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EU wartet auf Camerons Reformideen

Christoph Hasselbach9. Mai 2015

Europa stellt sich nach dem Wahlsieg der Konservativen in Großbritannien auf eine harte Reformdiskussion ein. Die Reaktionen zeigen: Immerhin besteht jetzt Klarheit.

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Cameron mit britischer und EU-Flagge Foto: picture-alliance/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Die übrigen Europäer wissen jetzt zwei Dinge: Ein britisches EU-Referendum wird kommen, und Camerons Position ist durch die Wahl gestärkt worden - und damit auch sein Wählerauftrag, für Reformen in Brüssel zu kämpfen. Denn das war eines seiner Wahlversprechen: Würde er wiedergewählt werden, wollte er bis 2017 die Briten darüber abstimmen lassen, ob sie in einer reformierten EU bleiben oder sie verlassen wollten. Doch bisher hat Cameron nie genau gesagt, was er an der EU genau ändern will. Diese Vorschläge dürfte er nun sehr bald in Brüssel konkretisieren.

Auf Verständnis stößt Cameron in jedem Fall bei EU-Ratspräsident Donald Tusk. Er zähle auf Cameron, dass dieser sich in seinem Land für einen Verbleib Großbritanniens in der EU einsetze, sagte Tusk. Er sei auch "bereit, dabei zu helfen". Großbritannien, schmeichelte Tusk, sorge mit dafür, dass in Europa eine Politik "des gesunden Menschenverstands" betrieben werde. "Ich bin überzeugt, dass es für kein einziges Land besser wäre, außerhalb der EU zu leben", fügte er hinzu. Tusk deutete vorsichtig Reformbereitschaft an mit der Formulierung: "Eine bessere EU ist nicht nur im Interesse Großbritanniens, sondern jedes einzelnen Mitgliedsstaates."

Es gibt für die EU Tabus

Europäische Migranten vor Bussen Foto: Nikolay Doychinov/AFP/Getty Images
EU-Migranten aus Rumänien und Bulgarien waren ein heißes WahlkampfthemaBild: Nikolay Doychinov/AFP/Getty Images

Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist zu einer Debatte über Reformen bereit. Ein Sprecher von Juncker sagte, die Kommission warte auf Reformvorschläge und wolle "konstruktiv mit dem Vereinigten Königreich zusammenarbeiten". Im Gegensatz zu dem von Cameron selbst geforderten "besseren Deal" für Großbritannien benutzte der Sprecher wohl nicht zufällig den Ausdruck "fairer Deal". Er schränkte auch gleich ein, was "nicht verhandelbar" sei: die sogenannten vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes, nämlich der freie Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital.

Cameron hatte bereits bei früherer Gelegenheit eine Einschränkung des freien Personenverkehrs ins Gespräch gebracht, weil ihm die vielen EU-Bürger aus den Staaten des früheren Ostblocks in Großbritannien ein Dorn im Auge sind. Schon damals hatten EU-Vertreter und zum Beispiel auch Bundeskanzlerin Angela Merkel dies aber abgelehnt. Doch unterhalb dieser Schwelle kann Cameron durchaus auf Entgegenkommen hoffen. Manfred Weber, Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, denkt offen darüber nach, "ob es nicht Zeit ist für eine größere Vertragsreform", ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Übrigens sind die britischen Konservativen nach einem politischen Zerwürfnis nicht mehr in der EVP-Fraktion. Umso bedeutsamer ist Webers Äußerung.

Heißsporn Farage ist gescheitert

Froh sind die allermeisten in Brüssel, dass UKIP-Chef Nigel Farage, der sein Land in jedem Fall aus der EU führen wollte, selbst keinen Parlamentssitz erringen konnte und als Parteichef zurückgetreten ist. Farage hat als Europaabgeordneter wahre rhetorische Hasstiraden auf die europäischen Institutionen und ihr Personal losgelassen. Innenpolitisch hatte er Cameron deutlich unter Druck gesetzt und dafür gesorgt, dass der Premier im Wahlkampf möglicherweise euroskeptischer auftrat als es seiner Meinung entspricht. Die Reformdebatte in Brüssel könnte daher jetzt vielleicht etwas entspannter verlaufen.

Trotzdem gilt es keineswegs als sicher, dass sich die Briten in einem Referendum für den Verbleib in der Union aussprechen werden. Bereits heute liefert die Brüsseler Niederlassung der Deutschen Industrie- und Handelskammer beiden Seiten Argumente für einen Verbleib. Volker Treier, der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer, schreibt: "Ein Austritt wäre ein schwerer Schlag für die EU: Ihr würde der wichtigste Advokat für freien und fairen Wettbewerb sowie für Freihandel wegbrechen." Doch für Großbritannien wären die Folgen nach den Worten von Treier noch gravierender: "Das Land würde international an Gesicht verlieren und an die Außengrenzen eines relativ homogenen Wirtschaftsblocks gedrängt." Auch "Londons Rolle als führender europäischer Finanzplatz käme ins Wanken".

Lob von der "falschen" Seite

Die europäischen Staats- und Regierungschefs hat Cameron oft durch sein schroffes, mitunter als anmaßend empfundenes Auftreten vor den Kopf gestoßen. Es galt in letzter Zeit als politisch geradezu gefährlich, sich offen hinter ihn zu stellen. Einer, der sich heute offen zu ihm bekennt, ist der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy, der politisch selbstverständlich auch konservativ ist. Rajoy nennt sich in seinem Glückwunschschreiben einen "Verbündeten und Freund". Indirekt bekennt sich Rajoy aber auch zur Sparpolitik, die in seinem eigenen Land weit umstrittener ist als in Großbritannien, indem er Cameron auffordert, "die notwendigen Maßnahmen für die Dynamik der britischen Wirtschaft" fortzusetzen. Dabei schielt Rajoy sicher auch auf die Parlamentswahl in Spanien, die er in gut einem halben Jahr gegen eine verbreitete linke Stimmung im Land zu bestehen hat.

Cameron und Juncker "fechten" mit den Händen Foto: picture-alliance/dpa/EU/Creemers
Cameron hat sich in Brüssel viele Wortgefechte mit EU-Vertretern geliefertBild: picture-alliance/dpa/EU/Creemers

Als Cameron-Fan etwas anderer Art zeigt sich der nationalkonservative ungarische Regierungschef Viktor Orban. Offenbar auf die Europaskepsis des britischen Premierministers anspielend, sagte Orban im ungarischen Rundfunk, Cameron habe die Wahl gewonnen, weil er eine "mutige Politik" betrieben und "die Dinge beim Namen genannt" habe. Der Sieg sei auch für Ungarn "richtungsweisend", Briten und Ungarn hätten eine ähnliche "politische Debattenkultur" und Denkart. Damit versucht allerdings Orban, der wegen seines autoritären Kurses in ganz Europa hochumstritten und isoliert ist, Cameron ungefragt für sich zu vereinnahmen. Aus London ist keine Reaktion dazu bekannt.