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EZB: Kurs halten und erst mal abwarten

29. Oktober 2020

Corona hält Europa fest im Griff, die Erholung der Wirtschaft gerät ins Stocken. Europas Währungshüter sehen dies mit Sorge. Noch legt die Europäische Zentralbank zwar nicht nach, erklärt sich aber dazu bereit.

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Deutschland Corona | EZB-Präsidentin Christine Lagarde
Bild: Reuters/R. Orlowski

Die Europäische Zentralbank (EZB) hält sich in der Corona-Krise weitere Notfallmaßnahmen offen. Zunächst bleiben sowohl das milliardenschwere Anleihenkaufprogramm als auch die Zinsen unverändert, entschied der EZB-Rat am Donnerstag in Frankfurt. Die Notenbank sei aber dabei, alle ihre Instrumente unter die Lupe zu nehmen, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde (Artikelbild) nach der Ratssitzung. Es gehe darum, den "richtigen Mix" zu finden, der der Lage am besten gerecht werde. Die Risiken für die Konjunktur nähmen eindeutig zu

Die Zentralbank wies darauf hin, dass die im Dezember erwarteten Wirtschaftsprognosen ihrer Volkswirte eine gründliche Neubeurteilung der Konjunkturaussichten ermöglichen würden: "Auf der Grundlage dieser aktualisierten Einschätzung wird der EZB-Rat seine Instrumente der Lage entsprechend neu kalibrieren, um auf die jeweilige Situation zu reagieren."

Erholung verlangsamt sich deutlich

Christine Lagarde sieht angesichts der zweiten Pandemie-Welle Risiken für die Konjunkturerholung im Euro-Raum. Die Wirtschaft im Euro-Raum habe sich zwar im Sommerquartal kräftig erholt, aber die steigenden Neuinfektionen in Europa sorgten für klaren Gegenwind, so Lagarde.

Die jüngsten Daten signalisierten, dass sich die Erholung im laufenden vierten Quartal verlangsame. Dies treffe vor allem die Dienstleister, die besonders unter der Virus-Pandemie und den Eindämmungsmaßnahmen der Regierungen litten.

"Weitere Schritte notwendig"

"Die Tür zum Handeln im Dezember steht weit offen. Lasst uns hoffen, dass sich die Lage nicht weiter verschlechtert, so dass die EZB früher durch diese Tür eilen muss als geplant", erklärte
ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Sein Kollege Uwe Burkert, Chefvolkswirt der LBBW, erklärte: "Es hatte sich unseres Erachtens über die vergangenen Wochen bereits angedeutet, dass
die EZB vor dem Jahresende geldpolitisch nochmals nachlegen dürfte." Die jüngste Verschärfung der Corona-Lage hat aus seiner Sicht die Ratsmitglieder nun noch stärker zu der Einschätzung
gebracht, dass weitere Schritte zur Konjunkturstützung notwendig würden.

Inflationskorridor weit verfehlt

Die jüngsten Konjunkturdaten deuten in der Tat darauf hin, dass das Rezessions-Risiko für den Euro-Raum wieder gestiegen ist. So fiel unter anderem der Einkaufsmanagerindex, der die Geschäfte von Industrie und Dienstleistern bündelt, im Oktober auf 49,4 Punkte von 50,4 Zählern im September.

Zudem verlor die Erholung der Industrie deutlich an Schwung. Die Inflation blieb darüber hinaus im September den zweiten Monat in Folge negativ: Mit minus 0,3 Prozent liegt sie weit unter der Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von knapp unter zwei Prozent.

Steigende Rezessionsgefahr

Auch nach Ansicht von EZB-Bankenaufseherin Kerstin af Jochnick könnte die Eurozone in vielen Ländern in eine Rezession fallen. Das wirtschaftliche Basisszenario in den bisherigen EZB-Prognosen könne nicht als gegeben angenommen werden, sagte die Bankenwächterin am Donnerstag. "Und die Möglichkeit einer erneuten Rezession kann bislang nicht ausgeschlossen werden."

Viele Euro-Länder, darunter auch die beiden größten Volkswirtschaften des Währungsraums, Deutschland und Frankreich, haben erneut scharfe Einschränkungen des öffentlichen Lebens beschlossen, die auf der Wirtschaft lasten.

Die Wirtschaft im Euro-Raum war in Folge der Corona-Krise im zweiten Quartal um 1,8 Prozent abgestürzt. Für das dritte Jahresviertel rechnet die EZB bislang mit einer deutlichen Erholung. Ihre jüngsten Prognosen vom September hatten einen Anstieg der Wirtschaftsaktivität um 8,4 Prozent im dritten Quartal vorhergesagt.

Deutschland Frankfurt Skyline
In diesem Gebäude in Frankfurt am Main hat die Europäische Zentralbank seit 2014 ihren SitzBild: Getty Images/T. Lohnes

Was die EZB noch tun könnte

In der Dezember-Sitzung des EZB-Rates könnte die EZB ihr Notkaufprogramm für Staats- und Unternehmensanleihen nochmals ausweiten. Dann liegen der Notenbank neueste Prognosen zur Entwicklung von Konjunktur und Inflation vor. Bislang sind für das PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) 1,35 Billionen Euro bis mindestens Ende Juni 2021 veranschlagt.

Bei den Zinsen hat die EZB wenig Spielraum. Der Leitzins im Euroraum liegt seit viereinhalb Jahren auf dem Rekordtief von null Prozent. Geschäftsbanken müssen seit Mitte Juni 2014 Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Aktuell liegt dieser Einlagenzins bei minus 0,5 Prozent. Freibeträge für bestimmte Summen sollen die Banken hierbei entlasten.

Bislang kein Problem für Deutschland

Nach Einschätzung der Bundesbank waren die Negativzinsen bislang in Summe kein Problem für Deutschlands Banken. Allerdings nehme die Wahrscheinlichkeit zu, dass in einer Gemengelage aus Konjunkturabschwung, steigender Risikovorsorge und schrumpfenden Eigenkapitalpuffern ein Punkt erreicht werde, an dem Negativzinsen ihre Wirkung einbüßten oder sich diese in ihr Gegenteil verkehre.

Und wo bleibt der Umweltschutz?

Mit ihrer seit Jahren expansiven Geldpolitik will die EZB die Wirtschaft ankurbeln und ihrem Ziel eines stabilen Preisniveaus bei knapp unter 2,0 Prozent Inflation näher kommen. Umweltschützer werfen der EZB vor, bei ihren milliardenschweren Anleihenkäufen zu viele Wertpapiere von Unternehmen zu kaufen, die dem Klima schaden.

Derzeit läuft eine umfassende Überprüfung der geldpolitischen Strategie. Dabei setzt EZB-Präsidentin Lagarde unter anderem auf den Dialog mit Kritikern. Die Französin will auch dem Klimawandel in den Überlegungen Raum geben.

dk/hb (dpa, rtr)