Experten loben Nigeria
15. April 2010Die lange Abwesenheit des kranken Präsidenten Umaru Musa Yar’Adua und die Ungewissheit darüber, wer in der Hauptstadt Abuja die Macht ausübt, haben in den vergangenen Monaten in Deutschland alt-bekannte Schlagzeilen produziert: Land im Chaos. Nigeria am Rande des Bürgerkriegs. Die Gewalt rund um die Stadt Jos sowie der bröckelnde Frieden im Niger-Delta haben die Verwirrung weiter gesteigert. Deutsche Nigeria-Experten sehen die Lage des bevölkerungsreichsten Landes in Afrika jedoch weit weniger dramatisch.
Ethnische und religiöse Grenzen überwunden
Der Journalist und frühere Deutsche-Welle-Redakteur Heinrich Bergstresser will das, was sich in den letzten Monaten in Nigeria abgespielt hat, nicht als Krise bezeichnen. Bergstresser, der das Land seit Jahrzehnten kennt, sieht im Gegenteil eine bisher unbekannte Reife der Elite in der Art wie sie das Führungsproblem gelöst habe. Die wichtigen politischen Kräfte, allen voran die Gouverneure der 36 Bundesstaaten, hätten über alle ethnischen, religiösen und parteipolitischen Grenzen hinweg die Initiative ergriffen und einen unhaltbaren Zustand beendet, lobt Bergstresser.
Es sei grandios gewesen, so Bergstresser, dass ausgerechnet die Gouverneure, die immer so schlecht angesehen sind, sich grenzüberschreitend und parteiübergreifend zusammengesetzt hätten: "Sie haben das Parlament und die Regierung unter Druck gesetzt und deutlich gemacht: Jetzt muss was geschehen, es muss eine Regierung geben. Wir haben einen Vizepräsidenten, und der verdient es, das zu machen. Was anderes haben wir nicht und ihr müsst einen Weg finden, diesen Vizepräsidenten ohne Macht mit Macht auszustatten – und das haben sie geschafft".
Beziehungen zu Deutschland stabil
Auch Jaiye Doherty von der Nigerianisch-Deutschen Wirtschaftsvereinigung in Lagos zieht eine eher positive Bilanz der vergangenen Monate. Natürlich hätten deutsche Handelspartner gefragt, was denn da los sei in Nigeria. Die Ratlosigkeit sei groß gewesen, gibt Doherty zu, aber am Ende bleibe nun doch ein eher positiver Eindruck. "Ich denke, dass die Ereignisse der letzten Monate die deutsch-nigerianischen Beziehungen nicht gschwächt haben. Die Nigerianer haben gezeigt, dass sie eine Verfassung haben nach der sie sich auch richten".
Ähnlich sieht es auch Klaus Pähler von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die den deutschen Christdemokraten nahe stehende Stiftung wirbt in Nigeria mit Seminaren und Radio-Programmen für die Regeln der Demokratie. Auf die kommenden Monate bis zu den Wahlen im nächsten Frühjahr blickt Pähler nun mit größerem Optimismus als noch vor einigen Monaten. Da der amtierende Präsident Goodluck Jonathan bei den Wahlen wahrscheinlich nicht antreten wird, könne er wichtige Reformen anschieben, ohne viel Rücksicht nehmen zu müssen. "Wenn er jetzt zum Beispiel entschlossen die Wahlkommission reformiert und eine glaubwürdige Persönlichkeit an die Spitze der Wahlkommission setzt, wäre das ein Zeichen für die Entwicklung in die richtige Richtung".
Herausforderung Niger-Delta
Nach dem Austausch zahlreicher Minister verfüge Jonathan nun über ein ihm ergebenes Kabinett, sodass von dieser Seite wohl keine Sabotage zu befürchten sei, glaubt Pähler. Eine große Herausforderung bleibe der Konflikt im Niger-Delta. Obwohl Goodluck Jonathan selbst aus der Ölförderregion stammt, werde er die Probleme dort wohl nicht so schnell lösen können. "Wichtig ist, dass er die Priorität sieht, das Niger-Delta zu befrieden, denn wenn das nicht gelingt, dann hat Nigeria keine friedliche Zukunft vor sich".
Kritisch sehen die Nigeria-Experten das mangelnde Interesse an Nigeria in der deutschen Politik. Mit seinen 150 Millionen Einwohnern, seinem wirtschaftlichen Potential und seiner regionalpolitischen Bedeutung in Afrika sei das Land ein wichtiger Partner. Deutschland müsse sich da viel mehr engagieren als bisher, fordert zum Beispiel Robert Kappel, Präsident des außenpolitischen Forschungsinstituts GIGA.
Unzufrieden mit deutscher Politik
Auch Jan-Peter Stölken ist unzufrieden mit der deutschen Politik. Stölken ist Geschäftsführer der Firma Apeiron, die in Nigeria Technik und Dienstleistungen für den Gesundheitssektor anbietet. "Auf höherer politischer Ebene findet Nigeria nicht statt. Man unterstützt auch nicht die Firmen, die vor Ort aktiv sind".
Die mangelnde Unterstützung mache sich zum Beispiel in einer sehr restriktiven Visa-Politik bemerkbar, die Stölken als geschäftsschädigend bezeichnet. Auch hochrangige Geschäftspartner müssten erst ganz nach Lagos reisen, um persönlich ein Visum zu beantragen. Anders als andere wichtige Länder habe Deutschland bisher keine Visastelle in der zentral gelegenen Hauptstadt Abuja, kritisiert Stölken.
Autor: Thomas Mösch
Redaktion: Klaudia Pape