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Vom Neonazi zum Pastor

Richard Fuchs8. Oktober 2012

Johannes Kneifel verletzte als 17-Jähriger einen Menschen so schwer, dass der an den Folgen der Gewalt starb. Nach fünf Jahren Haft macht der frühere Neonazi eine radikale Wende: Jetzt ist er Christ und bald Pastor.

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Johannes Kneifel (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Immer wieder rutscht dem Mann mit braunroter Kurzhaarfrisur, lässig geöffnetem Hemd und durchtrainiertem Körper ein schüchternes Lächeln über die Lippen, wenn er über seine radikale Kehrtwende spricht. Früher rechtsextrem und gewalttätig, studiert der heute 30-Jährige Theologie. Sein Wandel ist ohne jeden Zweifel spektakulär. Während sich Johannes Kneifel in Zukunft um das Seelenheil anderer kümmern will, war sein früheres Leben geprägt von Hass und Gewalt, Komasaufen und rechten Propaganda-Liedern.

Tags Gymnasiast, abends Rassist

Bereits als Minderjähriger wird Johannes Kneifel in seinem niedersächsischen Heimatort Eschede festes Mitglied der rechten Neonazi-Szene. Früh bricht er mit seinen schwerkranken Eltern, die ihn - wie er sagt - aus Überforderung ins Internat abschieben. "Ich kam aus einem sehr schambesetzten Hintergrund." Die rechte Szene kam ihm dann wie eine Erlösung vor, sagt er. Endlich hatte er etwas gefunden, auf das er stolz war.

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Früher Gewalttäter, bald Pastor: Johannes KneifelBild: DW

Im Internat Elze nahe Hannover führt Johannes Kneifel fortan ein Doppelleben: Tags ist er ein guter, auffassungsschneller Schüler, abends und am Wochenende lebt er das Leben eines Rassisten. Ohne Umschweife gesteht er ein, damals nicht Mitläufer, sondern überzeugter Anhänger der Rassenideologie gewesen zu sein. Er setzte auf die Kameradschaft der rechte Szene – und genau das sei ihm zum Verhängnis geworden, erinnert sich sein damaliger Internatsleiter Eckhard Nührig: "Ich bin mir sicher, dass Johannes die falschen Freunde hatte, die ihn stärker manipulieren als wir ihn führen konnten."

Die dunkelste Nacht seines Lebens

Zusammen mit seinem rechten Kameraden Marco S. begeht Johannes Kneifel dann jene Straftat, die sein Leben verändern sollte. Am 9. August 1999 machen sich der 17-Jährige und sein Freund zum Haus von Peter Deutschmann auf. Der 44-Jährige ist langjähriger Sozialhilfeempfänger, wird im Ort nur "Hippie" genannt, weil er sich für Frieden und Gewaltlosigkeit einsetzt.

Stark alkoholisiert wollen die beiden Neonazis Peter Deutschmann einen "Denkzettel" verpassen. Der "Hippie" hatte es gewagt, sie offen zu kritisieren. Sie schlagen ihn brutal bewusstlos, Peter Deutschmann bleibt schwer verletzt zurück. Noch im Krankenhaus stirbt er an den Folgen der Tat. Die Tat bringt den Minderjährigen Johannes Kneifel in Deutschlands größtes Jugendgefängnis.

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Kneifel musste hinter GitternBild: DW

Das Urteil: fünf Jahre Haft wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge. Psychologen bescheinigen ihm hinter Gittern seelische Störungen, zweifeln lange an seiner Abkehr von der Gewalt.

Abkehr von Rechts, Aufbruch zu Gott

Gefängnispastor Dieter Kulks begleitet Johannes Kneifel dabei, als er mit der rechten Szene bricht und beginnt, Gottesdienste zu besuchen. Für ihn ist dessen radikale Lebenswende glaubhaft, nicht nur, weil der sich immer zu seiner Schuld bekannt habe. "Daraus ist natürlich in ihm die Frage gewachsen, wem gegenüber er schuldig geworden ist und wer diese Schuld vergeben kann", erinnert sich Kulks. "Das war dann der Ansatz für religiöse Fragen."

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Dieter Kulks hat Hochachtung vor dem Neustart von JohannesBild: DW

Als Christ verlässt Johannes Kneifel den Jugendknast in Hameln, findet - verunsichert durch die neue Freiheit - Halt und Zuflucht in einer Baptisten-Gemeinde. Statt rechter Propaganda liest er dort Bibel-Texte, statt Maschinenbau-Ingenieur heißt sein neuer Traumberuf: Pastor. Nach einem einjährigen Gemeinde-Praktikum beschließt Johannes Kneifel, Theologie zu studieren. Fortan dreht sich bei ihm im theologischen Seminar nahe Berlin alles um Seminararbeiten und Gemeindearbeit.

Seine Geschichte - vom Neonazi zum Pastor - schreibt Johannes Kneifel in einem Buch auf. Für ihn die wohl schmerzhafteste Selbstreflexion seines Lebens. Für Kritiker dagegen ein weiterer Beweis, dass es dem geläuterten Neonazi von einst auch um Selbstprofilierung geht. Ein Vorwurf, den Johannes Kneifel nicht gelten lassen will. "Leute, die aus der rechten Szene aussteigen wollen, werden im Prinzip ins Schweigen und in die Anonymität gedrängt, weil es schwierig ist, mit so einer Vergangenheit gesellschaftliche Akzeptanz zu finden."

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Neustart mit dem Wort Gottes: Johannes Kneifel findet bei einer Freikirche den nötigen HaltBild: DW

Ex-Neonazi bald als Pastor tätig

Bald wird Johannes Kneifel seinen Dienst als Pastor einer evangelisch-freikirchlichen Baptisten-Gemeinde antreten. Er will dort arbeiten, wo andere auf die schiefe Bahn geraten. Vor allem in der Jugendarbeit an sozialen Brennpunkten will er mit seinem Wissen über gebrochene Biografien helfen. Er habe die Erfahrung gemacht, "mit meiner Vergangenheit für Menschen zum Ansprechpartner zu werden, für die andere Kirchenvertreter nie und nimmer Ansprechpartner wären".

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Johannes Kneifel am anonymen Grab seines Opfers Peter DeutschmannBild: DW

Das Schwierigste sei für ihn, so Kneifel, "mir selbst immer wieder zu sagen, dass meine Schuld gesühnt ist, um mir so immer wieder selbst die Chance zum Neuanfang zu geben, die mir Gott und die Gesellschaft gegeben haben". Denn nur wenn er selbst diesen Neuanfang lebe, könne er wirklich Vorbild sein. Dabei ist die Aufarbeitung seiner dunklen Vergangenheit für ihn zum Auftrag geworden: "Ich möchte für Menschen in ähnlichen Situationen klar machen, dass man da rauskommen und ein neues Leben anfangen kann."