Film ab für Facebook
15. September 2017Ein kräftiger Sturm über den Niederlanden sorgte dafür, dass viele Teilnehmer der International Broadcasting Convention 2017 IBC mit einem flauen Gefühl im Magen nach Amsterdam gekommen waren. Und bei einigen von ihnen dürfte dieses Gefühl auch nach der Auftaktveranstaltung geblieben sein.
Mit Facebook Product Director Daniel Danker stand in Amsterdam ein Medienprofi auf der Bühne, der traditionelle Unternehmen derzeit das Fürchten lehrt. Denn seit Facebook in den USA Ende August mit Facebook Watch eine eigene Plattform für Shows und Live-Content aufgelegt hat, wird der Markt für etablierte Akteure enger. Bereits jetzt kämpfen die traditionellen Broadcaster gegen die wachsende Konkurrenz von YouTube, Netflix und Amazon. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass auch Apple bald mit eigenem Content durchstarten will.
Das Bedrohungspotential liegt aus Sicht der Fernsehmacher klar auf der Hand: Über Facebook sind mehr als zwei Milliarden Menschen vernetzt, mehr als eine Milliarde nutzen das Netzwerk täglich und schauen mindestens einmal monatlich in einer der unzähligen Facebook-Gruppen vorbei - so die Angaben des Unternehmens.
Die Macht des Teilens
Video ist mit Abstand der erfolgreichste Content: "Vierzig Prozent aller Videos, die auf Facebook geschaut werden, kommen durch Shares zustande", so Product Director Danker. Besonders in Facebook-Gruppen seien diese äußerst beliebt. Das habe kürzlich die schiere Masse an Live-Videos bewiesen, die zu Hurrikan Harvey hochgeladen worden seien. Dankers Fazit: "Live Videos sind unmittelbar, authentisch und glaubwürdig. Das macht sie so erfolgreich."
Facebook Watch setzt komplett auf Personalisierung. Dem User werden Shows und Live-Übertragungen auf Basis seines Nutzungsverhaltens, aber auch auf der Grundlage von Empfehlungen von Freunden, Familien- oder Gruppenmitgliedern empfohlen. Facebook nutzt dafür die Macht der Algorithmen. Was immer Freunde anschauen, kommentieren oder empfehlen – dem Algorhythmus entgeht nichts.
Alle diese Daten bilden die Grundlage für personalisierten Content. Der Plattform geht es darum, möglichst viele "Facebook-Freunde" – unabhängig davon, wo sie sich befinden – zum gemeinsamen Videokonsum zu motivieren. Egal, ob sie gerade mit dem Smartphone, Tablet, PC oder Smart-TV im Internet sind: Statt des linearen Fernsehens soll künftig Facebook Watch das Lagerfeuer der Nation sein. Da fröstelte es so manchen Medienvertreter im Saal.
Kampf um die eigene Existenz
Es geht um weit mehr als um Reichweitenverlust. Der Facebook Vorstoß könnte die Existenz vieler TV-Sender bedrohen - diese Furcht jedenfalls lag während der IBC Messe im Raum. Schon jetzt gehört Facebook zu den absoluten Spitzenreitern im Wettbewerb um digitale Werbetöpfe, doch mit der neuen Video-Offensive könnte das Unternehmen auch Werbebudgets abschöpfen, die bislang dem Fernsehen vorbehalten waren.
Für Werbetreibende ist Facebook ausgesprochen interessant, bietet es doch anders als TV-Sender umfassende Profile seiner Nutzer. Daten, mit deren Hilfe immer passgenauere Formate für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt – und mit Werbung versehen – werden können. Genau damit versucht Facebook, die Bedenken der Fernsehmacher zu zerstreuen: Auch für traditionelle Medien sei es attraktiv, neue Formate für Facebook Watch zu entwickeln. "Über Facebook Watch erschließen Sie sich neue, loyale Zielgruppen, mit denen sie ganz anders in Kontakt treten können", wirbt Danker.
Social Media First?
Das alles bedeutet zusätzlichen Aufwand, der laut Facebook durch Werbeeinblendungen oder die Kooperation mit Sponsoren ("Branded Content") finanziert werden kann. Wie schwierig es für Medienhäuser trotz dieser Monetarisierungsoptionen wird, mit Facebook Watch erfolgreich zu sein, zeigt die bisherige Video-Auswahl in den USA: Kaum ein etablierter Sender macht bislang mit.
Dafür findet sich auf Facebook Watch etwa eine Show des Fußballvereins Real Madrid. Mit über 100 Millionen Facebook-Fans ist Real ein Social Media Gigant, der es kaum noch nötig hat, seine Inhalte an traditionelle Medien – zumal kostenlos – weiterzugeben. Stattdessen versorgt Real die eigene Community mit exklusivem Content, weitere Vereine ziehen bereits nach.
Journalisten müssen sich bei dieser neuen Konkurrenz warm anziehen. Der Sturm über der Nordsee mag zwar verebbt sein, aber in Amsterdam ist allen klar: Fernsehmachern wird noch lange Zeit eine steife Brise ins Gesicht wehen.