EU will einstweilige Verfügung gegen Polen
15. Januar 2020EU-Justizkommissar Didier Reynders erklärte in Straßburg nach einer Sitzung der Kommission, der Europäische Gerichtshof (EuGH) solle erwirken, dass die Regierung in Warschau die Arbeit der Disziplinarkammer am Obersten Gerichtshof vorerst aussetzt. Das 2018 eingerichtete Gremium entscheidet über Strafen gegen Richterinnen und Richter. Die entsprechende Gesetzesvorlage wurde vom Parlament in Warschau jedoch noch nicht endgültig beschlossen.
Normalerweise äußert die EU-Kommission sich zu Gesetzesvorhaben der Mitgliedsstaaten in diesem Stadium nicht. Allerdings ist das Verhältnis zwischen Brüssel und Warschau schon länger angespannt. Der jüngste Vorstoß der EU reiht sich als Einzelaspekt in einen jahrelangen Streit der EU-Kommission mit der nationalkonservativen PiS-Regierung über verschiedene Justizreformen. Brüssel wirft Warschau vor, die Unabhängigkeit der Justiz systematisch zu beschneiden und die Gewaltenteilung zu untergraben. Mehrfach hat die Behörde vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt sowie ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge eingeleitet, das Polen theoretisch seine Stimmrechte im Kreis der EU-Länder kosten könnte.
Der polnische Regierungssprecher Piotr Müller reagierte auf die neue Forderung aus Brüssel umgehend. Die Disziplinarkammer handele im Einklang mit dem polnischen Recht, betonte Müller. Die Regulierung des Justizsystems sei die Domäne der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten und nicht von EU-Vorschriften betroffen.
Proteste gegen "Disziplinierung" von Richtern
Am Samstag hatten in Warschau Tausende Richter, Juristen und andere Bürger gegen Gesetzespläne der dortigen Regierung protestiert, die die Unabhängigkeit der polnischen Justiz weiter einschränken könnten. Dazu zählt auch die vom Parlament noch nicht endgültig beschlossene Gesetzesvorlage zur Disziplinarkammer. Diese soll nach Ansicht der Gegner dazu dienen, polnische Richter zu bestrafen, die sich kritisch über die Justizreformen der Regierung äußern. Das Gesetzesvorhaben stehe damit im Widerspruch zu den Grundsätzen der Europäischen Union. Unter anderem sei darin vorgesehen, dass Richter künftig mit Geldstrafen, Herabstufung oder Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Legalität oder die Entscheidungskompetenz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer Kammer infrage stellen.
qu/fab (dpa, afp)