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Politik

Fall Wirecard: Minister "auf dem Grill"

29. Juli 2020

Welche Verantwortung trägt die Bundesregierung im Wirecard-Betrugsskandal? Der Finanzminister, der im Fokus steht, gibt in einer Sondersitzung den Aufklärer. Doch das Thema könnte ihm die Kanzlerkandidatur verderben.

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Bildkombo: Porträt von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (l.) und Finanzminister Olaf Scholz vor einem Gebäude mit der Aufschrift "Wirecard"
Wirtschaftsminister Altmaier (links), Finanzminister Scholz und eine dubiose FirmaBild: picture-alliance/SvenSimon/F. Hoermann

Mitunter hilft die englische Sprache gut, um zu verstehen, was in Deutschland politisch passiert. Zur Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestages zum Betrugsskandal beim Finanzdienstleister Wirecard schrieb die Nachrichtenagentur dpa: "German lawmakers grill finance minister on Wirecard scandal." Und auch die Agentur Reuters griff zu diesem Bild, nahm aber noch eine weitere Person dazu: "German lawmakers grill Scholz, Altmaier over Wirecard scandal."

Die Minister für Finanzen, Olaf Scholz (SPD), und Wirtschaft, Peter Altmaier (CDU), waren also "auf dem Grill", ihnen wurde auf den Zahn gefühlt oder sie wurden in die Mangel genommen. Je nachdem, wie man die englische Formulierung übersetzen mag. Und nun überlegen die "lawmakers", also die Abgeordneten, ob sie noch zu anderem Besteck greifen. Muss es in der Sache Wirecard sogar einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben?

Das scharfe Schwert

Unter Druck steht vor allem Finanzminister Scholz, seines Zeichens möglicher SPD-Kanzlerkandidat. Der Fall könnte das politische Berlin noch lange beschäftigen - denn ein solcher Untersuchungsausschuss als "schärfstes Schwert" würde ihn mehr in Anspruch nehmen, als dies für einen möglichen Spitzenkandidaten gut wäre. Vom Ergebnis einmal ganz abgesehen.

Und so wurde die Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestages an diesem Mittwoch mit ziemlicher Spannung erwartet. Aber: Viele Neuigkeiten gab es in der Sache nicht, die Opposition sieht weiter etliche offene Fragen. Scholz präsentierte sich in der vierstündigen Befragung als oberster Aufklärer, wie Teilnehmer berichteten. Die Schuld habe er vor allem auf Wirtschaftsprüfer geschoben, die Jahresabschlüsse von Wirecard jahrelang nicht beanstandet hätten - und die nicht in seinen politischen Zuständigkeitsbereich fielen. Der Minister habe seinen Reformwillen bekräftigt und die Bedeutung eines Aktionsplans betont, den er bereits vorgelegt hat - auf dass sich Ähnliches nicht wiederhole.

Finanzminister Olaf Scholz sitzt an einem Tisch mit Mikrofon, vor ihm liegt eine Aktenmappe
Gelassen am Tisch des Finanzausschusses: Minister ScholzBild: picture-alliance/dpa/M.Kappeler

Nach der Befragung - die viel länger war als gedacht - stellte sich Scholz am Abend vor die Kameras. Es sei eine sehr umfangreiche und intensive Diskussion gewesen. Es brauche nun sehr schnell Reformen, die Finanzaufsicht müsse härtere Instrumente bekommen, Wirtschaftsprüfer in Firmen müssten häufiger wechseln. Dann gab der Finanzminister indirekt noch seinem Kabinettskollegen Altmaier etwas mit auf den Weg, den der Finanzausschuss nach Scholz an die Reihe nahm. Der Wirtschaftsminister ist zuständig für die Aufsicht der Wirtschaftsprüfer; die SPD wirft ihm vor, zu wenig zur Wirecard-Aufklärung beizutragen.

Wegducken!

"Ich glaube, dass diejenigen falsch liegen, die glauben, dass man sich hier wegducken könnte und dass man hofft, dass das an einem vorbeigeht", sagte Scholz. "Wir müssen jetzt alle einen Beitrag dazu leisten, dass wir alles wissen, und daraus dann auch die notwendigen Reformen ableiten." Wer wollte, konnte das als Kritik an der Union deuten, die sich auch darum bemüht, das Kanzleramt in der Angelegenheit aus dem Spiel zu halten. Denn auch da lagen Berichten zufolge frühzeitig Informationen über die Probleme bei Wirecard vor.

Altmaier wiederum sah keine Fehler bei der Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer. Er sagte nach seiner Befragung, die "Abschlussprüferaufsichtsstelle" habe, soweit er das nachvollziehen könne, sehr früh und zu jedem Zeitpunkt die notwendigen und die richtigen Schritte ergriffen. Die entsprechenden Fragen der Abgeordneten seien beantwortet worden. "Ich glaube nicht, dass es Unklarheiten in dieser Richtung noch in irgendeiner Weise gibt", so Altmaier. 

Katalog mit 90 Fragen

Doch das reicht der Opposition nicht: Die Sitzung mit Scholz und Altmaier habe deutlich gemacht, dass es noch viel zu besprechen gebe, sagte der FDP-Abgeordnete Florian Toncar in Berlin. "Das legt nahe, dass wir uns auch mit einem Untersuchungsausschuss noch näher auseinandersetzen müssen." Die FDP biete Linken und Grünen Gespräche über einen Untersuchungsausschuss an. Etwas zurückhaltender äußerte sich Danyal Bayaz von den Grünen. "Einige Fragen wurden beantwortet, neue sind entstanden", sagte er zur Anhörung der beiden Minister. Scholz habe den Vorwurf nicht aus der Welt schaffen können, dass das politische Frühwarnsystem nicht funktioniert habe. Seine Fraktion habe einen umfangreichen Katalog mit 90 Fragen an das Finanzministerium übermittelt und erwarte Antwort bis zum 10. August.

Der ehemalige Wirecard-CEO Markus Braun mit Headset bei einer Rede, im Hintergrund ist etwas verschwommen die Aufschrift "wirecard" zu sehen
In Haft: Wirecard-Chef BraunBild: picture-alliance/AP Photo/M. Schrader

Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses muss im Bundestag ein Viertel der Abgeordneten stimmen. FDP, Grüne und Linke würden zusammen das Quorum erreichen. Dieses Gremium könnte dann weiter auf Aufklärung dringen, warum Finanzminister Scholz schon im Februar 2019  darüber unterrichtet worden war, dass die Finanzaufsicht Bafin den Fall Wirecard wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanipulation untersuche. Und warum dann nicht früher eingegriffen wurde. Und warum sich Staatssekretär Jörg Kukies im November 2019 mit Wirecard-Chef Markus Braun zu einem persönlichen Gespräch traf - an Brauns Geburtstag.

Gewerbsmäßiger Bandenbetrug 

Braun und andere frühere Führungskräfte sind inzwischen in Haft. Der mittlerweile insolvente Zahlungsdienstleister hatte im Juni "Luftbuchungen" von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von einem "gewerbsmäßigen Bandenbetrug" aus, und zwar seit 2015.

ml/ww (dpa, rtr, afp, ARD)