FC St. Pauli: seit 100 Jahren auf dem Kiez
13. Mai 2010Das beste Geschenk zum Jubiläum haben sich die Spieler selbst gemacht. Mit einem 4:1 Anfang Mai in Fürth. Als sich der FC St. Pauli nach mehreren Jahren Zweit- und Drittklassigkeit und finanziellen Engpässen in die erste Bundesliga zurück schoss. 9000 Hamburger waren nach Fürth gefahren, um ihre Mannschaft anzufeuern. "Da herrschte Heimspielatmosphäre", schwärmt ein langjähriger Fan. "Aber dafür muss man schon einige Strapazen auf sich nehmen, man ist ja nächtelang unterwegs".
Singen, Saufen, Fahnen schwenken
Kein anderer Verein hat so konditionsstarke Anhänger wie der FC St. Pauli. Und so phantasievolle obendrein. Sie trommeln und singen und denken sich immer neue Lieder aus. Manche Gruppen bringen tausende von schwarz-weißen Fähnchen mit, die sie dann an die anderen verteilen – und am Ende wieder einsammeln. Wenn St. Pauli spielt, herrscht Weltmeisterschaftsstimmung, auch wenn das Niveau oft alles andere als weltmeisterlich ist. Wenn ihre Helden nicht treffen, feiern sich die Fans eben selbst.
Vor allem zuhause im Millerntorstadion auf den Stehplätzen in der Nordkurve. Da treffen sich die treusten Gruppen zum Gucken und Trinken, Feiern und Fähnchen Schwingen. Und wenn nebenan auf dem Heiligengeistfeld gerade der "Hamburger Dom" gastiert, Kirmes oder Jahrmarkt, wie es anderenorts heißt, erlebt man ein besonderes Spektakel: den FC St. Pauli vor der Kulisse eines drehenden Riesenrads. Zu "Dom"-Zeiten soll der Verein angeblich besser spielen, der Rummel irritiere den Gegner. So das Gerücht.
Auf der Reeperbahn um die Ecke
Der Name Millerntorstadion erinnert an das ehemalige Stadttor, das passieren musste, wer einst von Westen nach Hamburg wollte. St. Pauli lag damals noch vor den Toren, es wurde erst 1894 zu einem Hamburger Stadtteil. Die Amüsiermeile Reeperbahn aber ist älter. Sie liegt nur einen Steinwurf vom Stadion entfernt und hat in der 100-jährigen Geschichte des Vereins immer eine Rolle gespielt. So wurde in der Vergangenheit auch schon mal ein Puffbesuch als Torprämie ausgesetzt.
Seit 2003 gibt es einen direkten Draht zur Reeperbahn. Seitdem Corny Littmann Präsident des FC St. Pauli ist, der einzige bekennende Homosexuelle im Profifußball. Als der Entertainer, Theaterbesitzer und Unternehmer den Posten übernahm, hatte er bereits die sündige Meile positiv aufgemischt. 1988 mit seinem Schmidt-Theater, dem drei Jahre später das Schmidts Tivoli folgte. Schwul, schrill und schräg geht es dort zu. Die Shows strapazieren gelegentlich den guten Geschmack, haben aber ein anderes Publikum auf den Kiez gelockt und mit dazu beigetragen, das alte Rotlichtviertel in eine Amüsiermeile für alle zu verwandeln. Auch den Verein hat Corny Littmann aufgemischt, raus aus Finanzkrise und 3. Liga bis hin in die A-Klasse des deutschen Fußballs.
Die Geburt des Kultclubs
Zum Kultclub geworden ist der FC St. Pauli Mitte der 80er Jahren. Da tobte im Stadtteil ein Häuserkampf. Studenten, Künstler, Punks und Links-Alternative hielten dort Wohnraum in prominenter Lage am Hafenrand besetzt. Die Stadt wollte abreißen und schicke Neunbauten hinstellen. Der Konflikt sorgte über Jahre für Randale und Schlagzeilen in ganz Deutschland. Im Kampf gegen die Gentrifizierung des Stadtteils kam es zur Verbrüderung von Hausbesetzern, Club und Fans. Torwart Volker Ippig wohnte sogar einige Zeit in der Hafenstraße.
"So wurde das ein richtiger Kiezverein", erinnert sich ein alter Hafenarbeiter, "da gibt es vom Luden bis zum Bankmenschen alles". Er hat damals mit demonstriert und besitzt seitdem eine Dauerkarte für den FC St. Pauli.
Auch der Totenkopf, der T-Shirts und andere Fanartikel ziert, geht auf das Konto der Hafenstraße. Irgendwann erschien einer mit einer Totenkopffahne im Stadion. Und was hätte besser zum Spirit des Vereins gepasst? Das Emblem erinnert an Piraten, an Klaus Störtebeker, der den Reichen das Geld wegnahm und es an Armen verteilte.
Rauer Ton, guter Kern
Die Häuser in der Hafenstraße stehen immer noch, sie wurden saniert. Und die Kämpfer von einst sind in die Jahre gekommen, ein bisschen gesetzter, aber immer noch Fans des Vereins. Auch im Millerntorstadion hat sich manches verändert. Es gibt einen VIP-Bereich mit Ledersitzen, aber auch noch die Stehplätze für die einfachen Leute. Auf die kann der Club nicht verzichten. Denn die sorgen für Stimmung und ziehen auch die anderen von den besseren Plätzen mit.
"Es macht einfach Spaß, hier im Stadion zu sein", sagt der alte Hafenarbeiter. "Hier geht es noch ein bisschen ehrlich zu, da wird nicht gedrängelt, gar nicht. Wie im Hafen, rauer Ton, aber guter Kern."
Autorin: Heide Soltau
Redaktion: Manfred Götzke
Zum Weiterlesen empfehlen wir:
Christoph Nagel und Michael Pahl: FC St. Pauli. Das Buch. Der Verein und sein Viertel. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg. 413 Seiten. 39. 95 Euro