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GesellschaftEuropa

Faktencheck: Fußballfans statt gewaltbereite Migranten

Uta Steinwehr
16. Juli 2024

Migranten und Muslime, die Europäern in einem Video drastisch Gewalt androhen? Das behaupten mehrere virale Social-Media-Posts. Dabei handelt es sich um feiernde Fußballfans. Das Video zirkuliert nicht zum ersten Mal.

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Screenshot eines X-Posts, der das Video verbreitet mit der Behauptung Muslime würden Europäern Gewalt androhen
Ein Nutzer auf X verbreitet das Video mit der falschen Übersetzung und kommentiert: "Beim Islam geht es nur um Sex und Töten"Bild: X

Eine große Gruppe Männer bei Nacht auf einer belebten Straße. Feuerwerkskörper explodieren. Ein Mann spricht, schreit nahezu in die Kamera, gestikuliert energisch. Umstehende Personen johlen. In diesem 45 Sekunden langen Video sollen die Männer angeblich Europäern sehr drastische Gewalt androhen. 

Verbreitet ist das Video unter anderem auf X und Telegram. Nutzende verbreiten die Übersetzung von dem, was angeblich gesagt wird, auf Englisch, Spanisch, Russisch, Hindi, Dari, Japanisch und Chinesisch. Zusammengenommen wurden die Versionen, die in den letzten Tagen veröffentlicht wurden und die DW-Faktencheck finden konnte, mehr als 5,7 Millionen Mal angesehen.

DW Fakten Check Antimuslimische Hassrede - Faktencheck-Video
Die falsche Behauptung wird in vielen Sprachen verbreitetBild: X

Behauptung: Den Posts zufolge sagen die Männer in dem Video, dass sie alle weißen Frauen in Europa vergewaltigen und allen Männern den Kopf abschlagen werden. Teilweise wird behauptet, sie seien Muslime, Migranten oder Islamisten. Einige Versionen behaupten weiter, die Männer sagten: "Wir haben Europa erobert, jetzt gehört es uns."

DW-Faktencheck: Falsch.

Die Menschen in dem Video sprechen Französisch, aber nicht über Vergewaltigungen oder das Töten von Menschen. 

Die Hauptaussage des Mannes, der am meisten spricht, ist: Sie alle sind Franzosen, trotz ihrer Einwanderungsgeschichte aus afrikanischen Staaten. Er sagt wörtlich: "Wir sind hier und bleiben hier. Ob es den Leuten gefällt oder nicht. Wir sind Franzosen. Wir sind in Frankreich geboren, wir haben die Staatsangehörigkeit! [...] Aber wir bleiben Afrikaner, und wir bleiben [hier]."

Er betont auch, dass sie im Vergleich zu bestimmten Protest- und Krawallbewegungen friedlich seien und nicht randalierten: "Nichts brennt. Wir sind da, wir sind keine Gelbwesten! Wir sind kein Schwarzer Block." Und später: "Wir sind hier und haben nichts kaputt gemacht, Marine! Das ist für dich! Ich liebe dich, Marine Le Pen". Im Kontext ist es vermutlich als ironischer Kommentar an die frühere Vorsitzende der rechtsgerichteten französischen Partei Rassemblement National gemeint. Die Partei polemisiert gegen Einwanderer und den Islam.

Nicht alle Aussagen des Mannes im Video sind unproblematisch. So sagt er auch: "Wir waren schneller als die Deutschen: Wir haben Paris in nur drei Stunden erobert. Die Deutschen brauchten dafür 24 Stunden im Jahr 1940." Damit bezieht er sich auf den Zweiten Weltkrieg als Nazi-Deutschland in Paris einmarschierte.

Doch die Unterstellung, er würde Europäerm mit extremer Gewalt drohen, ist falsch.

Wann und wo ist das Video entstanden?

Per Bilderrückwärtssuche mit einem Standbild haben wir eine längere Version des Videos finden können, die 1 Minute 13 Sekunden lang ist. Diese Version liefert mehre Hinweise über die Entstehung. Sie lassen uns darauf schließen, dass dieses Video am Abend des 14. Juli 2019 in Frankreichs Hauptstadt Paris am Wahrzeichen Arc de Triomphe aufgenommen wurde und Fußballfans zeigt.

Die früheste auffindbare Version wurde am 15. Juli 2019 auf X veröffentlicht - in diesem Post werden den Männern keine Gewaltfantasien unterstellt. Verwendete Hashtags sind unter anderem "14. Juli 2019", "Algerien", "Frankreich", und "CAN 2019". In der Langversion des Videos erwähnen die Männer zwei Mal den Africa Cup of Nations, die Meisterschaft im Fußball für den afrikanischen Kontinent. Die französische Abkürzung dafür ist CAN. 

Am Abend des 14. Juli 2019 gewann Algerien im Halbfinale gegen Nigeria und zog damit in das Finale ein. Im Video schwenken Menschen algerische Fahnen.  

In der Langversion ist außerdem ein Pariser Wahrzeichen zu sehen, der Triumphbogen. Unter dem Bogen weht eine große französische Flagge. 

Vor allem bei großen Meisterschaften feiern Fans Siege ihrer Mannschaften traditionell auf der Straße und öffentlichen Plätzen, darunter in Paris auf der Prachtstraße Champs-Elysées und dem daran angrenzenden Platz mit dem Arc de Triomphe. Die französische Bildagentur AFP veröffentlichte Fotos, die Jubelfeiern von Fans des algerischen Teams an dem Abend an dem Ort zeigen - inklusive französischer Fahne unter dem Triumphbogen. Sie wird dort nur zu speziellen Feier- und Gedenktagen oder Zeremonien gehisst. Der 14. Juli ist Frankreichs Nationalfeiertag.

Algerische Fans feiern auf dem Platz vor dem Arc de Triomphe in Paris - es weht eine französische Fahne unter dem Wahrzeichen
Dieses Foto verbreitete die Nachrichtenagentur AFP zu Feiern auf der Prachtstraße Champs-Elysées in Paris am Abend des 14. Juli 2019 nach Algeriens SiegBild: ZAKARIA ABDELKAFI/AFP

So kommen wir also zu dem Schluss, das Video zeigt keine gewaltbereiten Migranten, sondern Fußballfans.

Die längere Version des Videos erweckt den Eindruck, als stamme es aus einer Medien-Berichterstattung. Gegen Ende der Aufnahme sagt eine Stimme aus dem Hintergrund: "Ach sowas habe ich gar nicht gefragt, es ging mir bloß um Fußball." Am Anfang der längeren Version ist außerdem mehrfach kurz ein Mikrofon zu sehen. Es trägt das Logo der Plattform "Le Média pour tous" (übersetzt: Das Medium für alle). DW-Faktehcheck hat die Plattform um Details zur Entstehung des Videos gebeten, bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aber keine Antwort erhalten.

Die Recherche zeigt, es ist nicht das erste Mal, dass das Video benutzt wird, um gegen Muslime und Migranten zu hetzen. Obwohl es keine Hinweise darauf gibt, welcher Religion die Menschen im Video angehören. Im Juni 2024 wurde die Langversion mehrfach geteilt - ebenfalls mit der Falschbehauptung, muslimische Migranten würden in dem Video Vergewaltigungs- und Tötungsabsichten verbreiten. Darunter auf Deutsch, Englisch, Bulgarischund Vietnamesisch.

Schon 2023 wurden die Unterstellungen unter anderem auf Englisch und Chinesisch geteilt. Teilweise nutzen die Postenden die falsche Behauptung, um eine härtere Migrationspolitik zu fordern.

Mitarbeit: Sandrine Blanchard, Daniel Ebertz und Rachel Baig