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PolitikSpanien

Europa-Gipfel in Granada: Was hat er gebracht?

Bernd Riegert aus Granada, Spanien
5. Oktober 2023

Verpasste Chancen beim Gipfel der Europäischen Gemeinschaft: Gespräche über die Krisenherde in Europa wurden vermieden, die Ukraine erhält dagegen Zuspruch.

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Spain Europe Summit
Europäische Politische Gemeinschaft: diplomatischem Basar und Speeddating der Staats- und Regierungschefinnen und -chefsBild: Manu Fernandez/AP/picture alliance

Auch das dritte Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG), die vor einem Jahr in Prag ins Leben gerufen wurde, war ganz von einem Thema dominiert, zumindest in den öffentlichen Äußerungen: der Abwehrkampf der Ukraine gegen die russische Aggression, der jetzt schon mehr als 18 Monate dauert. Der begehrteste Gesprächspartner für kurze bilaterale Begegnungen war auch diesmal wie schon im Juni, beim zweiten EPG-Gipfel in Moldau, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Der eigentliche Sinn der Europäischen Politischen Gemeinschaft besteht nicht darin, formale Beschlüsse zu fassen oder Erklärungen zu formulieren, sondern in einer Art diplomatischem Basar oder einem Speeddating. Hier sollen sich Staats- und Regierungschefinnen und -chefs zum politischen Plausch treffen, die sich sonst nicht oft sehen. Deshalb gehören zu der Gemeinschaft nicht nur die 27 EU-Mitglieder, sondern auch zehn Beitrittskandidaten zur EU sowie zehn Staaten, die der Europäischen Union nicht beitreten wollen. Außer Russland und Weißrussland sind fast alle europäischen Staaten vertreten. Das klare Signal dieses Formats: Dies ist eine antirussische Koalition.

Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Granada
Lockerer Plausch in spontanen Runden war das Konzept: Premiers Varadkar, Rutte, Scholz und Orban (v.li.n.re.)Bild: Ludovic Marin/AFP

Sorgen um die Einheit in Europa

In Granada war allerdings die Sorge zu spüren, dass die Koalition ein wenig bröckelt. Aus Ungarn, Polen und vielleicht auch bald der Slowakei sind kritische Töne am Umfang der Unterstützung für die Ukraine zu hören. Einige EU-Diplomaten, die nicht genannt werden wollen, unken, die Stimmung könnte nicht nur in Ost- und Mitteleuropa bald kippen. Auch in Spanien, dem Gastgeberland des Gipfels, sind durchaus kritische Töne in der Bevölkerung zu hören, die danach fragt, wann und wie der Krieg in der Ukraine beendet werden soll.

Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Granada | Selenskyj
Präsident der Ukraine in Granada: Stargast Selenskyj beschwört die Einheit Europas gegen RusslandBild: Fermin Rodriguez/AP/picture alliance/dpa

Die große Mehrheit der EPG setzt auf Geschlossenheit und einen Sieg der Ukraine gegen Russland. Mehr Waffen und Ausrüstung für den Winter wurden von einzelnen Staaten zugesagt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj formulierte es vorsichtig: "Die größte Herausforderung, die wir sehen, ist es, die Einheit in Europa zu wahren, um die Sicherheit und Stabilität unseres gemeinsamen europäischen Hauses zu sichern". Selenskyj sprach schon fast wie ein Staatschef eines EU-Landes. Die kriegsgebeutelte Ukraine will der EU so schnell wie möglich beitreten. Der ukrainische Präsident zeigte sich vor seiner Abreise nach Granada sicher, dass bald Beitrittsverhandlungen mit Brüssel aufgenommen werden können.

Erweiterung der EU bis 2030?

Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, hatte in Interviews in dieser Woche das Jahr 2030 als Zieldatum für einen Beitritt vorgegeben. Allerdings nicht nur für die Ukraine und Moldau, sondern auch für sechs Staaten auf dem Westbalkan, die seit vielen Jahren in einem langwierigen Annäherungsprozess an die EU stecken.

Charles Michel räumt zugleich ein, dass die EU in ihrem heutigen Zustand nicht in der Lage wäre, neue Mitglieder, ganz zu schweigen von einem 40-Millionen-Volk wie die Ukraine, aufzunehmen. Deshalb sollen am Freitag bei einem Gipfeltreffen der 27 EU-Staaten, ebenfalls in Granada, nötige Reformschritte bei Entscheidungsprozessen und Budgetfragen beraten werden.

Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Granada

Europa braucht die USA in der Ukraine

Diskutiert wurde beim Europäischen Gemeinschafts-Gipfel auch die für die Ukraine bedrohliche Entwicklung in den USA. Weitere Finanzhilfen in Milliardenhöhe für Rüstungsgüter könnten in einem erbitterten Haushaltsstreit im amerikanischen Kongress steckenbleiben. Ohne das von US-Präsident Joe Biden gegenüber den westlichen Verbündeten und der Ukraine erneut zugesagte Geld, könnte die Ukraine den Krieg mit Russland auf keinen Fall gewinnen, meinen Militärexperten. Bislang haben die USA rund 75 Milliarden Euro in die Ukraine gepumpt, halb so viel wie die 156 Milliarden Euro, die bislang von allen Staaten Europas zusammengenommen zugesagt wurden. Ohne die USA würde es nicht gehen, meinte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. "Jeder, der möchte, dass Putin diesen Krieg nicht gewinnt, muss nach Wegen für die USA suchen, die Hilfen wieder aufzunehmen", mahnte der EU-Chefdiplomat. Natürlich könne die EU finanziell noch mehr leisten, aber "die USA sind sozusagen unersetzlich bei den Hilfen für die Ukraine."

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich zuversichtlich, dass er weiter "zu 100 Prozent" auf die Unterstützung des Weißen Hauses und auch der beiden Kammern des Kongresses zählen könne.

Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Granada
Armeniens Premier Paschinjan und EU-Präsident Michel im trauten Gespräch: Aserbaidschan schwänzt den GipfelBild: Ludovic Marin/AFP

Aserbaidschan sagt Treffen ab

Neben den vielen informellen Gesprächen im festungsartig gesicherten Kongresszentrum von Granada sorgten zwei Begegnungen, die beim politischen Speeddating nicht stattfanden, für Aufmerksamkeit. Der Präsident Aserbaidschans, Ilham Aliyev, erschien nicht. Seine Truppen hatten vor zwei Wochen die armenisch bewohnte Enklave Berg-Karabach angegriffen und eine Massenflucht von 120.000 Armeniern ausgelöst. In Granada war eigentlich ein Treffen mit dem armenischen Präsidenten Nikol Paschinjan unter Vermittlung von Frankreich, Deutschland und der EU vorgesehen, um Schritte zu Frieden auszuloten.

Weiße Tische für 47 Delegationen stehen im Karree auf einem leuchtend blauen Boden. In der Mitte zeigen große Bildschirme die jeweiligen Sprecherinnen und Sprecher
Ein sehr großer Konferenztisch für 47 Delegationen in Granada: Um sich zu sehen, braucht man VideobildschirmeBild: Ludovic Marin/AFP

Der Ratspräsident der EU, Charles Michel, zeigte sich "schockiert" über die Aggression Aserbaidschans und sagte Armenien mehr Unterstützung zu, auch bei der Unterbringung der Flüchtlinge. Die EU strebt an, Armenien, das bislang Russland nahestand, näher an Europa heranzuführen.

Serbien und Kosovo reden nicht miteinander

Ein weiteres Gespräch in einem akuten Konflikt hätte in Spanien stattfinden können, weil beide Parteien mit ihren Präsidenten vertreten waren: Serbien und Kosovo. Doch die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani sagte, Kosovo sei Opfer eines serbischen Angriffs. Es habe keinen Sinn den "Aggressor" Alexandar Vucic zu treffen. Zuerst müsse die EU Sanktionen gegen Serbien verhängen. Vucic sagte an anderer Stelle im Kongresszentrum lapidar, man werde die Krise lösen. Außerdem wolle er nur mit dem kosovarischen Premierminister Albin Kurti verhandeln.

Nach der Verfassung Kosovos hat Präsidentin Osmani hauptsächlich repräsentative Aufgaben. Die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo, das von Belgrad als abtrünniger Landesteil betrachtet wird, waren in den letzten Wochen stark gestiegen. Dreißig serbische Milizen hatten im Norden Kosovos vor einer Woche ein Dorf überfallen. Dabei war ein kosovarischer Polizist getötet worden. Serbien soll Truppen an der Grenze zu Kosovo zusammengezogen haben. Die NATO verstärkt ihre 3400 Männer und Frauen umfassende Friedenstruppe KFOR, um den Spannungen zu begegnen. Politisch gab es dazu in Granada Schweigen der Parteien. Eine verpasste Chance.

Vjosa Osmani in Granada, Spanien
Scharfe Worte: Kosovos Präsidentin Osmani fordert Strafen der EU gegen SerbienBild: Bernd Riegert/DW

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatte Anfang der Woche gewarnt: "Es darf zwischen Serbien und Kosovo keine weitere Eskalation geben. Der politische Prozess muss fortgesetzt werden." Baerbock appellierte an Serbien, seine Truppen an der Grenze zu reduzieren. Von serbischer Seite hieß es, die Truppen hätten wieder ihre normale Stärke erreicht. Die kosovarische Außenministerin Donika Gervalla-Schwarz hatte in einem Interview gesagt, sollten EU und NATO die serbische Vorgehensweise dulden, drohe ein neuer Krieg auf dem Balkan. Diese Wortwahl machte sich die Präsidentin Kosovos heute in Granada nicht zu eigen. Serbien und Kosovo wollen beide zur Europäischen Union gehören. Serbien verhandelt bereits über eine Mitgliedschaft. Kosovo ist nur ein möglicher Beitrittskandidat, auch deshalb, weil nicht alle 27 EU-Staaten Kosovos Staatlichkeit anerkennen, darunter Spanien.

Postkarte der Alhambra
Die berühmte Alhambra können Touristen in Granada nur auf Postkarten sehen. Wegen eines Gipfel-Dinners ist die Sehenswürdigkeit gesperrt.Bild: Bernd Riegert/DW

Türkei ebenfalls nicht beim Gipfel dabei

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan glänzte in Granada ebenfalls durch Abwesenheit beim Gipfel. Angeblich war er verschnupft darüber, dass die EU ihn nicht in Gespräche mit Aserbaidschan und Armenien um den Berg-Karabach-Konflikt einbeziehen wollte. Das hatte Aserbaidschan gefordert, das der Türkei traditionell nahe steht. Aus dem türkischen Präsidialamt hieß es nur, es gebe terminliche Schwierigkeiten. So fiel auch ein Gespräch von EU-Politikern mit dem Beitrittskandidaten Türkei aus. Die Türkei verhandelt seit 2005 mit der EU. Jüngst drohte Erdogan mit einem kompletten Abbruch der Verhandlungen, die seit vielen Jahren wegen der autokratischen Tendenzen des Präsidenten und immer schlechteren Beziehungen mit der EU auf Eis liegen.

Gipfel sind ein Wert an sich?

Trotz wenig greifbarer Ergebnisse hält der Politik-Expert Steven Blockmans von der Denkfabrik "Centre for European Policy Studies" in Brüssel das Format der nur locker verbundenen Europäischen Politischen Gemeinschaft für sinnvoll. "Allein die Tatsache, dass man sich weiter trifft, Möglichkeiten für Begegnung und einen möglichen konstruktiven Ansatz offenhält, ist positiv. Ohne solche Treffen gäbe es solche Möglichkeiten erst gar nicht. Das ist was die Befürworter der EPG sagen würden", meint Steven Blockmans im Gespräch mit der DW. Der nächste Gipfel kommt bestimmt, und zwar in Großbritannien. Der genaue Ort und ein Datum liegen noch nicht fest.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union