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Ein Leben am Rand

Andrea Grunau15. März 2014

Tanţa und Janku waren stolz, von Rumänien nach Deutschland zu ziehen. Ihre Kinder sollten es einmal besser haben. Doch die EU-Zuwanderer stießen auf viele Hindernisse - selbst bei der Geburt ihrer Tochter im Krankenhaus.

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Eine rumänische Familie mit drei Kindern steht vor ihrem Wohnzimmerschrank (Foto: DW)
Bild: DW/Andrea Grunau

Die ausgetretenen Stufen kann man im Winter schon am Nachmittag nicht mehr erkennen, im Treppenhaus gibt es kein Licht. Im Dunkeln tastet man sich nach oben, vorbei an losen Kabeln an der Wand. Ganz oben öffnet Janku die Tür zu einer Zweizimmerwohnung und bittet die Besucher in das kleine Wohnzimmer. Seine Frau Tanţa wischt über den sauberen Glastisch vor der Sofaecke. "Ich bin nicht faul", sagt sie, als müsse sie einem Vorwurf widersprechen. Die Wände hat sie Orange und Grün gestrichen, als sie mit Susanna (fünf Monate) schwanger war. In dem extrem renovierungsbedürftigen Haus im Dortmunder Norden hat sie alles so gut wie möglich hergerichtet, damit das Baby und die großen Brüder Bobi (14) und Matei (12) ein gutes Zuhause haben.

Eine bessere Zukunft für die Kinder

Familienvater Janku sammelt ab sechs Uhr morgens Sperrmüll und Schrott, oft bis 23 Uhr: "Meine Kinder müssen essen". Er will der Familie eine neue Existenz aufbauen. In Rumänien hat er auf dem Bau als Dachdecker gearbeitet, doch in der Wirtschaftskrise wurde die Firma geschlossen. Er selbst wuchs mit zwölf Geschwistern bei den Großeltern auf, weil seine Eltern früh gestorben sind. Ein Leben in Armut möchte er seinen drei Kindern ersparen. In Rumänien gilt jedes zweite Kind als armutsgefährdet. Als EU-Bürger kam Janku nach Deutschland, um hier zu arbeiten.

Tanţa und er waren stolz, in ein so fortschrittliches Land zu gehen, berichten sie. Bobi und Matei besuchen seitdem die Hauptschule, ihre Schulunterlagen aus Rumänien hat die Familie übersetzen lassen. Dort haben sie Bescheinigungen für gute Leistungen bekommen. Hier sei es natürlich schwerer, berichtet der 14-jährige Bobi. Sie wurden in der Schule als "Zigeuner" beschimpft.

Matei zeigt eine Schulbescheinigung aus Rumänien (Foto: DW)
Matei mit einer rumänischen SchulbescheinigungBild: DW/Andrea Grunau

Janku fährt umher und sammelt ein, was die Menschen wegwerfen, aber niemals ohne zu fragen, betont er. "Ich räume Deutschland auf", sagt er, "ich will nichts Kriminelles tun". Er hat Bußgeldbescheide bekommen, etwa weil er nicht wusste, dass er eine Umweltplakette braucht oder weil er den falschen Gewerbeschein hatte. Die Strafgelder zahlt er in Raten ab. Bei der Arbeit sagt er meist, er sei Ungar, weil schon beim Stichwort Rumänien viele pauschal über "Zigeuner" schimpften. Janku hat in der Schule Ungarisch gelernt, in seiner Heimatstadt Tirgu Mures im rumänischen Siebenbürgen lebt eine große ungarische Minderheit.

Wenn Deutsche nach Rumänien kommen, erzählen Janku und Tanţa, werden sie respektiert. Die beiden aber fühlen sich in Deutschland abgelehnt und diskriminiert. Die Lage der Familie spitzte sich zu, als bei Tanţa vor der Geburt von Susanna starke Schmerzen einsetzten. Rettungssanitäter balancierten sie in einem Tuch durch das enge Treppenhaus, ein Krankenwagen brachte sie in eine Klinik. "Ich ging ins Krankenhaus, um Leben zu geben", erinnert sich Tanţa, "aber ich wurde behandelt wie eine Kriminelle". Auch wenn sie Roma sei, sagt die Mutter, "ich bin wie alle anderen Menschen auch".

Probleme rund um die Geburt, weil die Krankenversicherung fehlt

Die Familie hat keine Krankenversicherung, das wurde in der Klinik zum Problem. Während Tanţa sich immer wieder unter Wehen krümmte, sollte sie einen Behandlungsvertrag unterschreiben, so schildert Beatrice Gardea die Situation. Die Studentin hatte die Familie bei Recherchen zu ihrer Bachelor-Arbeit über EU-Migration aus Rumänien kennen gelernt und begleitete Tanţa ins Krankenhaus.

Sie wandte ein, dass die rumänische Mutter kein Deutsch spreche, nicht lesen könne und als Notfallpatientin jetzt kein Formular unterschreiben könne, das sie nicht verstehe. Eine herbeigerufene Ärztin habe gedroht: "Sie unterschreibt oder wir holen die Polizei. Außerdem können wir sie auch nach Hause schicken." Tanţa hörte das Wort Polizei und hatte Angst, dass man ihr das Kind wegnehmen wolle, daran erinnert sie sich. Die Geburt ging nicht voran. Als die Herztöne des Kindes sich verschlechterten, leiteten die Ärzte einen Kaiserschnitt ein.

Mutter Tanţa mit ihrem Baby auf dem Arm (Foto: DW)
Die Geburt von Susanna wurde für Tanţa zum AlptraumBild: DW/Andrea Grunau

Gespräch mit der Patientin "nicht erforderlich"

Beatrice Gardea war erschüttert, als Tanţa im Krankenhaus zu ihr sagte, "Jetzt werden alle denken, dass Du eine von uns bist. Ich muss mich bei Dir entschuldigen". Die Studentin schilderte die Behandlung im Krankenhaus in einem Brief an die Minister für Gesundheit und für Integration in Nordrhein-Westfalen. In einem Antwortschreiben heißt es, die Minister hätten die Beschwerde "mit Betroffenheit gelesen", man habe die Untersuchung dieses "bedauerlichen Vorfalls" durch das Gesundheitsamt der Stadt Dortmund veranlasst. Das Ergebnis: Das Krankenhaus habe die Rechtsvorschriften nicht verletzt. Ein Gespräch mit der Patientin sei für die Prüfung nicht erforderlich gewesen, so das Gesundheitsamt auf Nachfrage, "weil zu keinem Augenblick in Zweifel stand, dass das Klinikum seinen Verpflichtungen nachkäme."

Wer nicht krankenversichert ist, muss einen Behandlungsvertrag unterschreiben, das gilt für alle Patienten in Deutschland. Doch bei Notfällen und Patienten mit starken Schmerzen muss vor der Behandlung keine Unterschrift geleistet werden. Das stellt auch die Stadt Dortmund fest: "Eine Behandlung im Notfall darf kein Krankenhaus oder Arzt verweigern, auch wenn die Kostentragung nicht geklärt ist." Genauso verfahre man auch in der Dortmunder Klinik, sagte ein Krankenhaus-Sprecher, der Vorfall habe sich nicht so ereignet, wie von Beatrice Gardea geschildert. Die Studentin ist empört: Dass Tanţa in den Wehen "mit der Polizei bedroht wurde, würde ich auch vor Gericht aussagen".

Porträt der Studentin Beatrice Gardea (Foto: Privat)
Die Studentin Beatrice GardeaBild: privat

"Ich habe geschrien vor Schmerzen", erinnert sich Tanţa an die Stunden und Tage im Krankenhaus nach der Geburt. Immer wieder habe man ihr gesagt, alles sei normal. Später zeigte sich: Beim Kaiserschnitt war ihr Darm verletzt worden, sie hatte eine Bauchfellentzündung. Ihr Zustand war extrem kritisch, sie lag lange auf der Intensivstation und wurde 18mal operiert. Als sie nach stärkeren Schmerzmitteln fragte, habe man ihr gesagt, "das kostet Geld".

Familie in der Krise, Angst um Frau und Kinder

Janku kommen die Tränen, wenn er sich an diese Zeit erinnert. Er hatte Angst, dass seine Frau stirbt, war oft im Krankenhaus und versuchte, wenigstens so viel zu arbeiten, dass er für sich und die Jungen etwas zu essen kaufen konnte. Dazu kam die Angst, dass ihnen die kleine Susanna weg genommen werden könnte, denn die Klinik hatte das Jugendamt eingeschaltet.

Janku in seinem Kleintransporter (Foto: DW)
Familienvater Janku hat viele SorgenBild: DW/Andrea Grunau

Erst nach gut zwei Monaten konnte Tanţa das Krankenhaus verlassen, stark geschwächt und mit Schmerzen. Sie kann wieder für die Kinder kochen. Wenn alle zusammen sind, wandert Susanna, die Janku nach seiner verstorbenen Mutter benannt hat, von Arm zu Arm. Die Kleine strahlt ihre Brüder an, gluckst und plappert. Eine Frau vom Jugendamt war da, hat Zimmer und Bad angesehen, den Kühlschrank geöffnet und gesagt, das sei alles gut.

Doch die Familie hat immer noch große Sorgen. Das Auto musste repariert werden, damit war die Rücklage für die Taufe weg. Eine Beratungsstelle hat geholfen, Kindergeld zu beantragen. Doch eine Krankenversicherung hat die Familie immer noch nicht. Als Selbstständiger müsste Janku Mitglied in einer privaten Krankenversicherung werden, doch das kostet im Monat etwa 300 Euro pro Person. Das kann er nicht bezahlen.