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Faktencheck: Das steckt hinter dem Briefwahlbetrugs-Vorwurf

28. September 2024

Rechte Politiker, Parteien und Nutzer säen oft Zweifel an Wahlen. Von angeblichen Wahlunregelmäßigkeiten in den USA bis hin zu Problemen mit der Briefwahl in Deutschland. Warum ist das so?

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Leere Briefwahlumschläge für die Europawahlen liegen auf dem Boden einer Halle der Messe Frankfurt.
Die AfD und andere rechtspopulistische Parteien behaupten immer wieder, dass es Manipulationen bei der Briefwahl gebeBild: Michael Probst/AP Photo/picture alliance

Nur wenige Tage vor den Landtagswahlen in Brandenburg am vergangenen Wochenende veröffentlichte der Landesverband der in Teilen rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) einen Aufruf auf seiner Facebook-Seite

Die AfD Brandenburg warb darin für zwei "unverzichtbare Hilfsmittel", um die Wahlen zu beobachten und "Probleme, Betrug oder Fehler" zu erkennen. Dazu wurde ein Link zu einem Podcast über die "schwerwiegendsten Fälle von Wahlbetrug in den letzten Jahren" geteilt.

Der Beitrag enthielt auch Links zu einer Gruppe namens "Ein Prozent", die nach eigenen Angaben "Wahlbeobachter" zusammenbringt und sich selbst als "Deutschlands größtes patriotisches Bürgernetzwerk" bezeichnet. Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz handelt es sich bei der Gruppe jedoch um eine "gesichert rechtsextreme Bestrebung". 

Die Aktion der AfD ist Teil einer langfristigen Strategie, vor und nach Wahlen Misstrauen in den demokratischen Prozess zu säen und die aus Sicht der Partei gegen sie gerichtete Wählermanipulation anzuprangern.

Diese Anschuldigung wird in den Sozialen Medien häufig unter dem Hashtag "Wahlbetrug" verbreitet. Bei den Wahlen in Brandenburg, die die AfD knapp gegen die regierenden Sozialdemokraten verlor, gab es Dutzende von Beiträgen auf X (wie diesen und diese), in denen behauptet wird, es liege Wahlmanipulation zum Nachteil der AfD vor. Laut offiziellen Angaben der Behörden ist die Briefwahl jedoch eine bewährte Alternative und "genauso sicher wie die Stimmabgabe im Wahllokal". 

Alice Weidel and Tino Chrupalla nach der Landtagswahl in Brandenburg
AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel und Tino Chrupalla sagen, Briefwahlen seien anfällig für ManipulationenBild: Liesa Johannssen/REUTERS

Doch die Strategie ist nicht nur in Deutschland bei der AfD zu beobachten, sondern auch in anderen Ländern. Vor allem kommt sie bei rechtspopulistischen Parteien und Politikern vor, die immer wieder auf den Wahlprozess schimpfen, dafür aber selten bis nie "Beweise" vorlegen. 

Auch in Österreich: So fordert die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in ihrem Programm für die Nationalratswahl diesen Sonntag (29.09.2024) die Wähler, denen die "Demokratie am Herzen liegt", ausdrücklich auf, persönlich im Wahllokal zu erscheinen und nicht per Post zu wählen.

Die Briefwahl, so die FPÖ, öffne dem Wahlbetrug Tür und Tor, denn "es gibt immer wieder Ungereimtheiten und Vorwürfe, dass die Stimmen zentral in 'Migrantengemeinden' oder Altersheimen gesammelt und abgegeben werden".

Auf Social-Media-Kanälen gibt es mehrere Beiträge wie diesen, die der FPÖ nahezustehen scheinen und im Falle von Wahlbetrug zu einer "Megademo" aufrufen. Und außerhalb Europas haben Politiker wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump und der ehemalige brasilianische Präsident Jair Bolsonaro wiederholt ähnliche Narrative verbreitet.

Auch vor den US-Präsidentschaftswahlen im November machen solche Vorwürfe die Runde. DW Faktencheck hat einige der Behauptungen bereits überprüft.

Vorwurf des Wahlbetrugs in Altersheimen

Daniel Hellmann, Experte am Deutschen Institut für Parlamentsforschung, erklärte im Gespräch mit der DW, dass derartige Behauptungen nicht nur zur Delegitimierung des politischen Gegners, sondern generell als "Angriff auf die Glaubwürdigkeit des Systems als Ganzes" genutzt würden.

In verschiedenen Ländern scheint dieses Narrativ in der politischen Debatte an Bedeutung zu gewinnen, nicht zuletzt durch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Trump. Der ehemalige US-Präsident machte für seine Wahlniederlage 2020 ein "manipuliertes" Wahlsystem verantwortlich und kritisierte insbesondere die Briefwahl als "großen Betrug".

Diese Behauptungen spiegeln ähnliche Narrative der FPÖ in Österreich und der AfD in Deutschland wider, die ebenfalls der Meinung sind, dass die Briefwahl anfällig für Manipulationen sei. 

FPÖ-Wahlparty mit Herbert Kickl und Harald Vilimsky
Die FPÖ fordert in ihrem Parteiprogramm dazu auf, die Briefwahl zu meidenBild: Helmut Fohringer/APA/dpa/picture alliance

Trotzdem gilt die Briefwahl als sicher. Sollte es in Einzelfällen zur Manipulation kommen, wird wegen des Verdachts der Wahlfälschung ermittelt. So wurden etwa bei den Landtagswahlen in Sachsen - einem Nachbarland von Brandenburg - nach Angaben der Polizei 130 manipulierte Stimmzettelzugunsten der als rechtsextremistisch eingestuften Partei "Freie Sachsen" entdeckt.

Aiko Wagner, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, erläutert, dass die Briefwahl von Parteien wie der AfD als weniger transparent als die persönliche Stimmabgabe kritisiert werde. Das könne Verdachtsmomente wecken, die noch verstärkt würden, wenn die AfD bei den Briefwählern schlechter abschneide als bei den Präsenzwählern, ergänzt Wagner im Interview.

Genau das passierte bei der Landtagswahl in Brandenburg. Der Co-Vorsitzende der AfD, Timo Chrupalla, sagte in einer Pressekonferenz, er wisse nicht, ob AfD-Wähler generell nicht zur Briefwahl neigten und behauptete, es sei "kein Geheimnis", dass Briefwahlen anfällig für Manipulationen seien.

Er verwies außerdem auf das, was manche die "Altersheimtheorie" nennen. Dabei handelt es sich um den Vorwurf, dass alte Menschen, die nicht persönlich zur Wahl gehen können, nicht frei wählen, sondern von bestimmten Parteien unter Druck gesetzt werden würden.

Chrupalla sagte, dass Parteien "in Altersheimen ein- und ausgehen", mit Ausnahme der AfD, der oft der Zutritt verweigert werde. Belege für seine Behauptung lieferte er nicht. Altenheimträger und die Pflegekammer haben derartige Vorwürfe in der Vergangenheit schon oft zurückgewiesen.

Pflegekräfte im Seniorenheim bei der Arbeit
Seniorenheime sollen laut rechten Parteien bei Briefwahlen anfällig für Manipulationen bei Wahlen sein - Belege gibt es dafür nichtBild: Waltraud Grubitzsch/dpa/picture alliance

Das Büro des Brandenburger Wahlleiters teilte der DW zudem per E-Mail mit, dass es keine Informationen über Wahlbetrugsvorwürfe erhalten habe. Chrupallas Äußerungen können also dazu beitragen, Misstrauen gegenüber dem Wahlprozess zu säen, insbesondere bei den Wählern seiner Partei, obwohl für einen Betrug bei der Briefwahl keine Belege vorliegen.

"Einfallstor" für Verschwörungstheorien

Das ist nicht die einzige Theorie, die mit diesen Behauptungen über Briefwahlstimmen in Verbindung gebracht wird. Aiko Wagner bezeichnete sie als "Einfallstor" für Verschwörungstheorien, da die Menschen glauben könnten, dass hinter den Kulissen etwas manipuliert werde.

Laut Wagner können Parteien so Narrative verbreiten über angebliche "Machenschaften, von denen der normale Bürger nichts weiß" oder "korrupte politische Eliten, die das wahre Volk verraten".

Donald Trump bei dem TV-Duel gegen Harris
Auch Donald Trump sieht in der Briefwahl einen Nachteil für seine US-RepublikanerBild: Win McNamee/UPI Photo via Newscom picture alliance

Das Problem mit Verschwörungstheorien ist für Daniel Hellmann, dass sie oft einen wahren Kern haben, aus dem eine bestimmte Weltsicht weiter gesponnen wird. Laut Hellmann besteht der Kern der Wahrheit bei der Briefwahl darin, dass es schwieriger ist, eine geheime Stimmabgabe zu gewährleisten, als wenn die Menschen ins Wahllokal gehen.

Das bedeutet nicht, dass Briefwahlen strukturell manipuliert werden, aber dieser Kern der Wahrheit wird - wie im Fall der Altenheime - genutzt, um Zweifel an einem politischen Prozess zu säen.

Ein politischer Prozess, der zwar häufig von rechtspopulistischen Parteien in Frage gestellt wird, aber trotz dieser Falschbehauptungen weiterhin ein Grundpfeiler der Demokratie bleibt.