Europas Juden beklagen mehr Antisemitismus
7. Dezember 2018Laut Umfrage haben 89 Prozent der befragten europäischen Juden aus zwölf EU-Ländern den Eindruck, dass Antisemitismus in ihrem Land seit 2013 zugenommen habe. 85 Prozent sehen Antisemitismus als derzeit größtes Problem in ihrem Land. Dem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge überlegen 38 Prozent der europäischen Juden, ob sie auswandern sollen. Als Grund dafür sehen sie die mangelnde Sicherheitslage für Juden in ihrem Heimatland. Mehr als jeder vierte Befragte (28 Prozent) gab demnach an, im vergangenen Jahr antisemitisch belästigt oder angegriffen worden zu sein.
Die Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ist angeblich die zweite ihrer Art, die Erfahrungen von Juden mit Hasskriminalität, Diskriminierung und Antisemitismus in der Europäischen Union untersucht. An der Erhebung nahmen 16.395 Personen teil, die insgesamt 96 Prozent der jüdischen Bevölkerung in der Europäischen Union abdecken. Eine erste FRA-Studie zum Antisemitismus in Europa war 2013 veröffentlicht worden.
Knobloch begrüßt EU-Erklärung
Derweil begrüßten jüdische Organisationen die Erklärung der EU-Innenminister zur Bekämpfung von Antisemitismus. "Ich freue mich sehr über das deutliche Signal", sagte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, in München. Die Sicherheit des jüdischen Lebens und der Kampf gegen Antisemitismus müssten angesichts der aktuellen Bedrohungen aus verschiedenen politischen Richtungen überall in Europa höchste Priorität haben, so Knobloch.
Ähnlich äußerte sich der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder. Die Erinnerung an den Holocaust verblasse langsam. In diesem Zusammenhang sei die Erklärung ein klares Signal der EU-Mitgliedstaaten, Diskriminierungen von Juden entschlossen zu begegnen.
Am Donnerstag hatte die EU-Innenminister in Brüssel eine Erklärung zum Kampf gegen Antisemitismus beschlossen. Darin rufen sie EU-Innenminister auf, jüdische Gemeinden und Institutionen besser zu schützen. Die EU-Mitgliedstaaten sollten die notwendigen Maßnahmen finanzieren. "Antisemitischer Hass bleibt weit verbreitet", heißt es in der Erklärung. In den vergangenen Jahren habe die Zahl der gewalttätigen Übergriffe mit antisemitischem Hintergrund zugenommen. Jüdische Gemeinden seien in einigen EU-Mitgliedstaaten in besonderer Weise gefährdet.
Mehr Fortbildungen
Die Minister sprechen sich außerdem für mehr Fortbildungen für Lehrer, Polizisten und Richter aus, um antisemitischen Tendenzen besser entgegentreten zu können. Judenfeindliche Äußerungen im Internet sollen durch einen Verhaltenskodex für Internetunternehmen bekämpft werden.
Die Innenminister riefen die Mitgliedstaaten zudem dazu auf, die internationale Definition von Antisemitismus der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken zu übernehmen. Diese sei nützlich als Richtlinie in der Bildung und bei den Sicherheitsbehörden. "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann", heißt es darin. Dies könne sich in Worten oder Taten gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen, ihr Eigentum sowie gegen jüdische religiöse Einrichtungen wenden. Die Bundesregierung hatte im September beschlossen, sich der Definition anzuschließen.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem zeigte sich verhalten optimistisch. "Als Erklärung ist das ein historisches Dokument, die Frage ist die Umsetzung", sagte Leiter Efraim Zuroff. Es müsse sich erst noch zeigen, wie ernst die 28 unterzeichnenden Staaten das Dokument nehmen würden. Das israelische Außenministerium begrüßte die Erklärung. Dies sei eine "bahnbrechende Entscheidung", die Sicherheit von jüdischen Gemeinden in Europa voranzubringen und den Kampf gegen Antisemitismus zu stärken.
kle/wa (dpa, kna, epd)