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Europas Startups fehlt der Durchbruch

3. Juni 2017

Europa hat zwar immer mehr Startups, doch zum Durchbruch schaffen es die wenigsten. Denn ihnen fehlt meistens ein Risikofinanzierer und das Wissen, wie Märkte funktionieren.

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Das Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach
Bild: picture-alliance/dpa/N. Armer

Guillaume Charpentier könnte das Leben von rund zwei Millionen Menschen in Europa erheblich erleichtern. Der Diabetologe, also Arzt für Zuckerkranke, hat mit seinem Startup Diabeloop ein System entwickelt, um Diabetikern automatisch die notwendige zuckersenkende Insulin-Dosis zu verabreichen.

Guillaume Charpentier  Marc Julien
Guillaume Charpentier (r.) und sein Geschäftsführer Marc JulienBild: DW/L.Louis

Eine womöglich bahnbrechende Erfindung. Doch das nötige Kapital für den Durchbruch wird Charpentier wohl kaum in Europa finden. Denn hier tummeln sich zwar immer mehr Startups, was aber häufig fehlt, sind potente und vor allem risikobereite Investoren. Und das, obwohl Europa dringend junge Unternehmen mit Wachstumspotenzial brauchen könnte.

Diabeloop verbindet die heute gängigen Blutzuckermesser und Insulinpumpen durch ein System der künstlichen Intelligenz. Das berechnet den Insulinbedarf mithilfe zweier Algorithmen. "Die am Arm befestigte Pumpe springt dadurch im richtigen Moment an und gleicht den Zuckerspiegel aus", erklärt der Arzt am Rande einer Konferenz zu Startups des Gesundheitssektors in Paris, organisiert vom Innovationsförderer Europäisches Institut für Innovation und Technologie (EIT). "Die richtige Dosierung ist extrem wichtig - schließlich können Unter- oder Überzuckerung langfristig zu Gedächtnisverlust oder auch Organschäden führen."

Das große Geld ist rar in Europa

Rund vier Millionen Euro hat das junge Unternehmen in den ersten zwei Jahren von privater und öffentlicher Seite gesammelt. Die nächsten 14 Millionen Euro sollten bald fließen – zur Hälfte von der öffentlichen Bank Bpifrance, zur anderen Hälfte von privaten Investoren. Doch Letztere haben sich ganz schön lange bitten lassen – viel länger, als das in den USA der Fall gewesen wäre, so Charpentier. "Die nächste Kapitalrunde, um die klinischen Studien zu Ende und unser Produkt auch auf den amerikanischen Markt zu bringen, werden wir deshalb wohl in den USA durchführen", erklärt er.

Diabeloops Finanzierungsschwierigkeiten sind symptomatisch für Europa, meint Philippe Tibi, Professor für Finanzen an der Pariser Universität Ecole Polytechnique. "Von den weltweit rund 120 Milliarden Euro Risikokapital jährlich entfallen auf Europa nur rund zwölf Prozent – zwei Prozent davon auf Frankreich, zwei auf Deutschland", sagt er. In den USA hingegen würden 60 Prozent des Geldes investiert, in China 25 Prozent. Denn in Amerika habe man, anders als in Europa, über Jahrzehnte hinweg eine gewisse Innovations- und Investitionskultur gepflegt. 60 Prozent der weltweiten sogenannten Einhörner seien in den USA – also Startups, die mit mindestens einer Milliarde Dollar bewertet sind. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland seien hauptsächlich traditionelle Industrieunternehmen in den Aktienindizes und nicht etwa Internet-Riesen wie Amazon oder Facebook.

Größere Startups könnten nötige Jobs schaffen

Dabei benötige Europa dringend junge, stark wachsende Unternehmen. "Solche Startups erneuern die Wirtschaft und schaffen Jobs, vor allem für junge Leute," sagt Tibi. Jeder Zehnte ist arbeitslos in Frankreich, unter jungen Leuten sogar jeder Vierte. "Gerade in Frankreich brauchen wir deshalb Startups – schließlich haben wir nicht den dynamischen deutschen Mittelstand, der Innovationen schafft und investiert." Rund 96 Prozent der französischen Betriebe sind Kleinunternehmen.

Carsten Mahrenholz
Carsten Mahrenholz: "Man muss seine Ideen an die Bedrürfnisse des Marktes anpassen"Bild: DW/L.Louis

Von einem Mangel an Risikokapital in Europa will Carsten Mahrenholz nichts wissen. Der Molekularbiologe und seine sieben Kollegen des Startups Coldplasmatech, angesiedelt in Mecklenburg-Vorpommern, haben einen sogenannten Dermalregenerator entwickelt. Unter blauem Leuchten erzeugt das Gerät kaltes Plasma über chronischen Wunden, regt die Heilung an und desinfiziert sie. "Das ist fast wie bei der Science-Fiction-Serie Star Trek, bei dem ein blauer Strahl Wunden verschließt," sagt er. Seit der Unternehmens-Gründung 2015 hat das Team rund 1,75 Millionen Euro eingesammelt – von Investoren und strategischen Partnern. Bis Ende des Jahres will Mahrenholz noch zwei zusätzliche Millionen Euro einwerben. Er ist sich sicher, dass er die bekommt.

Es fehlt das Verständnis für Marktmechanismen

"Wir haben von Anfang an unser Geschäftsmodell an den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtet," sagt er. Allein in Deutschland gebe es rund 4,2 Millionen Menschen, die an chronischen Wunden litten – vor allem durch Diabetes und Wundliegen. Die Behandlungskosten beliefen sich auf gigantische sechs Milliarden Euro. "Deswegen haben wir nun auch genug interessierte Investoren."

Dass viele andere Gründer, vor allem im Gesundheitsbereich, Schwierigkeiten haben, Kapital einzusammeln, liege oft daran, dass ihnen das Verständnis für Marktmechanismen fehle, meint Mahrenholz. "In Europa ist die Wissenschaft immer noch zu weit vom Markt entfernt. Die Startupper haben eine rosarote Brille auf und sind nicht in der Lage, Niederlagen wegzustecken – dabei helfen ja gerade die, ein Produkt so weiterzuentwickeln, dass es zum Markt passt!" An Orten wie im amerikanischen Gründerparadies Silicon Valley sei das anders. Dort gebe es auch so viele verschiedene Talente auf einem Haufen, dass Wissenschaftler und Manager automatisch zusammenkämen und -arbeiteten. "Davon sollten wir uns in Deutschland etwas abgucken!" fordert der Unternehmer.

Dominik Schumacher
Dominik Schumacher, Mitgründer von Tubulis TechnologyBild: DW/L.Louis

Solche Business-Kontakte will das Europäische Institut für Innovation und Technologie EIT vermehrt herstellen. Seit 2010 hat die von der EU geförderte Organisation sechs sogenannte Innovationsgemeinschaften aufgesetzt, in denen 900 Partner aus Industrie, Forschung und Bildung zusammengekommen sind. Über 200 Startups hat man so gefördert. In den Kursen des EITs sollen Studenten und Startups aus den Bereichen Klimawandel, Energie oder auch Gesundheit lernen, was für die Gründung und Entwicklung notwendig ist. So sind zum Beispiel 2016 zehn Startups aus dem Bereich Gesundheit durch Europa getourt und haben 130 potenzielle Stakeholder getroffen.

Das deutsche Startup Tubulis Technology war eins von ihnen. Es entwickelt molekularen Superkleber, der Chemotherapie wirksamer machen und deren Nebenwirkungen senken soll. "Dass unser Produkt genau in eine Marktlücke passt, haben wir erst verstanden, als wir die Investoren getroffen haben", sagt Mitgründer Dominik Schumacher. So hätten er und sein Mitgründer das Projekt in diese Richtung weiterentwickeln und dadurch 1,29 Millionen Euro vom Exist-Forschungstransfer-Programm des deutschen Wirtschaftsministeriums bekommen können. Im Jahr 2015 waren die beiden mit dem Ursprungsprojekt noch bei genau dem gleichen Programm abgelehnt worden.

Martin Kern EIT-Direktor
EIT-Direktor Martin Kern: "Wir haben etwas geschlafen"Bild: DW/L.Louis

Europa hat Potenzial

Solche Beispiele zeigten, dass es in Europa durchaus Innovationspotenzial gebe, meint EIT-Direktor Martin Kern. "Natürlich haben wir etwas geschlafen, als in den USA Internetriesen wie Amazon oder Google entstanden," sagt er. "Die sind uns  ganz klar in der Digitalisierung vorausgeeilt – zudem in einem Markt, in dem für Markführer das Prinzip 'The winner takes it all' gilt." Dennoch könne Europa aus seinen Wirtschaftsstrukturen eine Tugend machen. "Gerade im Bereich Energiewende ist zum Beispiel Deutschland anderen Ländern klar voraus. Junge Unternehmen wie das vom EIT geförderte Tado könnten da die digitalen Riesen der Zukunft werden", meint er. Das deutsche Unternehmen entwickelt intelligente Thermostate, die automatisch die Heizung regulieren und energieeffizient sind. Tado hat inzwischen über 100 Angestellte und bereits um die 80 Millionen Euro Risikokapital eingesammelt.

Das große Risiko-Kapital dafür soll künftig auch vermehrt von europäischen Investoren kommen. Deswegen setzt die Organisation gerade einen Wachstumsfonds für Startups auf, für den sie Geld von der Industrie einwirbt.