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Angela Merkel wird 70: Glückwünsche und Kritik

17. Juli 2024

Deutschlands Altkanzlerin Angela Merkel feiert ihren 70. Geburtstag. Viele Deutsche sagen, es gehe dem Land schlechter als in ihrer Amtszeit.

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Das Bild zeigt Angela Merkels typische Haltung der Hände, die so genannte Raute, gebildet von den zusammengelegten Daumen und Zeigefingern beider Hände
Die Raute war das Erkennungszeichen der Frau, die Deutschland 16 Jahre lang regierteBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Ob diese Umfrage Angela Merkel freut, ist nicht bekannt: Rund zweieinhalb Jahre ist die frühere Bundeskanzlerin nun im Ruhestand. Glaubt man einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "YouGov", dann finden 61 Prozent der Deutschen, dass sich die Lage des Landes seitdem verschlechtert hat. "YouGov" befragte insgesamt 2300 repräsentativ ausgewählte Menschen in Deutschland. Nach den Gründen dafür gefragt, gaben 28 Prozent an, schuld sei die "schlechte Regierung" der Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP, die Merkels großer Koalition aus CDU/CSU und SPD im Dezember 2021 nachfolgte. Nur ein Viertel sagte, dass die Lebensverhältnisse in etwa gleich geblieben sind.

In Erinnerung: Merkels Nüchternheit und Pragmatismus

So pragmatisch und nüchtern, wie Merkel das Land von 2005 bis 2021 regierte, dürfte die frühere CDU-Vorsitzende auch diese Umfrage zur Kenntnis nehmen. Sie wird wissen, dass ihre Nachfolger mit heftigen Krisen zu kämpfen hatten und haben: mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, der damit einhergehenden Inflation, den hohen Energiepreisen, dem Krieg im Nahen Osten. Und mit der immer heftiger werdenden Polarisierung der Gesellschaft, mit dem Rechtspopulismus in ganz Europa,  der lähmenden Bürokratie, der kaputten Infrastruktur im Land.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht links neben Angela Merkel, hinten ihnen ist die deutsche Fahne zu sehen, beide zeigen eine Urkunde
"Ein Vorbild und ein Markenzeichen der Demokratie" nennt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Angela Merkel - im April 2023 verlieh er ihr das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik DeutschlandBild: Michele Tantussi/REUTERS

Seit 2021 hat sich Angela Merkel kaum gezeigt

Seit ihrem freiwilligen Abgang hat sich Merkel in der Öffentlichkeit weitgehend rar gemacht, was sie vorher auch so angekündigt hatte. Sie war die erste Regierungschefin im Nachkriegsdeutschland, die freiwillig aus dem Amt schied und 2021 einfach nicht zur Wiederwahl antrat. Und sie ist die erste, die das Rampenlicht offenbar wirklich nicht braucht. Trotzdem sind jetzt, zu ihrem 70. Geburtstag, viele Menschen da, die an sie denken und ihr gratulieren. Etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der zweimal in Regierungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel als Außenminister diente, für seine Partei, die SPD.

Steinmeier: "Vorbild und Markenzeichen unserer Demokratie"

Steinmeier würdigte Merkel jetzt in seinem offiziellen Geburtstagsgruß als "Vorbild und ein Markenzeichen unserer Demokratie". Besonders an ihr sei, dass sich Merkels 70 Lebensjahre ziemlich exakt in zwei Lebensphasen teilen ließen: "In die ersten 35 Jahre bis zum Fall der Mauer. Und in die zweiten 35 Jahre in der ersehnten Freiheit", so das Staatsoberhaupt. Und weiter: "Immer war es Ihnen wichtig, den Wert der Freiheit und den Wert der aufgeklärten Gesellschaft herauszustellen. Ihre Argumente waren so überzeugend, weil Sie aus eigener Erfahrung umso besser wussten, welchen unschätzbaren Wert das Leben in einer freiheitlichen Demokratie hat."

Angela Merkel leistet mit zum Schwur erhobener Hand den Amtseid als Bundeskanzlerin, der damalige Bundestagspräsident Mann hält ihr ein Schriftstück entgegen
22.11.2005: Amtseid als erste Bundeskanzlerin des Landes im Deutschen BundestagBild: Guido Bergmann/BPA/dpa/picture-alliance

Merkels Vater: "Weit hast du es ja noch nicht gebracht"

Damit ist Merkel immer konfrontiert worden: Mit ihrer Herkunft aus der früheren DDR, mit ihrer Geschichte als eher politikferne Physikerin, die erst in der aufregenden Wendezeit nach dem 9. November 1989  in die Politik fand, viel später als die zumeist männlichen Politiker aus dem Westen. Das wird auch in einer neuen, fünfteiligen Dokumentation in der Mediathek der ARD deutlich. Sie trägt den Titel "Schicksalsjahre einer Kanzlerin". 

Darin erzählt Merkel selbst, wie sie 1984, zu ihrem 30. Geburtstag, eine marode Altbauwohnung im damaligen Ost-Berlin bezieht. Ihre erste Ehe ist gerade gescheitert. Ihr Vater, ein Pfarrer, kommt zu Besuch. Merkel erzählt 40 Jahre später: "Er guckt sich da um, und statt einem Glückwunsch sagt er: Weit hast du es ja noch nicht gebracht."

Angela Merkels Karriere beginnt nach dem Mauerfall

Was sich für die folgenden Jahre kaum sagen lässt: Gerade im Rückblick mutet Merkels Weg von der stellvertretenden Pressesprecherin des ersten frei gewählten DDR-Ministerpräsidenten über die Bundesministerin bis hin zur langen Ära ihrer Kanzlerschaft sagenhaft an, fast irreal. Eine Karriere, die so wohl nur in den Jahren der Wende und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten beginnen konnte.

Seit ihrem Rückzug taucht Merkel nur ab und an in der Öffentlichkeit auf, manchmal durchaus überraschend, etwa im Mai dieses Jahres, als der frühere Umweltminister Jürgen Trittin von den Grünen seine politische Laufbahn beendete, ein Politiker, mit dem sie in ihrer aktiven Zeit wenig verband. Und zumindest einige kleine Schlagzeilen verursachte ein Treffen Merkels mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama in Berlin im Mai 2023. Ansonsten ist zu hören, dass Merkel fleißig an ihren Memoiren schreibt, die in diesem Herbst erscheinen sollen.

An einem gedeckten Tisch eines Berliner Restaurants sitzen Angela Merkel und Barack Obama und lächeln in die Kamera
Ein privates Treffen in Berlin: Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ex-US-Präsident Barack Obama in einem Berliner Restaurant Bild: Büro der Bundeskanzlerin a. D./dpa/picture alliance/dpa

Jens Spahn (CDU) nennt drei Fehler der Merkel-Jahre

Ihrer Partei, der CDU, ist Merkel weitgehend entfremdet. Auf keinem der Parteitage seit Dezember 2021 war sie dabei. Zu ihrem Geburtstag würdigt der heutige stellvertretende Fraktionschef Jens Spahn zwar Merkels Wirken, benannte im Nachrichtenmagazin "Focus" aber auch drei große Fehler: "Die massenhafte irreguläre Migration seit 2015 hat die deutsche Gesellschaft destabilisiert und überfordert", sagte der frühere Bundesgesundheitsminister. Fehler Nummer zwei: "Mit Putins Russland hätten wir spätestens ab 2014 ganz anders umgehen müssen." Der dritte Fehler sei der Ausstieg aus der Kernenergie nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 gewesen, sagt Spahn.

Hat Angela Merkel den Deutschen zu wenig zugetraut?

Spricht man mit Vertretern der heutigen Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP, dann sagen viele, Merkels Regierungszeit sei geprägt gewesen von der Haltung, den Deutschen möglichst wenig an Veränderungen zumuten zu wollen. Diese Veränderungen müssten nun im Eiltempo nachgeholt werden: die Digitalisierung, die Energiewende, dei Behebung des Fachkräftemangels. Und in einer Welt mit immer bedrohlicherem Nationalismus müsse das Land nun rasch lernen, sich selbst zu verteidigen, auch militärisch.

Aber selbst politische Konkurrenten wie Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen finden immer noch sehr wohlwollende Worte für die Frau, die das Land durch die Euro- und Finanzkrise führte und durch die Corona-Pandemie.  Im Juni schrieb Habeck in der Deutschland-Ausgabe der Zeitschrift "Rolling Stone" über Merkel, man habe sich immer vorstellen können, wie sie in aller Ruhe daheim Kartoffeln schälen oder Fernsehkrimis schauen würde. Das war offensichtlich als Kompliment gemeint: für Merkels Aversion gegen jede Eitelkeit.