Was wir über die Delta-Variante wissen
29. Juni 2021Dieser Artikel wurde zuletzt am 29.06.2021 aktualisiert. Neuere Entwicklungen oder Daten wurden nicht berücksichtigt.
Was genau ist die Delta-Variante?
Die Delta-Variante, auch B.1.617.2 genannt, wurde im Oktober 2020 indischen Bundesstaat Maharashtra gefunden und verbreitet sich seitdem stark in Indien und über die ganze Welt. Ursprünglich hieß sie deshalb indische Variante, inzwischen ist Delta-Variante die gängige Bezeichnung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte sie im Mai als "variant of concern" (VOC), also als besorgniserregende Variante ein - so wie auch Alpha (B.1.1.7), Beta (B.1.351) und Gamma (P.1).
Die Delta-Variante hat mehrere Mutationen. Während das Coronavirus zirkuliert, mutiert es ständig, das ist ganz normal. Manchmal machen diese Mutationen das Virus effektiver, etwa wenn es sich Impfungen entzieht, manchmal machen sie das Virus weniger effektiv, und oft haben sie überhaupt keinen Auswirkungen.
Die genauen Funktionen der Delta-Mutationen sind bisher nicht wissenschaftlich erforscht. Bisher bekannt sei aber, dass die Mutationen dem Virus erlauben, sich einfacher an die Zellen der Menschen zu binden und einigen Immunreaktionen zu entgehen, sagt Deepti Gurdasani, klinische Epidemiologin an der Queen Mary University of London, im DW-Interview.
Neben Delta gibt es noch die Delta-Plus-Variante (oder AY.1). Diese Variante sei noch übertragbarer und resistenter gegen die bisher zugelassenen Impfstoffe, so Gurdasani, ist aber laut der Seite PANGO Lineages bisher kaum verbreitet.
Wie verbreitet ist die Delta-Variante?
Die Delta-Variante ist weltweit immer mehr verbreitet. Sie wurde laut WHO bislang in 96 Ländern festgestellt - Tendenz steigend. Die meisten Fälle meldet Großbritannien, wo die Variante nach Daten der GISAID-Initiative bereits mehr als 65.000 Mal (Stand 29.06.2021) identifiziert wurde. Es folgen Indien, die USA und Deutschland.
Wichtig zu erwähnen ist jedoch, dass die Staaten ihre Daten weder regelmäßig noch tagesaktuell an GISAID melden. Außerdem wird je nach Land unterschiedlich viel sequenziert, das heißt, nicht bei jeder positiven Corona-Probe wird untersucht, welche Virusvariante die Infektion auslöste. Somit dürfte die Dunkelziffer deutlich höher liegen.
Ist die Delta-Variante ansteckender?
Wissenschaftliche Studien darüber gibt es noch nicht viele. Maria Van Kerkhove, Covid-19 Technical Lead der WHO, schrieb auf Twitter, dass die Delta-Variante sich leichter überträgt als die Alpha-Variante und der Wildtyp des Coronavirus.
Der britische Epidemiologe Neil Ferguson geht von davon aus, dass Delta um 60 Prozent ansteckender ist als Alpha, die zuvor in Großbritannien vorherrschende Variante, die bereits ihrerseits ansteckender ist als der Wildtyp der ersten Pandemie-Welle im Frühjahr 2020.
Die Corona-Zahlen im Vereinigten Königreich scheinen dies zu bestätigen. Ab Anfang Juni stieg die Zahl der Infektionen dort wieder deutlich an, mittlerweile liegt das Land wieder bei um die 15.000 Neuinfektionen pro Tag oder mehr. Dies geht einher mit der immer stärkeren Ausbreitung der Delta-Variante. Über 90 Prozent der Menschen, die sich aktuell in Großbritannien mit dem Coronavirus anstecken, tun dies mit der Delta-Variante, so Daten von Public Health England (PHE), einer Behörde des britischen Gesundheitsministeriums. Einer weiteren Studie des PHE zufolge steigt die Chance, sich im eigenen Haushalt mit der Variante anzustecken, um 64 Prozent im Vergleich zu der Alpha-Variante des Coronavirus.
Das bestätigt auch Wissenschaftlerin Gurdasani: "In Indien stellten wir fest, dass die Delta-Variante sich schneller verbreitete als die Alpha-Variante, die zunächst in Großbritannien festgestellt wurde. Und das ist besorgniserregend, denn wir wussten ja schon, dass die Alpha-Variante ansteckender als der Wildtyp war." Gurdasani geht von einer verdreifachten Übertragungswahrscheinlichkeit aus.
Ist die Delta-Mutation tödlicher?
Bisher gibt es wenig wissenschaftliche Daten dazu, ob die Delta-Variante mehr Todesfälle hervorruft als andere Varianten. Fest steht: In Großbritannien sind der PHE zufolge bis zum 21. Juni 117 von 92.056 mit der Delta-Variante Infizierte gestorben - das entspricht einer im Vergleich zu anderen Varianten sehr niedrigen Fallsterblichkeit von 0,1 Prozent. Jedoch wird vermutet, dass die geringe Sterblichkeit vor allem damit zusammenhängt, dass mittlerweile ein größerer Anteil der Bevölkerung gegen das Coronavirus geimpft ist - und nicht damit, dass durch Delta verursachte Krankheitsverläufe grundsätzlich leichter sind.
Die bislang aus Großbritannien vorliegenden Zahlen zu Hospitalisierungen deuten eher auf einen schwereren als auf einen leichteren Verlauf durch die Variante hin: Das Risiko, nach einer Infektion mit Delta im Krankenhaus zu landen, ist ungefähr doppelt so hoch wie nach einer Infektion mit der Alpha-Variante, so Daten der PHE und einer neuen, in der Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichten Studie.
Insgesamt ist bei schweren Verläufen und Todesfällen im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion immer zu beachten, dass immer mehrere Faktoren wie beispielsweise Vorerkrankungen eine Rolle spielen. "Wir brauchen mehr Informationen, um festzustellen: Ist es wirklich die Variante selbst oder ist es eine Kombination von Faktoren?", so Van Kerkhove von der WHO. Auch überlastete Gesundheitssysteme könnten dazu führen, dass Menschen nicht die nötige Versorgung erhielten - und dann versterben könnten.
Schützen die Corona-Impfstoffe gegen die Delta-Variante?
Aktuellen Erkenntnissen zufolge schützen sowohl die Impfstoffe von BioNTech/Pfizer als auch der Impfstoff von AstraZeneca vor einem schweren Verlauf mit der Delta-Variante - wobei die Schutzwirkung geringer ist als gegen den Wildtyp und minimal geringer als gegen die Alpha-Variante.
Einer PHE-Studie zufolge, die noch begutachtet werden muss, sollen zwei Dosen der oben genannten Impfstoffe stark vor einer Hospitalisierung schützen, also einer notwendigen Behandlung im Krankenhaus. BioNTech/Pfizer soll dies nach der ersten Impfung bereits zu 94 Prozent verhindern, nach der zweiten Dosis sogar zu 96 Prozent. Mit AstraZeneca geimpfte Menschen sind nach der ersten Impfung zu 71 Prozent davor geschützt, einen schweren Verlauf mit Krankenhausaufenthalt zu haben - nach der zweiten sogar zu 92 Prozent.
Der Schutz gegen einen schweren Krankheitsverlauf ist also gegeben. Daran lässt auch die Tatsache, dass 50 der 117 in Großbritannien registrierten Todesfälle durch Delta bereits vollständig geimpfte Menschen waren, Experten nicht zweifeln.
Deutschlands bekanntester Virologe Christian Drosten etwa erklärte dazu im NDR-Podcast "Coronavirus-Update": "Es gibt die Fälle, dass auch Leute, die doppelt geimpft sind, versterben." Dann müsse man genau hinschauen, woran sie eigentlich verstorben seien und wie die Diagnose gestellt worden sei. Der hohe Anteil von bereits Geimpften unter den Toten hängt wohl - genau wie die oben erwähnte grundsätzlich sehr niedrige Sterblichkeit - damit zusammen, dass eben ungefähr die Hälfte der Bevölkerung schon vollständig immunisiert ist. Alle der 50 Verstorbenen waren den Daten zufolge älter als 50 Jahre.
Einer britischen Studie zufolge schützen die Impfstoffe auch davor, überhaupt symptomatisch auf eine mögliche Infektion mit der Delta-Variante zu reagieren. BioNTech/Pfizer schützt dabei nach der ersten Dosis zu 36 Prozent vor einem symptomatischen Verlauf, zu 88 Prozent nach der zweiten Dosis. Bei AstraZeneca sind es nach der ersten Dosis 30 Prozent, nach der zweiten 67 Prozent.
Diese ersten Studienergebnisse zeigen, dass die Delta-Variante zwar prinzipiell resistenter gegen die Impfstoffe ist - aber gerade eine vollständige Impfung weiterhin stark vor dieser Variante schützt.
Ist Delta für die Situation in Indien und Großbritannien verantwortlich?
Die Delta-Variante dominiere sowohl in Indien als auch in Großbritannien die pandemische Lage, schreibt der Epidemologe Eric Feigl-Ding auf Twitter. Ob die Delta-Variante für die Situation in Indien hauptsächlich verantwortlich ist, kann bisher nicht wissenschaftlich belegt werden, es fehlen Sequenzierungen. Fakt ist aber: Indien ist eines der am meisten betroffenen Länder der Pandemie. Bisher wurden über 30 Millionen Fälle registriert, das Gesundheitssystem ist massiv überlastet.
Die Wissenschaftlerin Deepti Gurdasani sieht im DW-Interview mehrere Gründe für die massive Verbreitung des Coronavirus in Indien: "Ich denke, es war eine Kombination aus einer sehr später Reaktion der Regierung, grundlegende Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen, und einer Art Selbstüberschätzung, wonach bereits eine Herdenimmunität erreicht worden sei."
In Großbritannien verschlechterte sich die Lage zuletzt rapide. Die Sieben-Tage-Inzidenz, die noch Anfang Mai im Vereinigten Königreich unter 20 lag, stieg mittlerweile wieder auf über 170 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche.
Was sind die Symptome der Delta-Variante?
Nach ersten Erkenntnissen aus Großbritannien unterscheiden sich die Symptome, die die Delta-Variante auslöst, ein wenig von denen der anderen Typen des Coronavirus. Wie Infizierte im Rahmen einer Studie der britischen App Zoe meldeten, klagten Betroffene über Kopfschmerzen, raue Kehlen, laufende Nasen und Fieber. "Es ist mehr wie eine starke Erkältung", sagt der Wissenschaftler und Mitgründer der App Tim Spector.
Wenn Menschen dächten, sie seien nur erkältet, weil COVID-typische Symptome wie Geruchs- und Geschmacksverlust oder Husten fehlten, könnten sie unbekümmerter sein und leichter andere ansteckten. Deswegen sollte man sich bei diesen Symptomen testen lassen und zuhause bleiben, sagt Spector. Auch der Wissenschaftler Balloux rät dazu, vorsichtig zu sein. Die Symptome könnten gerade in der aktuellen Heuschnupfen-Saison leicht unterschätzt werden.
Christian Drosten vermutet, dass die der App gemeldeten Symptome vielleicht nicht wegen der Delta-Variante anders sind, sondern eher wegen des jüngeren Alters der nun Infizierten - da die Älteren ja verstärkt geimpft seien. Um Genaueres sagen zu können, fehle es noch an wissenschaftlichen Erkenntnissen, so der Virologe im NDR.
Wie kann man sich vor der Delta-Mutation schützen?
Die bekannten Hygieneregeln wie anderthalb Meter Abstandhalten, Händewaschen, das Tragen von Mund-Nase-Schutzen und Lüften schützen gegen alle bisher bekannten Varianten des Coronavirus, also auch vor Delta, schreibt das Robert-Koch-Institut der DW auf Anfrage. Zudem schützen die Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und AstraZeneca auch gegen die Mutation - wenn der Schutz auch etwas geringer ausfällt als gegen die anderen Varianten.
Zudem sollten Reisen in sogenannte Virusvariantengebiete vermieden werden. Gerade Reisen fördern die Verbreitung des Coronavirus sowie der Varianten, schon seit Beginn der Pandemie. Deswegen brauche man auch umfassende Quarantäneregeln, sagt die Wissenschaftlerin Deepti Gurdasani.