Fake News: Pro-russische Stimmungsmache in Nahost
26. August 2022"Lieber Herr Medwedew, jeder russische Sieg gibt uns Hoffnung." Diesen Satz richteten Mitglieder einer irakischen Miliz am Wochenende in einem Offenen Brief an den ehemaligen russischen Präsidenten und derzeitigen stellvertretenden Leiter des Sicherheitsrats der Russischen Föderation. Russland sei "das Schwert der Rache, das allen Menschen Gerechtigkeit bringt, die unter den selbsternannten Herren der Welt gelitten haben", heißt es in dem Brief, veröffentlicht auf dem irakischen Telegram-Kanal 'Sabereen News', der rund eine Viertelmillion Anhänger zählt. "Ein Großteil der Welt wartet auf den bedingungslosen Sieg Russlands."
"Sabereen News" wird von irakischen Milizen betrieben, die mit dem Iran verbündet sind. Diese sind traditionell USA-feindlich, insbesondere seit der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani im Januar 2020 in Bagdad.
In der westlichen Welt seien sich die meisten Menschen der russischen Desinformationskampagnen bewusst, meint die Historikern Nadia Oweidat in einer Analyse für das Washington Institute for Near East Policy. "Ihnen ist allerdings nicht klar, dass es eine mindestens ebenso gefährliche Propagandakampagne in arabischer Sprache gibt, die darauf abzielt, die öffentliche Wahrnehmung von Russlands Krieg in der Ukraine zu verzerren", so Oweidat.
Gezielte Falschmeldungen
Pro-russische Fake News in arabischer Sprache sind im Nahen Osten thematisch breit gestreut. So etwa existieren zahlreiche Falschmeldungen über Wolodymir Selenskyj. Der ukrainische Präsident sei aus seinem Land geflohen, behauptet eine von ihnen. Auch inszeniert sich Russland auf diese Weise offenbar als Schutzmacht von Zivilisten im Kriegsgebiet oder versucht die arabische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, für die globale Weizenkrise seien USA und die EU verantwortlich. Die Propaganda kreist immer wieder um eine Kernaussage: Russland sei für die militärische Gewalt in der Ukraine nicht verantwortlich.
Einige dieser Botschaften gehen offenbar auf vom russischen Staat finanzierte und auch auf Arabisch publizierende Medien wie etwa RT (früher: Russia Today) zurück. RT wurde 2017 von den USA als "ausländischer Agent" registriert. Im März dieses Jahres stimmten die EU-Mitgliedstaaten dafür, RT wegen "systematischer Informationsmanipulation und Desinformation" alle lokalen Sendelizenzen zu entziehen. Die arabischsprachigen RT-Angebote sind jedoch weithin erreichbar.
Genaue Zahlen über die Beliebtheit von RT bei arabischsprachigen Medienkonsumenten sind schwer zu ermitteln. Allerdings ist der Sender in der Region einer der beliebtesten, längst ähnlich bekannt wie Al-Jazeera, Al-Arabiya und Sky News Arabia. RT Arabic erscheint teilweise deutlich erfolgreicher als die arabischsprachigen Angebote westlicher Medienunternehmen.
Attraktive Fake-Russinnen
Gerade in den letzten Monaten habe RT Arabic besser abgeschnitten als westliche Sender, sagt Moustafa Ayad, Direktor der Abteilung Afrika, Naher Osten und Asien beim "Institute for Strategic Dialogue" (ISD). Die in London ansässige gemeinnützige Organisation beobachtet und analysiert extremistische Online-Inhalte.
So wird RT Arabic oft von anderen einschlägigen Nachrichtenagenturen autoritärer Staaten wie der Syrian News Agency (SANA) und dem China Global Television Network (CGTN) zitiert, so Ayad gegenüber der DW. Viel wichtiger als Medien, die eindeutig mit dem russischen Staat verbunden sind, seien jedoch für Russland Stimmung machende Facebook-Seiten und andere Online-Publikationen.
"Die Kreml-freundlichen Netzwerke auf Arabisch sind eine Mischung aus offiziellen staatlichen Medien und inoffiziellen Medienorganisationen mit eigenem Namen", so Ayad. "Man sollte nicht nur auf die staatlichen Agenturen achten, sondern auch auf zahlreiche Facebook-Seiten, die Inhalte von RT und Sputnik teilen, wiederverwenden und umbenennen. Diese Weiterverbreitung existiert ausschließlich auf Social-Media-Plattformen. Sie spielen bei der Verbreitung von Kreml-freundlichen Inhalten eine bedeutende Rolle."
Bei seinen Forschungen stieß das ISD auf Social-Media-Konten mit Hunderttausenden von Anhängern. Viele davon würden scheinbar von attraktiven, Kreml-treuen Russinnen betrieben, die pro-russische Propaganda-Inhalte auf Arabisch posten. Allerdings seien Konten und Bilder gefälscht. Doch gerade beim männlichen Publikum seien sie sehr geschätzt, so das ISD. Inzwischen sind immerhin die meisten vom ISD als Fake eigeordneten Konten stillgelegt worden.
Diese Art Nutzer und Kanäle erhielten doppelt so viel Aufmerksamkeit wie offizielle Medien, sagt Ayad. Dies dürfte nicht zuletzt für ein Land wie Syrien gelten, wo Russland seit Jahren an der Seite des Assad-Regimes kämpft.
Populäre Narrative
Derart verbreitete pro-russische Narrative kommen beim Publikum aus mehreren Gründen gut an. Eine wichtige Rolle spielen etwa die den einzelnen Regierungen verbundenen und von diesen oftmals finanzierten arabischen Staatsmedien. Diesen trauen die Menschen oft wenig. Stattdessen verlassen sie sich auf Nachrichten, die über soziale Medien verbreitet werden. Untersuchungen des in Washington ansässigen 'Middle East Institute' ergaben zum Beispiel, dass russische Sender und ihre Social-Media-Ableger viel aktiver ihr Publikum bedienen als arabischsprachige Medien aus der Region, den USA oder Europa. RT Arabic etwa postet doppelt bis dreimal so viel wie Al Jazeera oder die BBC, so die Ergebnisse.
Zum Tragen kommen auch andere Gründe. Diese hatte das "George C. Marshall European Center for Security Studies" (kurz: 'Marshall Center') bereits in einer Studie aus dem Jahr 2021, also aus der Zeit vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, herausgearbeitet.
So stieß zumindest seinerzeit die Behauptung, Russland wende sich gegen die Einmischung von außen in die souveränen Angelegenheiten eines Landes, auf viel Zuspruch. Eine solche Behauptung komme etwa bei vielen Irakern gut an, die 2003 die Intervention der USA erlebten. Es scheint nicht so, dass der Ukraine-Krieg diese Wahrnehmung grundlegend geändert habe. Nur wenige politische Kräfte in der Region - etwas syrische Oppositionelle - beklagen regelmäßig eine russische Einflussnahme in der Region. Klagen über US-Einfluss sind häufiger zu hören.
Populär ist auch die These, Russland strebe eine multipolare Weltordnung an, und zwar in Opposition zu der derzeitigen, die - so die russische Propaganda - von westlichen Interessen dominiert sei. Die Behauptung verfängt auch in Staaten wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, deren Regierungen nach mehr Einfluss auf regionaler und globaler Ebene streben und sich in die Konflikte in Syrien und Jemen einschalten. Auf einem pro-russische Twitter-Account wurde es so ausgedrückt: "Nicht jeder will Befehle von Uncle Sam annehmen".
Anti-westliche Stimmung
Zwar zielen die Narrative der russischen Außenpolitik darauf ab, die Realität zu verdrehen. Allerdings betont Dmitry Gorenburg vom Marshall-Center: "All diesen Narrativen ist gemeinsam, dass sie auch ein Körnchen Wahrheit enthalten."
Ähnlich sieht dies auch Moustafa Ayad vom "Institute for Strategic Dialogue": Die Kreml-Narrative nutzten "die Heuchelei und die Verwicklungen des Westens" in der Region, um damit auch das Bild einer verräterischen und doppelzüngigen Natur der westlichen Unterstützung für die Ukraine zu verbreiten, so Ayad.
"Im Grunde geht es um die Artikulation von Protest", sagt Yasser Abdel Aziz, ein in Kairo ansässiger Medienanalyst, gegenüber DW. "Große Teile der arabischen Öffentlichkeit sind davon überzeugt, dass die westlichen Medien parteiisch sind. Generell gilt ihnen der Westen gegenüber den Arabern und dem Islam als voreingenommen." Es gebe viel Verbitterung, so sein Resümee. Diesen Umstand nutze Russlands Propaganda in der Region geschickt aus.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.