opa nach Europa!", den er als kritischer junger Mann vor 40 Jahren erfunden habe, gelte heute schon lange nicht mehr, meint Brok. "Es gibt viele junge Leute, die bauen ihre Karriere auf dem Europäischen Parlament auf. Deswegen ist das eine dramatische Veränderung zum Positiven." Ein bisschen Erfahrung könne ja auch nicht schaden, meint der dienstälteste Abgeordnete kokett.
Unterwandert von rechts
Erfahrung hatte Hans-Olaf Henkel (79) bereits, als er vor fünf Jahren sein Mandat antrat. Henkel arbeitete Jahrzehnte als Manager und dann als Interessenvertreter für Unternehmer, als einflussreicher Chef des Bundesverbandes der deutschen Industrie. "Ich habe mich immer in die Politik eingemischt, aber ich war nie mittendrin. Für mich waren diese fünf Jahre dann doch eine interessante Abrundung meines beruflichen Lebens." Weil er den Euro als Gemeinschaftswährung ablehnt, trat Henkel der Partei Alternative für Deutschland (AfD) bei.
2014 war die Partei politisch mehr oder wenig erledigt, bis ungewöhnlich viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Rechtspopulisten und Rechtsradikale übernahmen die ehemalige sogenannte Professoren-Partei. Hans-Olaf Henkel sagt heute tief frustriert, er habe zwei Fehler gemacht. Lange habe man nicht erkannt, dass man rechts unterwandert wurde. Und dann habe man zu lange gebraucht, um auf diese Entwicklung zu reagieren. Henkel trat schließlich aus der Partei aus. Trotz des politischen Misserfolgs will er die Zeit in Straßburg nicht missen. "Ich habe neue Freunde gewonnen, mehr als in den vielen Jahren davor."
Spaß-Partei will wieder rein
Wiedergewählt werden will der Satiriker Martin Sonneborn, der vor fünf Jahren mit seiner Spaß-Formatierung Die Partei ohne Programm überraschend ein Mandat gewann. Damals wollte er möglichst viel Geld aus der Parlamentsmaschine absahnen.
Das ist ihm auch gelungen. Rund 180.000 Euro pro Jahr kostet die EU der Abgeordnete an Diäten, Sitzungsgeldern, Spesen und Zulagen. "Bei den 150 Milliarden Euro, die die EU im Jahr kostet, ist die eine Milliarde, die ich hier abziehe, zu vernachlässigen", sagt Martin Sonneborn heute. Sein Wahlspruch in diesem Jahr: "Für Europa reicht's".
Nach fünf Jahren im Parlamentsbetrieb gibt sich der ehemalige Chefredakteur der Satire-Zeitschrift "Titanic" sogar ein wenig staatstragend. Die EU hält er inzwischen für ein unverzichtbares Gebilde. "Nach viereinhalb Jahren Nachdenkens über die EU und Auseinandersetzung mit ihr habe ich festgestellt, das Resümee ist ganz banal. Das Konstrukt funktioniert, es ist nur mit den falschen Leuten besetzt." Zu viele Konservative, zu viele Sozialdemokraten, meint Sonneborn.
Als Werbung für die "Titanic" kann Sonneborns Abgeordnetentätigkeit wohl nicht gewertet werden. Die Auflage sei in seiner Amtszeit in Straßburg gesunken, gibt Martin Sonneborn an. Er arbeite daran, dass das auch in den nächsten Jahrzehnten so weiter gehe, versichert er.
Politisch bewegt hat der Einzelkämpfer Sonneborn nichts, aber immerhin habe er vielbeachtete Reden gehalten, die auf YouTube besser geklickt würden als die von anderen Kollegen, grinst der 54 Jahre alte Polit-Komiker. Seinen Wählerinnen und Wählern in Deutschland reicht das offenbar. Es besteht sogar die Chance, für Die Partei ein zweites Mandat zu erringen. Ob Martin Sonneborn so viele Legislaturperioden wie Elmar Brok schaffen kann, ist dennoch fraglich. Er wäre dann schlappe 89 Jahre alt. "Es gibt noch genug Lustiges zu transportieren aus der EU."