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Politik

EU will Balkan an sich binden

10. März 2017

Neben dem Wirbel um die widerspenstigen Polen hat der EU-Gipfel sich auch mit den zunehmend kriselnden Nachbarn im Süden beschäftigt. Der West-Balkan soll nicht Russland überlassen werden. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Großbritannien Theresa May mit Angela Merkel und Dalia Grybauskaite beim EU Gipfel in Brüssel
Nicht nur Polen: EU-Gipfelteilnehmer beraten auch über den BalkanBild: picture-alliance/dpa/T. Monasse

"Es kann ja nicht nur um Polen gehen", seufzte ein EU-Diplomat nach dem ersten Gipfeltag in Brüssel. "Es gibt viele wichtige Probleme, und eines davon ist die Entwicklung auf dem Balkan." Mit der Lage in der unmittelbaren südlichen Nachbarschaft der EU befassten sich die Staats- und Regierungschefs - mit der polnischen Premierministerin Beata Szydlo am Tisch, beim gemeinsamen Abendessen. Die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Federica Mogherini, war gerade von einer Rundreise durch die Staaten auf dem westlichen Balkan zurückgekehrt und malte den EU-Führern ein eher bedrohliches Bild beim Essen. Russland, so ihr Fazit hinter verschlossenen Türen, versuche an vielen Stellen Einfluss auf Regierungen, Volksgruppen und Entscheidungen zu nehmen. Schon am Montag hatte Mogherini bei einem Treffen der EU-Außenminister gesagt: "Ich habe eine Region gesehen, die stärker als jemals zuvor auf verschiedenen Ebenen von Spannungen und Herausforderungen geprägt ist". 

Der Balkan könne zum Schachbrett werden, auf dem das "Großmacht-Spiel" gespielt werde, warnte Mogherini. "Die Sorge ist da und sie ist groß. Das mutmaßliche Ziel Moskaus: die Bindung der Region an die EU lockern und Russland als Alternative zu einer sich auflösenden Union darzustellen. Bei einem Auftritt im serbischen Parlament vergangene Woche wurde die EU-Außenbeauftragte Mogherini ausgebuht. Sie konnte am eigenen Leib feststellen, dass Europa auf dem Balkan auch starke Gegner hat. Vertreter der radikalen Partei skandierten "Russland, Russland" - Mogherini kam kaum zum Reden. 

Mazedonien EU Federica Mogherini mit Gjorge Ivanov in Skopje
Keine einfache Reise: Mogherini (li.) auf dem Balkan unterwegs, hier mit Mazedoniens Präsidenten IvanovBild: picture-alliance/AP Photo/B. Grdanoski

Endziel: Beitritt zur EU - irgendwann

Als Reaktion haben die Staats- und Regierungschefs der EU, diesmal formal wieder ohne Polen, den sechs westlichen Balkanstaaten ihre "uneingeschränkte Unterstützung" für die europäische Perspektive zugesichert. Alle Staaten sollen nach und nach, je nach Entwicklungsstand, irgendwann der Europäischen Union beitreten. "Wir halten unsere Versprechen", sagte der frisch wiedergewählte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dabei machten EU-Diplomaten klar, dass es bis zu einem Beitritt beispielsweise des fragilen Staates Bosnien-Herzegowina noch viele Jahre dauern kann. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einer "komplizierten" Situation in den Ländern. "Wir haben uns entschlossen, hier stärker helfend einzugreifen, um die europäische Perspektive dieser Länder zu stärken."

Eine Brücke ins Nirgendwo

"Wir haben den Balkan vernachlässigt", beklagte vor dem Gipfeltreffen ein EU-Diplomat, der mit der Region vertraut ist. Durch die vielen Krisen innerhalb der EU, die Migrationsproblematik und den Konflikt um die Ukraine habe man die Balkanstaaten in den letzten zwei Jahren nur noch als "Transitroute" oder "Balkanroute" wahrgenommen. Mazedonien steckt nach wie vor in einer tiefen innenpolitischen Krise. Serbien erkennt das Kosovo-Gebiet nicht als Staat an, was die meisten EU-Staaten tun, Russland jedoch nicht. In Montenegro ist das Parlament blockiert. Ein Putschversuch in Montenegro, hinter dem angeblich Moskau steckt, scheiterte letztes Jahr. Russland lehnt die NATO-Mitgliedschaft Montenegros ab. In Bosnien droht die serbische Teilrepublik mit ihrer Abspaltung vom Föderalstaat.

Die Staats- und Regierungschefs haben zwar Russland in ihrer Gipfelerklärung nicht namentlich genannt, aber "allen war klar, wer gemeint ist", sagte anschließend ein EU-Diplomat. Der Bundeskanzler von Österreich, Christian Kern, forderte seine EU-Kollegen auf, auf dem Balkan kein Vakuum entstehen zu lassen. Die USA zögen sich offenbar zurück, Russland könne die Chance nutzen, stärker Fuß zu fassen.

Viele ungelöste Konflikte

20 Jahre nach dem Ende der Bürgerkriege auf dem Balkan ist auch die Europäische Union frustriert darüber, das nationalistische Attacken der Nachbarstaaten untereinander an der Tagesordnung sind. Die ethnischen Konflikten in der Region, so beklagt ein EU-Diplomat, seien immer noch nicht gelöst. Die Europäische Union hatte deshalb schon vor drei Jahren die "Westbalkan-Konferenz" einberufen, die bisher in Berlin, Wien und Paris getagt hat. Sie soll zu einer engeren Bindung an die EU, aber auch zu einem Dialog der Beitrittskandidaten untereinander führen. In diesem Jahr wird Italien Gastgeber sein. Die britische Premierministerin Theresa May kündigte in Brüssel an, Großbritannien werde sich trotz Brexit weiter für den Balkan engagieren und selbst einen Westbalkan-Gipfel im Jahr 2018 ausrichten.

Paris Westbalkan Konferenz Delegationen applaudieren
Balkan-Gipfel in Paris 2016: Die EU will weiter vermitteln, helfen und zahlenBild: picture-alliance/dpa/S. De Sakutin

Die EU fordert die Balkanstaaten zu gutnachbarlichen Beziehungen auch untereinander auf und verspricht, Reformen auf allen Ebenen zu unterstützen. Es geht vor allem darum, rechtsstaatliche Institutionen vor einem möglichen Beitritt zu fördern und die wirtschaftliche Entwicklung zu stützen, heißt es dazu aus der EU-Kommission. In diesem Jahr erhält Serbien 215 Millionen Euro an Beihilfen, Kosovo 92, Albanien 92, Mazedonien 95, Montenegro 40 und Bosnien-Herzegowina 44 Millionen Euro. Eine Aufstockung der Mittel ist nicht geplant. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die Aufnahme von neuen Mitgliedern während seiner Amtszeit ausgeschlossen. Im Moment ist die EU eher damit beschäftigt, einen Austritt, nämlich den von Großbritannien, zu organisieren.

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union