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Der Fußball der Frauen

Matt Ford
10. Januar 2019

Mehr als 70 Frauen aus 20 Ländern und eine gemeinsame Leidenschaft: Fußball. Eine Wander-Ausstellung will weibliche Fußballfans sichtbarer machen. Ihre Geschichten erzählen viel über Fußball-Deutschland.

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Hannover 96 - Aufstiegsfeier
Bild: picture alliance/Fotostand

"Ihr müsst heute Abend hungern, weil eure F***n mit euch im Block rumlungern", lautete die Botschaft eines ziemlich geschmacklosen Banners, das Anhänger von Dynamo Dresden beim Auswärtsspiel beim FC St. Pauli jüngst zeigten. Hinter dieser abfälligen Sprache steckte eine klare Botschaft: Frauen gehören nicht ins Fußballstadion. Die Aktion der Dresdner wurde von Funktionären beider Klubs und von den meisten Fanszenen im ganzen Land einstimmig verurteilt. Zurecht, denn neben Sexismus, Chauvinismus und Herabwürdigung steht das Plakat auch für eine Verklärung der Realität in deutschen Stadien heutzutage. 

Frauen sind heute in vielen Bereichen fester Bestandteil des Bundesliga-Alltags - ob auf den VIP-Tribünen oder mittendrin in den Kurven, wo Ultras und die treuesten Fans der Klubs ihr Zuhause haben. Knapp 30 Prozent der Stadionbesucher in Bundesliga und 2. Bundesliga sind weiblich, mehr als eine Million Frauen und Mädchen sind Mitglied in Fußballklubs, und rund 40 Prozent der Zuschauerschaft der deutschen Nationalmannschaft sind weiblich.

Fußball 1. FC Köln - Bayern München Ruthenbeck Steinhaus
Bibiana Steinhaus musste sich den Respekt hart erarbeitenBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Dieses weibliche Gesicht des Fußballs zeigt die Ausstellung Fan.Tastic.Female, die aktuell durch Deutschland und auch durchs Ausland tourt. "Wir wollen nicht einfach nur den Finger heben und sagen: Sexismus im Fußball ist schädlich", erklärt Daniela Wurbs. Die St. Pauli-Anhängerin und Mitbegründerin des Fan-Netzwerks Football Supporters Europe (FSE) ist eine der Initiatorinnen des Projekts. "Wir wollten die ganze Sache auf den Kopf stellen, indem wir die Frauen in den Mittelpunkt rücken und sie so sichtbarer erscheinen lassen."

In der Ausstellung wird das mit einer Serie von Videoclips realisiert, in denen über 70 weibliche Fußball-Fans aus über 20 verschiedenen Ländern als Protagonistinnen fungieren. Die Storys der Frauen - unter ihnen Alt und Jung - können per QR-Code-Scan auf dem Smartphone angesehen werden. Vom 15-jährigen Düsseldorf-Ultra Dana bis zur 79-jährigen Arsenal-Anhängerin Maria bilden die per QR-Code scanbaren Geschichten einen wahren Wandteppich von Geschichten. Von ganz normalen Fußballgeschichten wie der von Lazio-Fan Claudia, die Probleme beim Römer Stadtderby kennt, bis hin zu wirklich außergewöhnlichen, wie der von Zahra, die als Frauenrechtlerin für die Gleichberechtigung im Iran kämpft, ist alles dabei.

"Sie sehen sehr gut aus"

Manche der porträtierten Frauen werden aber nicht nur als Fußball-Fans gezeigt: Julia Düvelsdorf ist bei Werder Bremen für die Fan-Beziehungen zuständig, während Anna Pierre Vorstandsmitglied des schwedischen Topklubs AIK Solna ist. Beide mussten Hürden überwinden, um sich in einer von Männern dominierten Gesellschaft durchzusetzen.

Je weiter die Entwicklung zu Frauen in Führungsrollen im Fußball geht, desto mehr wird das Gender-Thema behandelt, glaubt Sandra Schwedler, Vorsitzende des Aufsichtsrates beim Zweitligisten St. Pauli: "Als ich in den Aufsichtsrat gewählt wurde, sagten die Leute immer: Oh, Sie sind eine Frau! Im Aufsichtsrat! Aber ich habe auch Qualifikationen. Es gibt einen Grund, warum ich gewählt wurde, und der war nicht, dass ich eine Frau bin."

Fußball Frauen Martina Voss
Seltsame Fußball-Wissenstests für Frauen: Es werden immer noch Unterschiede gemachtBild: picture-alliance/dpa

Daniela Wurbs, Organisatorin der Messe, erfuhr in ihrer Rolle bei FSE ebenfalls schon Negatives. Sei es die Frage nach der Zimmernummer im Hotel oder unangebrachte Anmerkungen wie  "Ja, ja, und Sie sehen sehr gut aus" nach  einer Präsentation. "Sogar bei einigen der größten Fußballinstitutionen glaubte man, mich auf mein Fußballwissen testen zu müssen", erzählt Wurbs. "Ich frage mich, ob männlichen Kollegen die gleichen Fragen gestellt worden wären?" Bei der Organisation der Fan.Tastic Females-Ausstellung hat Wurbs hautnah miterlebt, wie wichtig weibliche Vorbilder im Fußball sind. Und das nicht nur auf dem Spielfeld, wo die Bundesliga ihre erste Schiedsrichterin in Bibiana Steinhaus hat, sondern auch in den Medien - von weiblichen Kommentatoren und Experten und nicht zuletzt auf den Tribünen der Stadien.

"Die Probleme von Frauen im Fußball müssen in den Medien deutlicher gemacht werden, um Frauen aus dem Klischee der sexuellen Objekte zu befreien", sagt Wurbs. "Das Image der jungen, schlanken, sexy Frau spiegelt einfach nicht den durchschnittlichen weiblichen Fan wider. Das ist eines der Ziele der Ausstellung: die Realität auf den Rängen darzustellen und zu präsentieren." Dazu gehört auch, auf Probleme hinzuweisen, mit denen weibliche Fans an bestimmten Spieltagen konfrontiert sind. Vom Mangel an weiblichen Sicherheitskräften, die Körperabtastungen bei Frauen durchführen dürfen, bis zur fehlenden Verfügbarkeit von Toiletten im Stadion werden die Bedürfnisse von Frauen bis heute zu oft vernachlässigt.

"Machen Sie nicht so einen Stress!"

Im November machte eine Schalke-Anhängerin Schlagzeilen, nachdem sie berichtet hatte, in der Arena in Gelsenkirchen sexuell belästigt worden zu sein. Nachdem sie den Vorfall einem Ordner gemeldet hatte, wurde ihr angeblich gesagt, sie solle zu Hause bleiben und fernsehen, wenn sie damit nicht fertig werden könne. Am anderen Ende des Ruhrgebiets sagt Anna Horstmann von Ballspiel.Vereint, der Fangruppe von Borussia Dortmund, die im Dezember die Fan.Tastic Females-Ausstellung moderierte, dass diese Szenarien nur allzu vertraut sind. "Wenn Sie sich an einen Ordner wenden, fehlt oft jegliches Verständnis, und Sie erhalten oft die übliche Antwort: Machen Sie nicht so einen Stress!", erzählt die BVB-Anhängerin. Ihre Forderung: "Viele Frauen hätten gerne eine Anlaufstelle im Stadion, an der sie über ein solches Verhalten berichten können und ernst genommen werden."

Frauenfußball, Deutschland - Österreich
Schnell, dynamisch, spannend: Frauenfußball bietet viel und wird doch kaum beachtetBild: picture-alliance/dpa/M.Kusch

Ordner und Sicherheitspersonal der Bundesligisten sind allerdings darauf geschult, Neonazis oder rechtsextreme Symbole und Gesänge zu erkennen. Doch Anna Horstmann plädiert für ein größeres Bewusstsein für das Problem Sexismus. Als BVB-Dauerkartenbesitzerin ist es ihr größtes Interesse, sich auf der berühmten "Gelben Wand", der Dortmunder Stehtribüne, sicher und zu Hause zu fühlen. "Es gibt immer noch ein so starkes männliches Ideal im Fußball, dessen Eigenschaften Stärke, Loyalität und Stolz sind. Fußball wird als die letzte Bastion der Männlichkeit angesehen. Daher wird alles, was dieser Ansicht nicht entspricht, als schwul oder weiblich verunglimpft. Es ist schön zu sehen, dass rassistische Beleidigungen praktisch nicht existieren - aber nicht, wenn sie durch Homophobie und Sexismus ersetzt werden", sagt Anna Horstmann.

Was können Männer tun?

Während Rassismus heute von der großen Mehrheit der Fans als inakzeptabel und als Tabu betrachtet wird, ist Sexismus im Fußball bei einigen männlicher Fans immer noch ein gerne genutztes Mittel, um andere anzugreifen. "Wenn jemand sagt, dass er gegen Rassismus ist, kann man leicht sagen, dass man auch dagegen ist, weil es im Allgemeinen nicht bedeutet, die eigene Position in Frage zu stellen", sagt Horstmann. "Aber sobald jemand sagt, dass er gegen Sexismus ist, müssen die Menschen über sich selbst nachdenken. Es ist ein schwer zu besprechendes Thema."

"Fan.Tastic Females"-Ausstellung
Bild: www.fan-tastic-females.org

Fan.Tastic Females zielt darauf ab, diese Probleme zu benennen, aber die Lösung kann nicht von Frauen alleine realisiert werden. Ausstellungsorganisatorin Daniela Wurbs glaubt, dass auch Männer die Verantwortung haben, Platz und Akzeptanz für weibliche Fans zu schaffen und sich diese Fragen zu stellen: Was kann man tun, damit sich Frauen während des Spiels sicher fühlen? Was kann man an seinem eigenen Verhalten ändern? Das bedeute aber auch nicht, dass sich die gesamte Fankultur ändern müsse. "Die Frauen, die wir interviewt haben, lieben es, zum Fußball zu gehen, weil es eine Atmosphäre gibt, in der man sich ein bisschen gehen lassen kann", sagt Wurbs. "Es ist akzeptierter, beim Fußball herumzuschreien und etwas zu trinken, als in anderen Situationen des Lebens. Und da entstehen die besten Geschichten. Genau diese Geschichten wollen wir erzählen."

Bei ihrem Klub wurden bereits große Fortschritte erzielt. Geschätzte 30 bis 35 Prozent der Fans bei den Heimspielen von St. Pauli sind Frauen. Frauen werden von Ultra Sankt Pauli (USP), der führenden Ultra-Gruppe des Klubs, sehr gerne als Mitglieder aufgenommen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der FC St. Pauli im September der erste Gastgeber beim Tour-Auftakt der Ausstellung war. "Das Interesse ist enorm", sagt Wurbs. "Wir sind seit dem Auftakt in einem Höhenflug. Wir hatten Anfragen aus ganz Deutschland und Europa. Wir haben uns nie vorgestellt, dass das so groß werden würde."

Für Dresden steht noch kein Termin fest - einige St. Pauli-Fans planen jedoch bereits eine Reaktion auf das Banner, das im Dezember gezeigt wurde. Wenn das Rückspiel im Mai stattfindet, erwägen die Ultras St. Pauli, weibliche Ultras an den Zäunen im Außenbereich zu platzieren, denn: Fußball ist auch ein Spiel der Frauen.