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Europäer arbeiten immer weniger - muss das sein?

Steven Beardsley
17. Februar 2024

In Europa stehen so viele Menschen in Lohn und Brot wie nie zuvor - und gleichzeitig fehlen Fachkräfte. Experten mahnen einen Kurswechsel an. Sollen bald mehr Arbeiter weniger arbeiten - oder umgekehrt?

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Die Mitarbeiter arbeiten an einer neuen Recyclinganlage.
Wann ist denn Feierabend? Eine Vollzeitjob mit 40-Stunden-Woche ist für viele in Europa nicht mehr reizvoll. Bild: Hendrik Schmidt/picture alliance/dpa

Wie bekommt man die Europäer dazu, mehr zu arbeiten? Diese Frage treibt einige der reicheren Volkswirtschaften in Europa um. Regierungen und Wirtschaftsvertreter in Deutschland, den Niederlanden und Österreich versuchen gerade, Überstunden attraktiver zu machen - etwa durch bessere Kinderbetreuung, Steuererleichterungen oder flexiblere Arbeitszeitgestaltung.

Dabei stehen ihnen die Absicht vieler Beschäftigter entgegen, tendenziell weniger arbeiten zu wollen. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit sinkt, während die Zahl der Teilzeitstellen zunimmt und Gewerkschaften das Ende der 38,5-Stunden-Woche erkämpfen wollen.

Der 47-jährige Gymnasiallehrer Martin Stolze meint dazu, man solle "arbeiten, um zu leben und nicht leben, um zu arbeiten". Das hält er für das Motto der Zeit. Er wolle gerade genug arbeiten, dass er davon leben könne und sich sonst Dingen widmen, die wirklich wichtig seien. Er habe nicht immer so gedacht.

Rekordbeschäftigung in Europa

Generell ist Erwerbsarbeit in Europa derzeit ebenso nachgefragt wie verfügbar. Die Beschäftigungsquote innerhalb der EU liegt bei fast 75 Prozent, während die "reicheren" Länder Deutschland, Österreich und Niederlande sogar Rekordzahlen in diesem Bereich melden. Der Anteil weiblicher Beschäftigter hat dabei deutlich zugenommen.

Ein Hauptgrund für die aktuelle Arbeitsmarktlage ist, so viele Wirtschaftswissenschaftler, der Anstieg der Teilzeitjobs. Derzeit arbeiten in den drei reicheren europäischen Ländern rund ein Drittel der Beschäftigten nicht "voll". In den Niederlanden arbeitet fast die Hälfte der Angestellten 35 Stunden oder noch weniger in der Woche. Zum Vergleich: In den USA trifft das nicht einmal auf jeden Zehnten zu. Und diese Entwicklung geht vor allem auf die Frauen zurück - sie müssen viel häufiger als Männer ihre Arbeitszeit mit Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen unter einen Hut bringen.                                                                                                

Eine hohe Beschäftigungsrate heißt demnach nicht, dass automatisch auch mehr gearbeitet wird. Obwohl in Deutschland von 2005 bis 2022 sieben Millionen Menschen mehr arbeiten, hat das Land nur einen vergleichsweise geringen Zuwachs an Arbeitsstunden verzeichnet. Im Durchschnitt hat ein Deutscher 2022 weniger als 1350 Stunden gearbeitet - das ist weniger als in jedem anderen Land innerhalb der Industriestaaten-Organisation OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung).

Dieser Gesellschaft gehe es ziemlich gut, fasste das im vergangenen Jahr Clemens Fuest, Chef des Ifo-Institutes in München zusammen: "Weniger Menschen müssen arbeiten, und es gibt mehr Freizeit." Aber er warnte auch vor der Kehrseite - einem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften in den kommenden Jahre.

Forderung nach Vier-Tage-Woche bei einer Mai-Demonstration in Erfurt
Viele Gewerkschaften fordern die Vier-Tage-Woche - hier bei einer Mai-Demonstration in ErfurtBild: Michael Reichel/dpa/picture alliance

Problematische Teilzeit

Teilzeitjobs sind in Branchen wie Erziehung und Kinderbetreuung, die personell dünn ausgestattet sind und in denen viele Stellen unbesetzt sind, bereits ein Problem. Wenn mehr Angestellte weniger als die volle Arbeitszeit erbringen, sei es, sagen die Verantwortlichen, schwer, genug Betreuungszeiten zu besetzen. Personalmangel, sagen viele Experten, werde zukünftig noch zunehmen, wenn die "Baby-Boomer-Generation" in den Ruhestand geht.

Maartje Lak-Korsten, Direktorin der Grundschule De Kleine Nicolaas in Amsterdam, berichtet, dass immer mehr Bewerber an nur vier Tagen in Woche arbeiten wollen. "Ich beginne ein Vorstellungsgespräch immer mit der Frage, warum sie vier Tage arbeiten wollen", sagt sie. "'Was brauchen Sie, um Vollzeit arbeiten zu können?' Ich zähle Ihnen die Vorteile auf - was die Bezahlung angeht und ihre Zukunftsaussichten, damit sie sich klar sind über die Folgen ihrer Entscheidung."

Für Arbeitgeber und Politiker ist es eine Herausforderung, dass viele Arbeitnehmer in den reicheren Staaten es sich leisten können, nicht Vollzeit zu arbeiten. In den Niederlanden, so der Ökonom Bastiaan Starink von der Universität in Tilburg, sei ein "1,5 Einkommen" vielfach zur Regel geworden. Das heißt, ein Partner in einem Haushalt mit zwei arbeitenden Mitgliedern arbeitet Vollzeit, der andere in Teilzeit. "Es ist wohl ein Luxus, das wir in den Niederlanden es uns leisten können, nicht voll zu arbeiten", sagt Starink.

Das betrifft nicht nur gemeinsame Haushalte: Die Architektin Thais Zucchetti aus Amsterdam arbeitete im vergangenen Jahr 28 Stunden die Woche, als sie ihr Studium abschloss. Bald werde sie wieder 32 Stunden arbeiten, weil ihr Arbeitgeber das so möchte. Der Grund dafür, sagt sie, sei nicht notwendig finanziell. "Ich denke, dass ich Moment mit 28 Stunden genug verdiene, um gut leben zu können", sagt Zuchetti. "Die Idee dahinter ist, dass ich, wenn ich weiter 28 Stunden arbeiten würde, ich aus meinen Hobby als Illustratorin vielleicht einen Nebenverdienst machen könnte.

Junge Leute an ihrem "CoWorking Space calle3" im Münsterland
Die Zukunft der Arbeit aus? Statt Büro könnte es der Co-Working-Space sein - an drei oder vier Tagen in der WocheBild: privat

Die Suche nach mehr Stunden

Arbeitgeber und Regierungen versuchen gerade herauszufinden, wie mehr Arbeitsstunden aus jenen Angestellten, die sie bereits beschäftigen, herauszuholen sind. Das deutsche Bundesland Baden-Württemberg hat damit begonnen, von allen Erziehern, die weniger als 75 Prozent arbeiten wollen, eine Begründung dafür zu verlangen - und das gilt auch für jene, die bereits eine reduzierte Arbeitszeit haben. Laut Erziehungsministerium betrifft diese Initiative, die Teil eines größeren Maßnahmepaketes ist, 4000 der 115.000 im Lande beschäftigten Lehrer.

Einer von ihnen ist Martin Stolze, Gymnasiallehrer für Englisch, der auf einer halben Stelle arbeitet. Die Teilzeit erlaube ihm, mehr Zeit für seine Eltern zu haben und sie mache die Schulwoche erträglicher. "Ich sehe großes Potential darin, mehr Arbeitsstunden herauszukitzeln. Aber ich glaube, dass meine Kollegen sehr, sehr gute Gründe haben, die nicht unter das Regelwerk fallen."

Andere Regierungen wählen freundlichere Ansätze, wenn sie auch oft schwierig sind. In den Niederlanden hat man sich darauf geeinigt, das Erziehungsgeld zu erhöhen. Das sollte bereits im nächsten Jahr geschehen, wurde wegen der angespannten Haushaltslage aber um zwei Jahre verschoben. Die konservativ-grüne Regierung in Österreich hat sich vom Plan verabschiedet, die Einkommenssteuer zu senken. Auch in Deutschland wird eine Reform der Besteuerung verschoben: Das sogenannte Ehegatten-Splitting, das Haushalte mit 1,5 Einkommen bevorteilt, soll doch nicht geändert werden. Dafür wird jetzt debattiert, dass Unternehmen - neben anderen Maßnahmen - auch "Homeoffice"-Angebote ausweiten sollen.

Homeoffice: Mann am Arbeitsplatz zu Hause
"Homeoffice"-Angebot als Alternative zur reduzierten Arbeistszeit? Interessantes Gedankenspiel Bild: Ina Fassbender/AFP via Getty Images

Das Potential in einem neuen Arbeitsmarkt

Eine niederländische Organisation wählt einen anderen Ansatz: Arbeitgebern zu helfen, ihr existierendes Personal länger arbeiten zu lassen. Die Non-Profit-Organisation "Het Potentieel Pakken", was ungefähr heißt: "Das Potential besser ausschöpfen", arbeitet mit ihren Klienten daran, wie man die Angestellten am besten anspricht und wie Arbeitspläne in kleineren Teams erstellt werden.

Zu großem Teil durch das Gesundheitsministerium finanziert arbeitet Het Potentieel Pakken vor allem mit Pflegediensten und Schulbehörden zusammen. Angestellte, die meisten von ihnen sind Frauen, seien typischerweise schon bereit, mehr zu arbeiten, sagt die Gründerin des Unternehmens, Wieteke Graven. Sie seien nur noch nicht gefragt worden.

"Es ist buchstäblich so", erzählt Graven, "dass wir Leute treffen, die vielleicht 50 Jahre alt sind und du fragst: 'Warum arbeitest Du 18 Stunden in der Woche?'" und sie antworten: "'Nun, ich habe vor 20 Jahren mit 18 Stunden angefangen und habe das einfach seitdem nicht geändert.'"

Für Graven ist das ein Zeichen, wie selbstverständlich Teilzeitarbeit inzwischen geworden ist. Daher sei es um so wichtiger, das Thema öffentlich zu diskutieren. "Ich denke, da gibt es immer dieses Spannungsfeld zwischen persönlichen Wünschen und den Anforderungen der Gesellschaft. Ich finde, das ist eine ganz fundamentale Debatte, die wir jetzt führen müssen."

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt.

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