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EU will afrikanische Einwanderer stoppen

Bernd Riegert, Brüssel29. Juni 2016

Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen "Pakte" gegen Migration mit afrikanischen Staaten schließen. Wer sich weigert, bekommt weniger Geld. Asyl-Aktivisten kritisieren das scharf. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Kenterndes Bott mit Flüchtlingen im Mittelmeer (Foto: Reuters/Marina Militare)
Flüchtlinge in Not: Kenterndes Boot vor Libyen (25.05.2016)Bild: Reuters/Marina Militare

Kurz vor dem Gipfeltreffen hat die EU-Grenzschutzagentur Frontex noch einmal gewarnt. Die Zahl der Migranten, die über das Mittelmeer Richtung Italien aufbrechen, nimmt zu. Die Startpunkte der Schlepperboote verlagern sich dabei zunehmend nach Ägypten, teilte der Chef der Agentur Fabrice Leggeri mit. Im Mai kamen 19.000 Migranten hauptsächlich aus Afrika in Italien an. Das sind ungefähr so viele wie im gleichen Monat vor einem Jahr.

Mehrere Hundert Menschen sind bei dem Versuch ertrunken, das Meer in seeuntüchtigen Booten zu überqueren. Die EU-Marine-Mission "Sophia" hat allein in der letzten Mai-Woche 13.000 Menschen aus Seenot gerettet. Aufgeschreckt von dieser Entwicklung hat die EU-Kommission ein Konzept zur Abschreckung von Migration erstellt, das sich an das Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge mit der Türkei anlehnt. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union billigten den Plan jetzt am Rande des ersten Gipfeltreffen nach dem Austritts-Referendum in Großbritannien ohne große Diskussion.

Geld für Kooperation

Die EU will die ankommenden Afrikaner, die laut Gipfel-Erklärung "überwiegend Wirtschaftsmigranten" seien, in ihre Herkunftsländer oder Transitländer zurückschieben oder verhindern, dass sie von dort überhaupt aufbrechen. "Wir haben beschlossen, die Arbeit mit afrikanischen Staaten an der Rückkehr von irregulären Migranten zu verstärken. Wir wollen Maßnahmen ergreifen, um die Situation in Libyen zu stabilisieren", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk in der Nacht.

Porträt Donald Tusk (Foto: Reuters/P. Noble)
Donald Tusk: Wir brauchen Abkommen mit AfrikaBild: Reuters/P. Noble

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini wurde beauftragt, mit Herkunfts- und Transitländern wie zum Beispiel Nigeria und Äthiopien, entsprechende Abkommen vorzubereiten. Länder, die bereit sind zu kooperieren, sollen mit Finanzhilfen und Investitionsprogrammen belohnt werden.

Ländern, die nicht mitarbeiten, sollen Entwicklungshilfe und Zollvorteile gestrichen werden. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen, die finanzielle "Hebelwirkung unter Einsatz aller entwicklungs- und handelspolitischen Maßnahmen" nutzen zu wollen. Bis zum Jahresende sollen die ersten sogenannten Migrations-Pakte mit afrikanischen Staaten geschlossen werden.

So sollte auch das Geschäftsmodell der Schleuser zerschlagen und die Menschen vor dem möglichen Ertrinken im Mittelmeer bewahrt werden, heißt es in der Erklärung der Staats- und Regierungschefs. Die Migrations-Pakte waren bereits beim Gipfeltreffen der EU mit afrikanischen Staaten auf Malta im vergangenen November auf den Weg gebracht worden. Jetzt sollen sie konkret ausgehandelt werden.

"Die Welt ist in Unruhe. Die Welt wartet nicht auf die Europäische Union. Wir müssen uns in der EU mit den Folgen von Instabilität, Krisen, Kriegen in unserer Nachbarschaft auseinandersetzen und bereit sein zu handeln", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Vorgehen der EU.

Scharfe Kritik an "zweifelhaften" Plänen

Wie Herkunftsstaaten wie Eritrea oder Somalia dazu gebracht werden sollen, ihre Grenzen zu sichern und die Ausreise von Flüchtlingen zu verhindern, ist unklar. Auch die Rückschiebung von abgelehnten Asylbewerbern in diese Staaten sei rechtlich fragwürdig, meinte Sara Tesorieri von der Entwicklungshilfe-Organisation "Oxfam" in Brüssel.

"Die EU gibt ihre Außenpolitik auf, mit der universelle Werte, besonders die Menschenrechte, verteidigt werden sollen. Und das für einen kurzsichtigen Plan, um Drittstaaten dazu zu bringen, Migration zu stoppen." Die angestrebte Zusammenarbeit der EU mit zweifelhaften Regimen in Afrika lehnt Oxfam ab: "Das ist der Versuch, die angenommenen Sicherheitsinteressen Europas über die Wohlfahrt und Rechte der Menschen zu stellen."

Der EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avaramopoulos, hatte angekündigt, dass die Europäische Union bis zum Jahr 2020 rund acht Milliarden Euro bereitstellen will. Die will man kooperierenden Staaten zahlen, die ihre Migrantenzahlen senken. Diesen Ansatz sieht der Entwicklungshilfe-Experte Carsten Mohr kritisch. Noch mehr Geld sei "ein plumper Köder" und würde nur Korruption und die "Kaste der Staatsfunktionäre" in Afrika fördern, erklärte Mohr als Vorstand der Organisation "Business Crime Control" in Berlin.

EU-Kommissar Avramopoulos will außerdem einen neuen Investitionsfonds mit einem Umfang von 32 Milliarden Euro für Afrika schaffen. Mit diesem Geld soll wirtschaftliche Entwicklung gefördert werden, um die Ursachen der Migration zu bekämpfen. Die Erfahrung hat in Brüssel jedoch gezeigt, dass auch Vorläufer dieses "Afrika-Fonds" von den EU-Mitgliedsstaaten nur schleppend mit den nötigen Finanzeinlagen gefüllt wurden.

"Afrikanische Staaten sollen Drecksarbeit machen"

Bereits am Tag vor dem EU-Gipfeltreffen hatte sich eine breite Koalition von 110 Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) gegen die neue EU-Afrika-Politik ausgesprochen. In einer Erklärung warnte das internationale NGO-Bündnis die EU davor, das internationale Recht auf Asyl massiv zu untergraben. "Die Verantwortung der EU hört nicht an ihren Grenzen auf", schreiben die NGO in ihrer Stellungnahme.

Der Geschäftsführer der deutschen Organisation "Pro Asyl", Günther Burkhardt, sagte im Deutschlandfunk, die EU setze auf eine "enthemmte Politik" und mache sich mit der angestrebten Zusammenarbeit mitverantwortlich für schwerste Menschenrechtsverletzungen im Sudan oder Libyen. "Jetzt soll die Entwicklungshilfe daran gekoppelt werden, dass die Empfängerländer bereit sind, für Europa die Drecksarbeit zu machen und Menschen aufzuhalten, die Schutz brauchen", sagte Günter Burkhardt. Das sei moralisch inakzeptabel und untergrabe den Flüchtlingsschutz. Es sei fraglich, ob Entwicklunghilfe so auf Dauer funktionieren könne.

Gleichzeitig mit ihrer neuen Migrationspolitik für Afrika billigten die Staats- und Regierungschefs auch das Konzept für einen neuen EU-Grenz- und Küstenschutz. Mit eigenen EU-Grenzbeamten, mehr Schiffen und Patrouillen soll vor allem die Seegrenze zur afrikanischen Nordküste besser abgesichert werden.

Aus der Flüchtlingskrise hatte die EU vor allem den Schluss gezogen, dass sie ihre Außengrenzen nach dem Modell Griechenland/Türkei absichern muss. Nur dann sei weiter ein offener Reiseverkehr innerhalb der EU möglich. Von legalen Migrationsmöglichkeiten in die EU, die bei früheren Gipfeltreffen wenigstens noch erwähnt wurden, ist in der jüngsten Erklärung nicht mehr die Rede.