Faires Arbeiten
23. März 2012Polnische Pflegekräfte, tschechische Bauarbeiter oder ungarische Krankenschwestern - sie alle können seit mehr als einem Jahr ohne Einschränkungen in Deutschland arbeiten. Denn für die Bürger der acht Länder der ersten EU-Osterweiterungsrunde von 2004 gilt seit Anfang 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Ab 2014 dürfen auch Bürger aus Rumänien und Bulgarien - die der EU 2007 beigetreten sind - uneingeschränkt in Deutschland arbeiten.
Der befürchtete Massenansturm der neuen EU-Bürger auf den deutschen Arbeitsmarkt sei jedoch ausgeblieben, erklärt Volker Roßocha vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), zuständig für Migrationspolitik. Große Probleme habe es nicht gegeben, denn in den meisten Fällen seien die Menschen aus diesen Ländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Krimineller Einfallsreichtum
Trotz Freizügigkeit sind osteuropäische EU-Arbeitnehmer jedoch nicht immer genug geschützt vor ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. Problematische Beschäftigungsstrukturen, die schon zuvor existiert hätten, seien geblieben, so Roßocha. Das wird am Beispiel der Pflegekräftevermittlung deutlich: Agenturen in Deutschland beauftragen Pflegefirmen in Polen oder anderswo mit der Suche nach geeigneten Arbeitskräften. Diese Firmen vergeben die Aufträge an Subunternehmer, die ihrerseits weitere Subunternehmer beauftragen. „Auf diese Weise werden Beschäftigungsstrukturen verschleiert und Arbeitnehmern Löhne vorenthalten. Außerdem ist es in solchen Fällen sehr schwierig, rechtlich gegen Missstände vorzugehen", beklagt Roßocha.
Um die deutschen Gesetze zu umgehen, lassen sich deutsche Arbeitgeber einiges einfallen: Pflegekräfte aus den neuen EU-Ländern seien schon mal als Wirtschaftshilfen registriert worden, so dass der Pflegemindestlohn nicht mehr bezahlt werden musste. Und um das deutsche Arbeitszeitengesetz zu unterwandern, hätten Familien eine Pflegekraft sogar schon mal als Au-Pair-Mädchen angemeldet, berichtet der DGB-Experte Roßocha.
Die Falle der Scheinselbständigkeit
Noch komplizierter ist die Situation bulgarischer und rumänischer Arbeitnehmer in Deutschland. Saisonarbeiter aus Bulgarien und Rumänien dürfen zwar seit Anfang des Jahres bis zu sechs Monate in der Landwirtschaft beschäftigt werden. Für alle anderen Branchen brauchen sie jedoch eine Arbeitsgenehmigung. Außerdem können sie legal in der Bundesrepublik arbeiten, wenn sie ein Gewerbe anmelden. Doch gerade das führt oft zu weiterem Missbrauch, denn viele Bulgaren und Rumänen geraten unfreiwillig in die "Scheinselbstständigkeit": Sie sind von einem einzigen Arbeitgeber abhängig, gelten aber als selbstständige Unternehmer. Ein ungelernter Bauarbeiter hat dadurch auf dem Papier den Status eines freien Unternehmers - so drückt sich sein Arbeitgeber vor den Beiträgen zur Sozialversicherung. Im Krankheitsfall bekommt der Arbeiter dann keinen einzigen Cent.
"Gerade im Baugewerbe kommt es zu solchen Betrugsfällen", beklagt Roßocha. "Zum Beispiel wurden Menschen aus Bulgarien von ihren deutschen Arbeitgebern belogen und betrogen: Man sagte ihnen, sie würden feste Arbeitsverträge unterschreiben, doch tatsächlich waren es Gewerbeanmeldungen." In solchen Fällen passiere es häufig, dass diese Leute nach einigen Monaten kein Geld mehr bekommen: "Manche landen auf der Straße, weil der Arbeitgeber die Unterkunft nicht mehr bezahlt."
In Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen seien deutsche Gewerkschaften bereit, diesen Arbeitnehmern in Not zu helfen, versichert Roßocha. Man versuche herauszufinden, wie hoch der ausstehende Lohn des Betrogenen ist. Der nächste Schritt sei, an den deutschen Generalauftraggeber heranzutreten und mit diesem zu vereinbaren, zumindest einen Teil des Lohnbetrugs auszugleichen.
"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort"
Über Betrugsfälle wird der DGB von Beratungsstellen in Frankfurt und Berlin informiert, an die sich ausländische Arbeitnehmer wenden können. Diese Beratungsstellen sind Teil des Projekts "Faire Mobilität" des DGB-Bundesvorstands. Das Motto: "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort". Neben den Beratungsstellen, von denen vier noch im Aufbau sind, werden Informationskampagnen in den Heimatländern der Arbeitnehmer vorbereitet. Dabei suchen die deutschen Gewerkschaften Unterstützung von ihren Partnern aus Bulgarien, Rumänien und Polen. Schon vor Ort sollen die Menschen besser über ihre Rechte in Deutschland aufgeklärt und vor möglichem Betrug gewarnt werden.
Der Vorsitzende der bulgarischen Gewerkschaft "Podkrepa", Plamen Dimitrov, weiß, wie wichtig diese Aufklärung in den Heimatländern ist. Die Erfahrung der bulgarischen Arbeitsmigranten aus den vergangenen 22 Jahren habe es bewiesen. "Viele haben sich vorher nicht über die Arbeitsbedingungen informiert, sondern das Land impulsiv verlassen. Im Ausland erlebten sie dann böse Überraschungen", sagt Dimitrov. Durch ein neues Rahmenabkommen mit dem DGB können mehrere bulgarische Gewerkschaftsbünde besser in das Projekt "Faire Mobilität" eingebunden werden.
Letztlich schützen solche Abkommen auch deutsche Arbeitnehmer: Je geringer die Lohnunterschiede zwischen deutschen und ausländischen Arbeitskräften sind, umso kleiner wird die Gefahr des sogenannten "Lohndumpings". Deutsche Arbeitnehmer müssen dann nicht aus Angst vor der Konkurrenz, die geringere Löhne erhält, selbst auch für weniger Geld arbeiten.