Europaweiter Kampf gegen islamistischen Terror
10. November 2020Präsident Macron erinnert an den folgenschwersten Anschlag in Europa um seiner Initiative Gewicht zu verleihen: In drei Tagen jährt sich die mörderische Attacke im Pariser Musikclub Bataclan vom November 2015 mit 130 Todesopfern. Seitdem kam Frankreich kaum zur Ruhe und die jüngste Anschlagserie in Paris, Nizza und Wienveranlasst Macron, erneut drastischere Maßnahmen in der EU zu fordern.
Schnelles und koordiniertes Handeln
Der französische Präsident macht mehrere Fehlstellen im europaweiten Kampf gegen den Terror aus, vor allem an den undichten Außengrenzen. Der Attentäter von Nizza war nur Tage zuvor aus Italien nach Frankreich gereist, über die offene Schengengrenze, nachdem er kurz zuvor als illegaler Migrant aus Tunesien über die Mittelmeer-Route in die EU gekommen war.
Diesen Weg nach Europa zu schließen fordern Regierungschefs seit Jahren: Die Verstärkung der Grenzagentur Frontex, der Einsatz von EU-Grenzbeamten, der Kampf gegen die Schleuser – all dies wurde endlos und mit begrenztem Erfolg diskutiert. Jetzt will der französische Präsident eine "tiefgreifende" Reform der Schengenregeln, die den offenen Grenzverkehr in der EU gewährleisten. Frankreich selbst hat bereits die Verdoppelung der eigenen Grenzbeamten und mehr Kontrollen angekündigt.
Der niederländische Premier Mark Rutte räumt dabei ein, er mache sich "Sorgen"" um die Zukunft von Schengen. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel beruhigt, man wolle die Reisefreiheit erhalten - sie dient ja auch dem reibungslosem Warenverkehr - aber man müsse jetzt endlich umsetzen, was längst beschlossen sei, etwa das Exit-Entry-System, mit dem alle Ein- und Ausreisen in die EU an den Grenzen registriert werden sollen. Außerdem könne man auch mit Maßnahmen wie der Schleierfahndung hinter den Grenzen gute Erfolge erzielen.
Präsident Macron kritisiert darüber hinaus, dass das Asylrecht in Europa missbraucht werde – dabei bezieht er sich wohl auf die allzu leichte Reise des Nizza-Attentäters in die EU. Diese Klagen reichen zurück bis ins Jahr der Flüchtlingskrise 2015, aber konkret ist relativ wenig geschehen. Obwohl vor allem osteuropäische Mitgliedsländer Grenzzäune gebaut haben, scheint die Mittelmeerroute noch immer die offene Flanke der EU zu sein.
Die Regierungschefs versprechen auch einmal mehr die bessere Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten. Das nützt allerdings wenig, wenn wie im Wiener Fall slowakische Behörden ihre österreichischen Kollegen vor einem versuchten Munitionskauf des späteren Attentäters gewarnt hatten, und man in Wien nicht darauf reagierte. Dennoch: Interpol soll gestärkt und der Austausch in der EU verbessert werden
Kampf gegen terroristische Propaganda
Angela Merkel will einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, wohl weil sie Gefahren sieht in zu allzu harten Slogans: "Es geht nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum", aber unser demokratisches Gesellschaftsmodell müsse sich mit terroristischen und antidemokratischen Inhalten auseinandersetzen. Dazu gehöre auch, mit islamischen Ländern über den gemeinsamen Kampf gegen den Terror zu reden.
Die EU-Kommissionschefin will in dem Zusammenhang auch über Prävention reden und bessere Perspektiven für Jugendliche. Sie seien weniger anfällig für Radikalisierung, wenn sie Chancen bekämen. Ende des Monats will Ursula von der Leyen deshalb einen "Aktionsplan für Integration" vorlegen. Als mögliches Vorbild wird häufig das niederländische Modell der De-Radikalisierung gelobt, das Polizisten, Sozialarbeiter und andere Experten zusammenbringt, um junge Menschen von Gewalt und Hass gegen die westliche Lebensform abzubringen.
Aber es geht auch um schärfere Regeln: Frankreich will zum Beispiel den Import von muslimischen Predigern aus dem Ausland verbieten, Imame sollen künftig im Land ausgebildet werden. Mit besseren Kontrollen in den Moscheen, in Organisationen mit islamistischer Ausrichtung und deren Finanzierung will man radikales Gedankengut und den Nachwuchs an gewaltbereiten Muslimen begrenzen. In Österreich etwa fanden am Wochenbeginn Großrazzien in Moscheen und Organisationen statt, denn Kanzler Sebastian Kurz will jetzt mit harter Hand durchgreifen.
Kurz warnt auch vor der besonderen Gefahr der "Foreign fighters", früheren IS-Kämpfern, die aus Syrien oder dem Irak zurückgekehrt sind und von denen tausende in der EU derzeit im Gefängnis säßen. Der österreichische Kanzler nennt sie "tickende Zeitbomben", denn sie würden in einigen Jahren entlassen. Er fordert schärfere Gesetze. Der Attentäter von Wien war ein solcher verhinderter IS-Kämpfer, der 2018 von türkischen Behörden an der Grenze zu Syrien abgefangen worden war. Vor einem Jahr war er dann in Österreich aus dem Gefängnis entlassen worden.
Kontrolle im Internet
Die bessere Kontrolle von radikalem und islamistischem Gedankengut - bis hin zu Mordaufrufen - im Internet steht seit Jahren auf dem Arbeitsprogramm der europäischen Regierungschefs. Experten gehen davon aus, dass gerade Jugendliche zunehmend über Hassprediger im Netz und weniger über persönliche Kontakte radikalisiert werden. Kommissionschefin von der Leyen will jetzt einen Vorschlag von 2018 zur "Bekämpfung illegaler Inhalte" umsetzen lassen und die großen Plattformen "stärker in die Verantwortung nehmen". Das heißt, sie müssen sofort handeln, wenn sie einen Hinweis auf solche Inhalte bekommen, kündigt Ursula von der Leyen an. Dabei gelte auch "je größer die Plattform, desto größer die Verantwortung".
Darüber hinaus wird diskutiert, die Verschlüsselung bei bestimmten Messenger-Diensten aufzuheben. Dir Idee erregte Aufsehen und dürfte nur begrenzte Unterstützung finden. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat hierzu einen vorsichtigen Vorschlag gemacht, der nur einen Dialog mit der Industrie über Lösungsvorschläge fordert, "die einen möglichst geringen Eingriff in die Verschlüsselungssysteme darstellen".
In einem Schreiben an kritische Europaabgeordnete erinnert der Rat daran, dass schon jetzt die Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf große Mengen an Daten und Informationen hätten und dass dieser Zugang "zielgerichtet und verhältnismäßig"" bleiben müsse. Im Dezember sollen sich die EU-Innenminister mit dem Thema befassen.