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EU will an den Grenzen aufrüsten

Bernd Riegert, Straßburg15. Dezember 2015

Die EU-Kommission will einen eigenen Grenz- und Küstenschutz aufbauen, als Antwort auf die Flüchtlingskrise und Terrorgefahren. Das wird Jahre dauern - falls die Mitgliedsstaaten mitziehen. Aus Straßburg Bernd Riegert.

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Natodraht (Foto: picture alliance/chromorange)
Bild: picture-alliance/chromorange/N. Thies

Die Europäische Union müsse Lehren aus der Flüchtlingskrise im Mittelmeer und auf dem Balkan ziehen und endlich den Schutz ihrer Außengrenzen verbessern. Das hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon Anfang September bei seiner Grundsatzrede "Zur Lage der Nation" gefordert. Jetzt legte er in Straßburg einen Vorschlag vor, wie die bereits existierende Grenzschutzagentur Frontex zu einem echten europäischen Grenzschutz und einer Küstenwache ausgebaut werden könnte.

Innerhalb von fünf Jahren soll das Stammpersonal von Frontex von heute 500 auf 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdoppelt werden. Außerdem soll Frontex eine Grenzschutzreserve von mindestens 1500 Beamten vorhalten, die innerhalb von drei Tagen in Krisenregionen verlegt werden können. Im Notfall will die EU-Kommission künftig Grenzabschnitte in eigener Regie kontrollieren, auch wenn einzelne Mitgliedsstaaten dem nicht zustimmen.

1,5 Millionen illegale Einreisen

Frans Timmermans, der Vizepräsident der EU-Kommission, sagte bei der Vorstellung des Gesetzentwurfes im Europäischen Parlament, in diesem Jahr seien 1,5 Millionen Menschen illegal in die EU eingereist, also ohne Registrierung für ein Asylverfahren, ohne Visum oder Aufenthaltstitel. Das könne so nicht weitergehen, betont Timmermans. "Das zeigt klar die Fehler, die wir bei der Kontrolle unserer Grenzen machen. Die illegalen Einreisen haben Auswirkungen überall in der Europäischen Union. Etliche Mitgliedsstaaten haben Kontrollen an den Binnengrenzen wieder eingeführt."

EU-Kommissar 2014 bis 2019: Frans Timmermans (Foto: AFP/Getty Images)
Timmermans: 1500 Mann Grenzschutz-ReserveBild: Getty Images/AFP/F. Bergh

Damit sei die Reisefreiheit ohne Passkontrolle innerhalb der sogenannten Schengenzone in ernster Gefahr, befürchtet der Vizechef der EU-Kommission. "Was als Problem an den Außengrenzen begann, hat damit das gesamte Schengensystem in Frage gestellt. Wenn wir Schengen erhalten wollen, dann müssen wir unser gemeinsames Management an den Außengrenzen verbessern."

Griechenland: Flüchtlinge warten auf Decken und Regenjacken (Foto: AFP/Getty Images)
Unregistriert Einreisende in Griechenland: Wer ist Flüchtling, wer muss gehen?Bild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Notfalls gegen den Willen einer Regierung

EU-Beamte, die mit der Ausarbeitung des neuen Frontex-Mandates befasst waren, dämpften aber in Straßburg die Erwartung, dass damit nun souveräne Mitgliedsstaaten die Hoheit über ihre Grenzen verlieren würden. "Es geht um eine gemeinsame geteilte Verantwortung der EU und des Mitgliedsstaates", versichert ein EU-Experte, der nicht genannt werden will. Bislang sind die Mitgliedsstaaten alleine für die Sicherung der Außengrenzen, Kontrollen an Flughäfen und in Seehäfen zuständig. Das Beispiel Griechenland zeige aber, dass sogenannte Frontstaaten, in denen besonders viele Migranten ankommen, heute überfordert seien und auch jahrelang keine Hilfe angenommen hätten.

Das soll nun anders werden. Stellt die EU-Kommission nach Beratungen mit den 28 EU-Mitgliedsstaaten fest, dass ein Mitgliedsstaat eine Außengrenze trotz Aufforderung nicht ausreichend kontrolliert, will sie zukünftig eine schnelle Eingreiftruppe schicken können. Notfalls will die EU auch ohne den Mitgliedsstaat die Registrierung von Einreisenden organisieren.

Polen sagt schon Nein

Bei Souveränitätsfragen reagieren die Mitgliedsstaaten sehr empfindlich. Das weiß auch die EU-Kommission und versichert in ihrem Gesetzesentwurf, dass Frontex-Beamte immer nur tätig werden dürfen, wenn ein Beamter des Einsatzlandes zumindest "anwesend" sei. Der neue polnische Außenminister Witold Waszczykowski lehnte die Übertragung von Souveränitätsrechten an Frontex bereits ab. Die Vorschläge der Kommission seien "überraschend" und nicht demokratisch kontrollierbar.

Auch die innenpolitische Expertin der Grünen im Europäischen Parlament, Franziska Keller, kritisiert die Vorschläge, allerdings warnt sie eher vor einer Festung Europa. "Damit sollen Mitgliedsstaaten bestraft werden, die Flüchtlinge ins Land lassen. Die Kommission will erreichen, dass alle Mitgliedsstaaten sich komplett abschotten. Das widerspricht europäischem Recht und ist aus Perspektive der Menschenrechte komplett inakzeptabel", sagte Franziska Keller in Straßburg.

Auch EU-Bürger kontrolliert und erfasst

Für EU-Bürger, die in die Union einreisen oder sie verlassen, wird sich an den Grenzen ebenfalls einiges ändern. Bislang wurden Pässe nur auf Gültigkeit überprüft. Demnächst sollen alle Pässe systematisch mit den Datenbanken und Fahndungslisten aller Ermittlungsbehörden in Europa abgeglichen werden. Diese Prüfung war bis lang im Schengen-Grenzen-Code ausdrücklich verboten. Das müsse sich ändern, um Terrorbedrohungen begegnen zu können, begründete EU-Vizepräsident Frans Timmermans diesen Schritt. "Die gegenwärtigen Sicherheitsrisiken wurden uns noch einmal tragisch durch die Terrorattacken in Paris vor Augen geführt. Sie machen Handeln dringend erforderlich."

Es sei zwar falsch, die Themen Flüchtlinge und Terroristen zu vermischen, sagte Timmermans, aber effektive Grenzkontrollen seien nun einmal entscheidend für die Sicherheit aller. "Die wachsende Zahl von EU-Bürgern, die zu Terrorzwecken ausreisen und wieder einreisen, ist nur einer der Gründe, warum wir auf effiziente Kontrollen an den Außengrenzen nicht verzichten können." Die EU-Innenminister hatten bereits Ende November eine Verschärfung der Grenzkontrollen gefordert.

Automatische Passkontrolle (Foto: dpa/picture alliance)
Datenabgleich wird Pflicht für alle EU-BürgerBild: picture-alliance/dpa

Die EU-Kommission geht nicht davon aus, dass diese strengere Kontrolle zu langen Warteschlangen auf Flughäfen und an Landgrenzen führen muss. Durch schnelle zentrale Datenbanken müsste der Abgleich der EU-Bürger mit Fahndungslisten eigentlich reibungslos funktionieren, hofft die Kommission. Sollte es in den Ferien an manchen Grenzstationen zu Staus kommen, dann könnten die systematischen Kontrollen auch ausgesetzt werden. Diese strengeren Einreise- und Ausreisekontrollen sollen auch für Angehörige von Drittstaaten gelten, die kein Visum brauchen. Reisende, die ein Visum haben müssen, werden heute bereits im Visainformationssystem erfasst und überprüft.

Frontex soll schneller abschieben

Für abgelehnte Asylbewerber, die wieder ausreisen müssen, will die EU-Kommission ein europaweit einheitliches Reisedokument einführen. Dieser "Abschiebepass" solle auch von den Drittstaaten anerkannt werden, in die die Personen ohne Aufenthaltsrecht zurückreisen müssen. Pakistan und Sri Lanka etwa erkennen ein ähnliches Dokument heute nicht an.

Mit 17 Herkunftsländern hat die EU bereits sogenannte Rückführungsabkommen geschlossen. Die würden aber, so kritisiert die EU-Kommission, nur unzureichend umgesetzt. Von 500.000 Rückreisen, die pro Jahr angeordnet werden, würden nur 40 Prozent tatsächlich angetreten. Deshalb soll die Grenzschutzagentur Frontex auch ein sogenanntes Rückkehramt einrichten, das EU-­Mitgliedsstaaten künftig bei der Rückführung und Abschiebung abgelehnter Asylbewerber hilft.