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Nazis bei Vertriebenen

Rosalia Romaniec29. November 2012

Viele der ersten Funktionäre an der Spitze des Bundes der Vertriebenen hatten im Dritten Reich Karriere gemacht. Erika Steinbach, die heutige Präsidentin des Verbandes, wiegelt ab.

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Gründung des Bundes der Vertriebenen 1957 Foto: Kurt Rohwedder (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Was schon lange vermutet wurde, konnten Historiker jetzt belegen: Zwei Drittel des 13-köpfigen Präsidiums des Bundes der Vertriebenen (BdV) waren Mitglieder von Hitlers Partei NSDAP oder der SS. Der BdV war 1958 als Dachverband für Deutsche gegründet worden, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus verschiedenen Ländern Europas vertrieben worden waren. Die Frage, wie eng die Funktionäre der ersten Stunde zuvor mit dem NS-Regime verstrickt waren, hatte jahrelang für Spekulationen gesorgt. Die amtierende Verbandschefin Erika Steinbach zog die Konsequenzen und beauftragte das Institut für Zeitgeschichte (IZF) in München, die Vergangenheit der ersten BdV-Leitung zu überprüfen.

Nazi-Anhänger in der Mehrheit

Für ihre Studie haben die Münchener Wissenschaftler sechs Jahre lang sowohl in deutschen als auch in osteuropäischen Archiven geforscht. Nur zwei der 13 Angehörigen des ersten BdV-Präsidiums seien entschiedene Gegner des NS-Regimes gewesen, so Michael Schwarz, einer der Autoren der Studie. Historiker betonen, dass "gerade die Vertreter der mittleren und jüngeren Generation, die in den 50er Jahren die Vertriebenenarbeit dominieren sollten, eine grundlegende Loyalität und Affinität gegenüber den braunen Machthabern zeigten".

Zu den Ex-Nationalsozialisten im Vertriebenenverband gehörte beispielsweise der Ostpreuße Alfred Giller, der für die Verschleppung und Zwangsarbeit von Ukrainern in Nazi-Deutschland zuständig war. Der BdV-Funktionär Erich Schellhaus war zuvor schlesischer Offizier, dessen Regiment 1941 mehrere Massaker an angeblichen Partisanen in der Sowjetunion zu verantworten hatte. Auch andere Verbandsgrößen, wie Rudolf Wollner und Hans Krüger, werden in der Studie genannt. Wollner war noch bis zum Jahr 2000 im BdV-Präsidium tätig und ihm wurde sogar das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Krüger war zuvor als Richter an Sondergerichten im besetzten Polen tätig, wo er mehrere Todesurteile verhängte.

Porträt von Hans Krüger, ehemaliger Richter Foto: Deutsches Bundesarchiv
Hans Krüger war Richter im besetzten PolenBild: Deutsches Bundesarchiv

Vergleich oder Relativierung?

Erika Steinbach, die heute an der Spitze des BdV steht, reagiert auf das Ergebnis des von ihr in Auftrag gegebenen Gutachtens wenig überrascht. Das Gedankengut der Nazis habe aber keinen Eingang in die Verbandspolitik gefunden. Im Gespräch mit der Deutschen Welle unterstrich sie zugleich, "dass viele führende Funktionäre der Organisation geschätzte Persönlichkeiten waren, aktiv auch als Landtags- beziehungsweise Bundestagsabgeordnete".

Außerdem hätten auch andere bekannte Persönlichkeiten, wie Literatur-Nobelpreisträger Günther Grass - Zitat - "Biographieprobleme". Steinbach spielte damit auf den Umstand an, dass Grass als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS war, was erst vor sechs Jahren bekannt wurde. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, nannte diese Steinbach-Äußerung einen "schamlosen Versuch die eigenen NS-Verbindungen zu relativieren".

An die Nazi-Vergangenheit erinnert

Welche Auswirkungen die Studie auf den Aufbau der Dokumentationsstätte hat, die gerade in Berlin entsteht, ist noch offen. Dort ist geplant, an das Schicksal von Millionen deutscher Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg zu erinnern. Das Projekt der Bundesregierung soll sich laut offizieller Verlautbarung auch mit der "weltanschaulich-parteipolitischen Bandbreite der in diesen Organisationen engagierten Politiker" beschäftigen.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach Foto: Sebastian Willnow
Erika Steinbach: Auch andere haben "Biographieprobleme"Bild: dapd

Erika Steinbach allerdings sieht keinen Zusammenhang zwischen dem Ergebnis der Studie und dem Inhalt der geplanten Ausstellung über die Vertriebenen. Im DW-Interview sagte sie lapidar: "Was hat das eine mit dem anderen zu tun?" Die Ausstellung solle sich dem Schicksal der deutschen Vertriebenen widmen und nicht der Geschichte der Vertriebenenverbände. Anderes ist von der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" zu hören, die die Ausstellung organisiert. Stiftungsdirektor Manfred Kittel teilte auf Anfrage der DW mit, dass bei der Arbeit an der Ausstellung "der neuste Forschungsstand berücksichtigt würde".