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Fachkräfte: Rassismus ist in Deutschland alltäglich

31. Januar 2024

Was wollen Fachkräfte, die aus dem Ausland nach Deutschland ziehen? Und wie sind ihre Erfahrungen hier? Antworten liefert eine bislang einzigartige Umfrage unter 30.000 Menschen.

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Bild: Jens Krick/Flashpic/piture alliance

Deutschland braucht Zuwanderung. Die Bevölkerung wird älter, die geburtenstarken Jahrgänge gehen in den Ruhestand, schon jetzt fehlen Fachkräfte überall. Es ist daher das erklärte Ziel der Bundesregierung, das Land für Fachkräfte aus dem Ausland interessant zu machen.

Seit gut zehn Jahren gibt es das Internetportal "Make it in Germany", das Interessierten in verschiedenen Sprachen Hilfestellung für ihren Weg nach Deutschland bieten soll.

30.000 Fachkräfte befragt

Die Industrieländer-Organisation OECD hat über dieses Portal tausende Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern über einen längeren Zeitraum befragt. Ziel war es, mehr herauszufinden über die Motivation, die Hoffnungen und die Ängste von Menschen, die mit dem Gedanken spielen, in Deutschland zu arbeiten.

"Das ist eine weltweit einmalige Studie, bei der wir Personen von dem Moment, wo sie sich für ein Land interessieren, über einen Zeitraum verfolgen", sagt Thomas Liebig von der OECD.

Fast 30.000 Menschen wurden in einer ersten Runde im Sommer/Herbst 2022 befragt. Von diesen antworteten rund ein halbes Jahr später gut 10.000 Menschen auf weitere Fragen der OECD-Forscher. Im Herbst/Winter 2023 schließlich gab es eine Schlussbefragung von rund 6000 Menschen.

Die wichtigsten Herkunftsländer der Befragten sind die Türkei (13 Prozent), Indien (zehn Prozent) und Kolumbien (neun Prozent). Jeweils bis zu vier Prozent kommen aus Ägypten, Algerien, Argentinien, Mexiko, den Philippinen und Russland.

Meist männlich und hoch qualifiziert

Wer hat an der Befragung teilgenommen? "Es sind weit überwiegend Männer, 75 Prozent", sagt Studienleiter Liebig. "Sie sind weit überwiegend hoch qualifiziert: 75 Prozent haben einen Hochschulabschluss, davon hat ein gutes Drittel einen Master oder ein Doktorat. Die meisten haben Familie, also Partner und/oder Kinder. Ein hoher Teil, 60 Prozent, hat zumindest Basiskenntnisse in Deutsch, und jede dritte Person hat sogar fortgeschrittene Kenntnisse."

"Deutschland bleibt ein attraktives Zielland für viele hochqualifizierte Personen im Ausland", heißt es in der Studie. Allerdings klagen viele über lange Wartezeiten für Visa. In der Türkei bewerte jeder dritte Befragte (30 Prozent) seine Erfahrungen mit dem deutschen Einwanderungssystem deshalb als "eher schlecht" oder "sehr schlecht". In Algerien war es jeder Fünfte (21 Prozent).

Persönliche Empfehlungen besonders wichtig

Freunde, Familie oder Kollegen waren die wichtigsten Auslöser für ein Interesse an Deutschland.

Als Hauptgrund für die Überlegung, nach Deutschland zu ziehen, nannten die meisten die Hoffnung auf gute Arbeits- und Karrierechancen. Sicherheit, eine gute Gesundheitsversorgung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ein gutes Bildungssystem sowie Chancen für den Partner und die Angehörigen wurden ebenfalls häufig genannt.

Nur wenige jetzt in Deutschland

In den mehr als zwölf Monaten, die zwischen den verschiedenen Befragungsrunden vergingen, ist es nur einem kleinen Teil (fünf Prozent) gelungen, nach Deutschland zu kommen. Es waren vor allem Menschen, die über gute Netzwerke und Deutschkenntnisse verfügen.

In Deutschland arbeiten sie fast alle (93 Prozent) in Vollzeit. Etwa die Hälfte ist im Ingenieurwesen und der Informationstechnologie (IT) tätig, jeder zehnte im Bereich Gesund und Pflege.

Knapp die Hälfte verdient mehr als 4000 Euro brutto im Monat, 13 Prozent mehr als 6000. Doch jeder Zehnte verdient weniger als 2000 Euro.

Die meisten (59 Prozent) sind mit ihrem Leben in Deutschland insgesamt "ziemlich zufrieden" oder "sehr zufrieden". Besonders positiv hervorgehoben werden die Lebensqualität, die deutsche Kultur und Mentalität sowie die Willkommenskultur in Deutschland.

"Unzufrieden" oder "ziemlich unzufrieden" sind viele der Befragten dagegen mit ihren Kontakten mit der Ausländerbehörde (40 Prozent) sowie mit ihrem Einkommen und ihrer finanziellen Situation (40 Prozent).

Rassismus und Diskriminierung

Die Sorge, in Deutschland Opfer von Diskriminierung und Rassismus zu werden, war bei vielen der Befragten groß.

Diejenigen, die während der Befragung nach Deutschland gekommen sind und hier arbeiten, können bei Rassismus und Diskriminierung allerdings keine Entwarnung geben. Im Gegenteil: die Realität ist schlimmer als die Befürchtungen.

"Von denen, die es nach Deutschland geschafft haben, sagen mehr als die Hälfte, sie wurden auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert und benachteiligt. Sehr viele, fast 40 Prozent, berichten auch von Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen in Geschäften, Restaurants und auf der Straße", sagt Thomas Liebig. "Das sind erschreckend hohe Werte."

Nur die Erfahrungen mit der Polizei sowie in Schulen, die ihre Kinder besuchen, waren nach Angaben der Befragten besser als befürchtet.

Rassismus als Standortnachteil

Die Studienautoren der OECD empfehlen der Bundesrepublik, die Visastellen im Ausland und die Ausländerbehörden in Deutschland personell besser auszustatten. Außerdem solle die Förderung zum Erlernen der deutschen Sprache im Ausland ausgebaut werden. Auch müsse dringend etwas gegen Diskriminierung und Rassismus unternommen werden.

Laut Angaben des letzten Migrationsberichts der OECD kommt bisher gut die Hälfte der Ausländer, die sich dauerhaft in Deutschland niederlassen, aus anderen EU-Staaten. Die zweitgrößte Gruppe (21 Prozent) sind Flüchtlinge, gefolgt von Familienmitgliedern, die ihren bereits in Deutschland lebenden Verwandten nachziehen (15 Prozent). Menschen, die zum Arbeiten aus Ländern außerhalb der EU nach Deutschland kommen, machen mit 14 Prozent die kleinste Gruppe der Zuwanderer aus.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.