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PolitikEuropa

Aus Grün wird Rot

Andreas Noll
26. Juli 2021

Klimawandel und Luftverschmutzung kennen keine Grenzen. Doch den Kampf dagegen erschwert mangelnde zwischenstaatliche Kooperation. Im deutsch-französischen Grenzgebiet sorgen Umweltplaketten für Frust bei den Bürgern.

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Frankreich Europabrücke zwischen Straßburg und Kehl
Lebensader zwischen Deutschland und Frankreich: Europabrücke zwischen Straßburg und KehlBild: Patrick Seeger/dpa/picture alliance

Wenn Familien aus Frankreich bei Franck Sitter im Kehler Autohaus Tabor einen Wagen kaufen möchten, reicht dem Autoverkäufer manchmal der Hinweis auf schärfere Umweltgesetze, um das Geschäft erfolgreich abzuschließen. Gut zweitausend Euro mehr an CO2-Strafen sind zum Beispiel für eine bei Kinderreichen beliebte Großraumlimousine fällig, wenn sie in Frankreich nach dem 31.12.2021 zugelassen werden soll. Von gut 8000 auf 10.000 Euro hat der Staat den sogenannten CO2-Malus für dieses Modell erhöht - fällig zusätzlich zum Fahrzeugpreis.

"Man merkt schon sehr deutlich, dass die Leute sich in der Pflicht fühlen, ihr Auto zu wechseln", sagt der Franzose Sitter, der bei Tabor viele Kunden aus Frankreich betreut. Das in Sichtweite der Europabrücke nach Straßburg gelegene Autohaus ist beliebt bei den Franzosen, weil in Deutschland nicht nur Zigaretten und Blumen preiswerter sind, sondern auch Autos.

Frankreich Umweltplakette Crit Air
In Deutschland grün, in Frankreich gelb oder orange: In der EU fehlen einheitliche Standards für UmweltplakettenBild: picture alliance / Franz-Peter Tschauner

Doch nicht nur der CO2-Malus ist Thema bei vielen Gesprächen im Autohaus, auch die Umweltzonen spalten die Grenzregion. Nach dem Vorbild von Paris haben immer mehr Städte in Frankreich Umweltzonen eingeführt, die nur mit der speziellen "Crit'Air"-Plakette befahren werden können. Beim Verkauf bestellt Sitter deutsche und französische Plakette für die Windschutzscheibe gleich mit, aber es ärgert viele Bewohner, dass Umweltplaketten in der EU nicht grenzüberschreitend anerkannt werden.

Großregion Straßburg wird zur Umweltzone

Zwar betonen die EU-Staaten gerne, dass Klima- und Umweltschutz nur gemeinsam gelingen kann - in der Praxis aber macht jedes Land dann sein eigenes Ding. Die Folge: Autofahrer aus Deutschland ohne französische Plakette werden in der Grenzregion nach dem Jahreswechsel zur Kasse gebeten. Ab 1.1.2022 dürfen im gesamten Großraum Straßburg mit seinen 33 Kommunen nur noch Pkw fahren, die mindestens über eine bordeauxrote "Crit'Air-4-Plakette" verfügen. Wer dagegen lediglich eine grüne deutsche Umweltplakette an der Windschutzscheibe kleben hat, die von den Kriterien her eine Fahrt durch die Umweltzonen erlauben würde, muss eine Strafe zahlen. 

Angela Merkel und Emmanuel Macron unterzeichnen den neuen Elysée-Vertrag in Aachen
Vertiefte Zusammenarbeit: Angela Merkel und Emmanuel Macron bei der Unterzeichnung des Aachener VertragsBild: Getty Images/S. Schuermann

Cathrin Gräber ist deutsche Generalsekretärin im Sekretariat des Ausschusses für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (AGZ). Diese besondere Institution gehört zu den Kernbestandteilen des Aachener Vertrags von 2019, der eine noch engere Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich in die Wege leiten soll. Gräber geht davon aus, dass der Umwelt- und Klimaschutz in den kommenden Jahren einen großen Schwerpunkt ihrer Arbeit bilden wird. Bei der Umweltplakette hat der Ausschuss, der Politiker und Verwaltungsvertreter von der regionalen und der nationalen Ebene zusammenführt, gerade erst eine klare Empfehlung ausgesprochen: Eine gegenseitige Anerkennung der Umweltplaketten sei europaweit wünschenswert.

Komplexe Verwaltungsfragen

Was sich in der Theorie überzeugend anhört, macht in der Praxis allerdings zahlreiche Schwierigkeiten. Die Kriterien für die Plaketten fallen je nach EU-Land unterschiedlich aus. Während Frankreich nur Elektroautos eine grüne "Crit'Air-Plakette" verleiht, besitzen in Deutschland mehr als 90 Prozent aller zugelassenen Fahrzeuge die grüne Plakette. Auch die Zahl der Stufen ist je nach Land unterschiedlich: Frankreich unterteilt die Fahrzeuge in sechs Stufen, in Deutschland gibt es nur drei.

Frankreich, Straßburg | Tempolimit zur Reduzierung der Luftverschmutzung
Tempolimits auf der Autobahn und große Umweltzonen in den Städten: Frankreich verschärft die Regeln für AutofahrerBild: Frederick Florin/AFP/Getty Images

Doch für die Fachleute, die den Ausschuss beraten, liegt eine pragmatische Lösung auf der Hand - zumindest für die Grenzregion. Deutschland und Frankreich müssten erstmals in der Geschichte Artikel 13 des Aachener Vertrages aktivieren, der gesetzliche Ausnahmeregelungen im deutsch-französischen Grenzgebiet ermöglicht.

Der Deutsch-Französische Ministerrat hat die Empfehlung des AGZ unlängst zu Kenntnis genommen, doch ob und wann die Plaketten auf beiden Seiten der Grenzen gelten, ist offen. Dabei drängt die Zeit: In der Großregion Straßburg diskutiert die Politik nach der Wahl einer grünen Oberbürgermeisterin im vergangenen Jahr aktuell über flächendeckende Fahrverbote für einen Großteil aller Diesel-Pkw.

Vorbild für Europa?

Egal, welche Lösung am Ende gefunden wird, die Region mit ihren besonderen gesetzlichen Möglichkeiten könne Ausstrahlung für ganz Europa haben, hofft Gräber: "Die deutsch-französische Grenze steht ja nicht für sich. Insgesamt leben 30 Prozent der Europäer an Grenzen. Deswegen ist das, was wir hier tun, auch interessant für andere Grenzregionen in der EU", glaubt die Generalsekretärin des AGZ.

Deutschland Coronavirus
Pragmatische Lösungen gesucht: Kontrolle an der deutsch-französischen Grenze in der Corona-PandemieBild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Dass im deutsch-französischen Grenzgebiet in Zukunft womöglich schneller Lösungen für Alltagsprobleme entwickelt werden können als in anderen Grenzgebieten in der EU, hängt aber nicht nur mit den gesetzlichen Freiräumen zusammen, die der Aachener Vertrag geschaffen hat. Gräber setzt auch auf die politische Durchschlagskraft des AGZ, das mit Regierungsvertretern und Abgeordneten aus Berlin und Paris hochkarätig besetzt ist. "Allein schon die Co-Präsidenten des AGZ, Staatsminister Michael Roth aus dem Auswärtigen Amt und Staatssekrektär Clément Beaune aus dem Quai d‘Orsay, haben politisches Gewicht, das sie in die Waagschale werfen können", so Gräber.

Corona hat die Grenze wieder ins Bewusstsein gerückt

In den vergangenen Monaten hat neben langfristigen Themen wie dem Ausbau von grenzübergreifenden Zugverbindungen oder bilaterale Kurzarbeiter-Regelungen vor allem die Corona-Pandemie den Ausschuss beschäftigt. Fünf außerordentliche Sitzungen gab es zu dem Thema. Man habe ein Problembewusstsein bei den Regierungen schaffen können, sagt Generalsekretärin Gräber.

Coronavirus Ende der Kontrollen an der Grenze zwischen Straßburg und Kehl
Deutsche und Franzosen feiern die Wiedereröffnung der Grenze zwischen Straßburg und Kehl im Mitte Juni 2020Bild: DW/B. Riegert

Vor allem die deutschen Grenzschließungen im Frühjahr 2020 waren für viele Franzosen ein Schock. Immerhin 30.000 Elsässer arbeiten allein in Baden-Württemberg - die Grenze hatte im Alltag der Bürger nach Jahrzehnten plötzlich wieder ihre trennende Wirkung zurück. Im weiteren Verlauf der Pandemie haben sich die Emotionen beruhigt, fanden Deutsche und Franzosen schneller Lösungen als in anderen Teilen Europas.

Wie rasch sich die Menschen in der Grenzregion anpassen, hat auch Autoverkäufer Franck Sitter erlebt. Noch vor vier, fünf Jahren waren gut 70 Prozent seiner Verkäufe Diesel-PKW - jetzt ist es weniger als ein Drittel. Die politischen Debatten auf beiden Seiten der Grenze haben ihre Wirkung offensichtlich bereits entfaltet.