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Politik

Fall Khashoggi: Lückenpresse auf Arabisch

Kersten Knipp | Mehyeddin Hussein
21. November 2018

Um den Mord an Jamal Khashoggi wird auch in den arabischen Medien hart gestritten. Unversöhnlich stehen sich zwei Lager gegenüber. Sie trennt weniger die Frage der Ideologie als die des jeweiligen Geldgebers.

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Bildkombo Saudi-Arabien | Jamal Khashoggi & Mohammed bin Salman

Die saudische Zeitung "Al Watan" konnte ihre Lesern am Mittwochmorgen eine gute Nachricht vermelden: US-Präsident Trump werde auch weiterhin unverbrüchlich zu Saudi-Arabien stehen. So habe er es in seiner mit Spannung erwarteten Erklärung verlautbart. Das Königreich bleibe weiterhin ein wichtiger Verbündeter der USA. Was den Mord an Jamal Khashoggi angehe, habe Trump erklärt, dürfte es schwierig werden, sämtliche Fakten in Erfahrung zu bringen.

Die Zeitung kam ihrer vornehmsten Pflicht nach: Sie berichtete, was Trump zu sagen hatte. Zumindest hat sie es in Ansätzen und nicht, ohne eine gewisse Vorauswahl getroffen zu haben. Denn Trump hatte in seinem Text auch erklärt, er wisse nicht, ob der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz MbS genannt, vorab über den Mord an Khashoggi informiert gewesen war. Vielleicht war er es, vielleicht auch nicht, hatte Trump gesagt.

"Al Watan" zog es vor, seinen Lesern Trumps abwägende Worte nicht mitzuteilen. Sofern die Leser sich keiner anderen Medien bedienten, konnten sie den Eindruck haben, im Verhältnis des amerikanischen Präsidenten zum politischen Spitzenpersonal des Königreichs habe sich trotz der Ermordung Khashoggis nicht viel getan.

Ähnlich berichtete es auf seiner Website der saudische Nachrichtenkanal Al-Arabiya. Auch er zitierte Donald Trump mit der Aussage, sämtliche Fakten würde man womöglich nie erfahren. Aber wie die Zeitung zog es auch Al-Arabiya vor, über Trumps halbherzige Distanzierung von ihrem Kronprinzen zu schweigen. Dieser Teil der Nachricht kommt derzeit in Riad nicht gut an. Also ließ der Sender ihn unter den Tisch fallen. 

Israel Büro des Senders Al-Jazeera in Jerusalem
Stimme Katars: der Nachrichtensender Al-JazeeraBild: Getty Images/AFP/A. Gharabli

Finanziers geben die Richtung vor

Anders deutete hingegen der katarische Nachrichtensender Al-Jazeera die Erklärung Trumps. Diese sei "ein klares Zeichen, dass die strategischen Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien nicht vom politischen Überleben einzelner Personen in Riad oder auch Washington abhängen." Das lässt sich auch als Attacke auf bin Salman lesen - eben jenen Politiker, der vor anderthalb Jahren den Boykott Saudi-Arabiens gegen Katar initiiert hatte. Der Kronprinz mag ein politisches Schwergewicht sein, deutete der Sender an, aber letztlich spielt auch er im amerikanisch-saudischen Verhältnis eine untergeordnete Rolle. Die Staatsraison ist bedeutender als die jeweiligen staatlichen Repräsentanten. Selbst MbS, so die Botschaft, ist politisch nur einer unter mehreren. Letztlich ist er austauschbar.

Kampf um die Deutungsmacht

Die unterschiedliche Deutung offenbart den tiefen Riss, der durch die arabische Medienlandschaft geht. Dieser Riss folgt zunächst keiner ideologischen, sondern einer ökonomischen und machtpolitischen Linie: Die arabischen Medien richten sich nach den Vorgaben ihrer Geldgeber sowie ihrer jeweiligen politischen Führung. Bei wenig relevanten Themen haben sie - relative - Freiheiten. In den großen Fragen jedoch folgen sie den Vorgaben von oben. "Es gibt in der arabischen Welt keine Pressefreiheit", sagt der Nahost-Experte Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz. "Wir haben es ausschließlich mit mehr oder weniger autoritären Regimen zu tun. Medien, die gegen die jeweiligen Herrscher argumentieren oder deren Verhalten etwa kritisieren, gibt es nicht mehr."

Dieser Linie folgen auch jene Kommentare, die den Fall Khashoggi zum Anlass ganz grundsätzlicher Kritik nehmen. So kritisiert die dem katarischen Sender "Al-Jazeera" verbundene Zeitung "Al-Araby al-Jadeed" den saudischen Kurs generell. "Es ist der saudischen Regierung nicht gelungen, die USA und die anderen westlichen Staaten davon zu überzeugen, das Königreich auch unter der Führung bin Salmans weiter zu unterstützen", heißt es in dem Blatt. "Die Ermordung Khashoggis passt bestens zur Militarisierung der saudischen Politik, ihrem Mangel an einem auf Versöhnung gerichteten Stil und zur Praxis, gegen Kritiker vorzugehen. Riad ist innen- und außenpolitisch immer weniger manövrierfähig."

Libanon Sender Al-Arabiya in Beirut
Stimme Saudi-Arabiens: der Nachrichtensender Al-ArabiyaBild: picture-alliance/AP Photo/H. Malla

An der Grenze zur Verschwörungstheorie

Umgekehrt führt die saudische Zeitung "Al-Jazeera" - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen katarischen Nachrichtensender - bittere Klage über die aus ihrer Sicht unbegründeten Attacken auf das Königreich. Die Medien feindlicher Länder - namentlich nennt "Al Jazeera" Katar und die Türkei - "intensivieren ihre Angriffe gegen das Königreich, produzieren Geschichten aus der Phantasie heraus und attackieren die Symbole unserer großen Vaterlands. Ihre Worten können nur den Einfältigen als wahr erscheinen, oder aber jenen, die sich an diesen Angriffen beteiligen." Doch von solchen Angriffen werde sich Saudi-Arabien nicht beeindrucken lassen, versichert das Blatt: "In seiner Stärke, Entschlossenheit, mit seiner Geschichte, seiner Führung und seiner Bevölkerung ist das Königreich viel stärker als alle diese aggressiven Versuche auf sie zurückfallen. Dieser werden an ihren eigenen Flammen verbrennen."

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, führte Hussein Shoboksh, Kolumnist der saudischen Zeitung "Okaz" in der Ausgabe vom Montag dieser Woche auf die Aktivitäten fremder Geheimdienste zurück. "Die wichtigste Frage, die es nun zu beantworten gilt, ist die  nach dem Ausmaß der Sicherheitslücken und des Eindringens ausländischer Spionagekräfte zum Schaden der diplomatischen Niederlassungen Saudi-Arabiens im Ausland, wie es in Istanbul der Fall war." Demnach ist nicht die Tat selber der Skandal, sondern der Umstand, dass sie aufgedeckt wurde.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika