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Politik

"Daten sind das neue Öl"

Maximiliane Koschyk
12. Januar 2018

Mehr Freunde, weniger Werbung und News: Facebooks neuer Algorithmus soll die Interaktion zwischen Nutzern ankurbeln. Medienhäuser sollten nicht panisch, Nutzer aber skeptisch sein. Warum, erklärt Martin Giesler.

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Bild: picture-alliance/Geisler/C. Hardt

Das in den USA beheimatete soziale Netzwerk Facebook hat angekündigt, die Inhalte auf seiner Plattform neu zu bewerten. Künftig sollen Beiträge von Facebook-Freunden im Vergleich zu Nachrichten, etwa von Firmen und Medien, stärker in den Vordergrund gerückt werden. Das hatte Facebook-Chef Mark Zuckerberg in einem Beitrag auf der Plattform mitgeteilt.

Deutsche Welle: Was kann man unter den von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg angekündigten Veränderungen verstehen?

Martin Giesler: Facebook hatte sich im vergangenen Jahr einem so massiven Gegenwind ausgesetzt gesehen wie noch nie zuvor. Facebook wurde für alles Mögliche verantwortlich gemacht. Die ganze Debatte über Filterblasen und Echokammern hat eine riesengroße Rolle gespielt. Das ging so weit, dass Facebook sogar für die mentale Gesundheit von Nutzern verantwortlich gemacht wurde. Facebook musste reagieren. Und da all diese Kritik unmittelbar mit dem Newsfeed zu tun hat, also mit dem Ort, an dem die Inhalte verteilt werden, musste Facebook an diesen Newsfeed ran.

"Facebooks Spielregeln: Der User muss nicht alles wissen"

Welche Rolle spielt der Algorithmus, der diesem Newsfeed zugrunde liegt?

Zunächst einmal kann man als Außenstehender nicht wirklich nachvollziehen, auf welcher Grundlage dieser Algorithmus Inhalte und Informationen verteilt. Das ist eine Blackbox, Facebooks Geschäftsgeheimnis Nummer Eins, von dem kein Fremder etwas wissen darf. Aber es hat auf die Nutzer erhebliche Auswirkungen, da Facebook einem eben nicht alle Inhalte anzeigt, sondern nur eine Auswahl. Diese Auswahl kann gut sein. Sie kann dem Nutzer helfen, sich im digitalen Dschungel zurechtzufinden, sie kann aber auch Schwierigkeiten mit sich bringen, weil sie eine Auswahl nach Facebooks Spielregeln trifft. Und diese Spielregeln besagen, dass der Nutzer nicht zwangsläufig alles wissen muss, sondern sich in erster Linie auf der Plattform wohlfühlen und maximal viel Zeit dort verbringen soll. 

Was bedeutet das für Facebooks Geschäftsmodell der personalisierten Werbung? 

Der Newsfeed als Ort, an dem Inhalte für den einzelnen Nutzer zusammengeführt werden, ist begrenzt. Das treibt die Preise normalerweise hoch, das heißt, man müsste mehr dafür bezahlen, dass man als werbendes oder journalistisches Unternehmen mit seinen Inhalten beim Nutzer ankommt. Aber das ist nicht Facebooks primäres Geschäftsmodell.

Das Hauptaugenmerk liegt darauf, zwei Milliarden Nutzer zufriedenzustellen und sie zu motivieren, Facebook so oft wie möglich zu nutzen und mit Inhalten zu interagieren, die ihre Freunde hochgeladen haben oder die von professionellen Anbietern kommen. Die Datenspuren, die sie dabei hinterlassen, die Hinweise darauf, welche Wünsche sie haben, mit wem sie interagieren, zu welchen Zeiten sie interagieren: Damit kann Facebook richtig gutes Geld verdienen, denn Daten sind das neue Öl.

Das Unternehmen Facebook interessiert sich vermehrt auch für künstliche Intelligenz. Welchen Nutzen haben diese Daten vor diesem Hintergrund?

Künstliche Intelligenz oder Maschine Learning ist per se nichts Schlechtes, sondern nur ein Instrument, um aus einem Wust an Daten Sinn zu schöpfen. Je mehr Daten da sind und je mehr Nutzer miteinander in Aktion treten, desto mehr Muster lassen sich unter Umständen erkennen. Es ist für Facebook elementar wichtig, um aus diesen Daten Geld machen zu können, maximal viele Daten zu bekommen.

"Unsere Wünsche und Träume - der Rohstoff, an den Facebook ran möchte"

In jüngster Zeit haben Nutzer die Plattform aus Facebooks Sicht viel zu passiv genutzt, indem sie Inhalte serviert bekommen, anklicken und einfach ein Video schauen, aber tatsächlich nichts von sich selbst preisgeben. Mitteilen, was ihnen auf dem Herzen liegt, was sie für Wünsche und Träume haben - dieser Rohstoff, an den Facebook heran möchte, ist der Rohstoff, mit dem auch künstliche Intelligenz und Maschine Learning befördert werden kann.

Martin Giesler, Blogger und Gründer des socialmediawatchblog.de
Martin Giesler, Blogger und Gründer des socialmediawatchblog.deBild: Robert Winter

Facebook möchte die Interaktion zwischen Nutzern fördern, aber Interaktion muss nicht immer positiv sein. Können Facebooks Reformen den Hass im Netz befördern?

Die Gefahr, dass Facebook ein großes Interesse daran hat, dem Nutzer anzubieten, was ihm gefällt beziehungsweise was ihn nicht stört oder herausfordert, die ist Teil der Art und Weise, wie Facebook wirtschaftet. Klar, der Facebook-Algorithmus wird garantiert darauf abzielen, dass Nutzer verstärkt mit Freunden und Bekannten interagieren und entsprechend nicht mit Meinungen anderer konfrontiert werden. Das kann Gräben weiter ausheben, aber letztlich auch den Effekt haben, dass Fake News, aber vielleicht auch hochgradig polarisierende Beiträge von Medienunternehmen, keine so große Rolle mehr im Leben der Nutzer spielen. Es kann sein, dass sie dadurch nicht aufgestachelt werden, sondern selbst ihre Nachrichten zusammensuchen.

"Medien müssen die Nutzer jetzt von ihrem Angebot überzeugen"

Müssen Medienhäuser und Marken also Angst haben, aus dem Feed zu verschwinden?

Der Newsfeed wird künftig ganz klar dominiert sein von Freunden und Bekannten und Inhalten von all den Familienmitgliedern, die man so gern auf Facebook kontaktiert. Ich gehe stark davon aus, dass das Medienmenü sowieso bei jedem anders ist. Viele Menschen bekommen sowieso keine Nachrichten auf Facebook. Man darf also von der eigenen journalistischen Sicht nicht so sehr auf den regulären Nutzer schließen, denn Nachrichten sind tatsächlich eher Nebenprodukte.

Die Panik der Medienhäuser ist also ungerechtfertigt?

Sie ist insofern gerechtfertigt, als dass sich Medien tatsächlich an die eigene Nase fassen müssen: Haben sie sich nicht zu sehr auf die Spielregeln Facebooks eingelassen? Haben sie vielleicht versäumt, auf ein loyales Publikum zu schauen, statt immer nur auf den nächsten Klick oder nächsten Like? Jetzt sind sie von Facebook angehalten, die Nutzer davon zu überzeugen, dass sie ehrenwerte journalistische Angebote im Programm haben und es vielleicht lohnenswert ist, unabhängig von Facebook bei ihnen vorbeizuschauen.

Einerseits kann ich verstehen, dass Medienhäuser aktuell vielleicht ein wenig aufgeschreckt sind, weil absehbar der Traffic in den Keller gehen wird. Mittelfristig sehe ich durchaus das Potenzial, dass Facebook dadurch ein Stück weit dazu beiträgt, Medien die Chance zu geben, ein wirklich loyales Publikum zu finden.

Martin Giesler ist Experte für soziale Netzwerke und Betreiber des "Social Media Watchblogs".

Das Interview führte Maximiliane Koschyk.