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"Meinungsfreiheit unterdrückt"

Das Gespräch führte Jan Bruck15. November 2012

Der PEN-Club warnt zum Tag der inhaftierten Schriftsteller vor schwindender Demokratie in Europa. Auch im Rest der Welt werde die Lage für unbequeme Autoren gefährlicher.

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Sascha Feuchert, Vizepräsident des PEN-Zentrum Deutschland, Foto: Franz E. Möller
Vizepräsident des PEN-Zentrum Deutschland Sascha Feuchert QUERBild: Franz E. Möller

Seit 1980 erinnert die internationale Schriftstellervereinigung PEN (poets, essayists, novelists) am 15. November an die Schicksale von Autoren und Journalisten, die verfolgt, inhaftiert oder ermordet werden. Allein im ersten Halbjahr 2012 starben 25 Schriftsteller und Journalisten, weil sie ihren Beruf ausübten. Doch nicht nur in China oder Syrien werden Autoren von den jeweiligen Machthabern verfolgt.

Deutsche Welle: Herr Feuchert, Ihre Organisation spricht anlässlich des internationalen Tages der inhaftierten Schriftsteller von einer Entdemokratisierung Europas. Warum?

In Europa sind momentan zwei Brennpunkte zu nennen. Der eine ist sicherlich die Türkei. Wir erleben dort seit Monaten, dass Meinungsfreiheit unterdrückt wird. Die Türkei liegt momentan bei der Zahl der verfolgten Schriftsteller im internationalen Vergleich sehr weit vorne. Das zweite Land, das uns in Europa Sorgen macht, ist Ungarn. Dort gibt es zwar eine demokratisch legitimierte Regierung, trotzdem sind die Maßnahmen, die dort ergriffen werden, alles andere als demokratisch. Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit ist eben nicht ein Problem, das nur in Asien oder Afrika besteht, sondern auch vor unserer Haustür.

Tun die Politiker in Europa in Ihren Augen zu wenig gegen diese Beschneidung der Meinungsfreiheit? Ungarn ist immerhin ein Mitglied der Europäischen Union.

Die EU tut meines Erachtens zu wenig. Zwar werden die Missstände in Ungarn thematisiert, aber der Druck müsste noch viel stärker werden. Gerade weil Ungarn EU-Mitgliedsstaat ist, gäbe es da mehr Handlungsspielraum.

Sind Ihnen konkrete Beispiele der Verfolgung aus Ungarn oder aus der Türkei bekannt?

Ja, vor allen Dingen aus der Türkei. Dort werden häufig kurdische Schriftsteller verfolgt, die sich zum Beispiel zum Völkermord geäußert haben und strafrechtlich belangt wurden. In Ungarn ist es eher das allgemeine gesellschaftliche Klima, das die Regierung vergiftet. Mittlerweile sind einige Autoren so weit, dass sie sich gar nicht mehr an die Öffentlichkeit trauen.

Wie hat sich denn die Lage für verfolgte Schriftsteller und Journalisten weltweit in den letzten Jahren verändert, auch außerhalb Europas?

Inhaftierter pakistanischer Journalist, Foto: dpa
Ein inhaftierter pakistanischer JournalistBild: picture alliance/dpa

Es ist eine grausige Bilanz. Wenn man sich einmal die Statistiken des PEN anschaut, dann müssen wir feststellen, dass im ersten Halbjahr 2012 weltweit 25 Autoren und Journalisten getötet wurden, 155 ins Gefängnis kamen, 56 bedroht und 70 misshandelt wurden. Wir gehen davon aus, dass es sich bei diesen Zahlen nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Ein neues Phänomen dabei ist, dass die Meinungsfreiheit nicht nur von Regierungen unterdrückt wird, sondern auch von nicht-staatlichen Gruppierungen. In Mexiko werden Journalisten und Schriftsteller beispielsweise von der Mafia an der Ausübung ihres Berufs massiv gehindert und sogar ermordet.

Auch in China gibt es nach wie vor massive Probleme. Der berühmteste Schriftsteller, der zurzeit im Gefängnis sitzt, ist wohl der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo und wir wissen nicht mal genau wo. In unserem Programm "Writers in Exile", mit dem wir jedes Jahr fünf Stipendiaten nach Deutschland holen und eine Art Asyl gewähren, haben wir einen Journalisten aus Syrien, der dort gefoltert wurde und nur mit Mühe das Land verlassen konnte.

In Syrien und anderen arabischen Ländern gab es zuletzt zahlreiche Aktionen in sozialen Netzwerken wie Facebook, bei denen Aktivisten Aufmerksamkeit auf das Schicksal einzelner Verfolgter, zum Beispiel auch Blogger, lenken wollten. Helfen solche Aktionen?

Jede Form von Öffentlichkeit nützt. Wir sind auch seit diesem Jahr bei Facebook und Twitter vertreten und haben gemerkt, dass diese Aktivitäten stark wahrgenommen werden. Es ist im Übrigen auch etwas, das jeder Einzelne tun kann, um seine Solidarität mit Autoren weltweit auszudrücken. Öffentlichkeit herzustellen ist das Einzige, was wir tun können. Denn weltweite Aufmerksamkeit ist etwas, das diktatorische Systeme nicht mögen. Und für manchen Autoren kann die Bekanntheit im Ausland eine Art Lebensversicherung sein.

Wie bewerten Sie den Einfluss des PEN-Clubs? Können Sie etwas bewirken?

Autorenlexikaim PEN-Zentrum Darmstadt, Foto: dpa
PEN veröffentlicht halbjährlich eine Liste verfolgter AutorenBild: picture-alliance/dpa

Ich glaube schon, dass wir das können. Wir sind wie gesagt sehr darum bemüht, Öffentlichkeit herzustellen. Wir sind persönlich mit inhaftierten Autoren in Kontakt und wir haben das "Writers in Exile"-Programm. Trotzdem, mein Vorgänger Dirk Sager hat immer gesagt, PEN habe eine Aufgabe, bei der das Hemd immer zu kurz sei. Wir würden uns wünschen, dass wir noch mehr Einfluss hätten. Ich glaube, dass der PEN in den letzten Jahren an Gewicht verloren hat. Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht haben. Wir haben zum Beispiel zu lange damit gewartet, in den sozialen Netzwerken präsent zu sein. Trotzdem denke ich, dass der PEN nach wie vor eine wichtige Stimme ist und unsere Arbeit nicht sinnlos ist.

Sascha Feuchert ist Germanist an der Justus-Liebig-Universität Gießen und seit Mai 2012 Vizepräsident und Writers-in-Prison-Beauftragter des PEN-Zentrums Deutschland.