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VW-Konzernchef Diess unter Druck

Klaus Ulrich mit Agenturen
9. Juni 2020

Vorstandschef Herbert Diess wirft vor versammelter Managerriege Aufsichtsratsspitzen Straftaten vor - prompt folgt eine Diskussion über seinen Rauswurf. Bei VW brennt die Luft - wieder einmal.

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VW-Konzernchef Herbert Diess
Bild: picture-alliance/dpa/A. Hilse

VW-Konzernchef Herbert Diess gibt die Führung der Kernmarke Volkswagen an den bisherigen Co-Geschäftsführer Ralf Brandstätter ab, teilte das Unternehmen am Montagabend nach einer Sitzung des Aufsichtsrats mit. Die Marke werde ab 1. Juli von Brandstätter geführt, Ziel sei eine "stärkere Fokussierung auf die jeweiligen Aufgaben an der Spitze von Konzern und Marke in der laufenden Transformationsphase der Automobilindustrie".

Gesamtleitung: ja. Tagesgeschäft der wichtigen Hauptmarke: nein. "Der Aufsichtsrat hat dem bis dahin mächtigsten Mann der deutschen Automobilindustrie den Stecker gezogen", schreibt der Publizist Gabor Steingart. "Der Vertrag von Herbert Diess läuft noch, aber nur noch mit Notstromaggregat."

Harte Vorwürfe

Denn vor der Abgabe der Führung der VW-Kernmarke soll Diess dem Aufsichtsrat des Autobauers einem Bericht zufolge Straftaten und fehlende Integrität vorgeworfen haben. Im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden kritischer Interna bei Volkswagen  habe der Vorstandsvorsitzende in einer Managerrunde in der vergangenen Woche vor einigen Tausend Führungskräften entsprechende Anschuldigungen an einzelne Kontrolleure erhoben, meldete das "Handelsblatt" am Dienstag. Aus dem Umfeld des Konzerns hieß es, die Aussagen hätten zu beträchtlichen Irritationen geführt.

Die weiter andauernden Produktionsprobleme beim neuen Golf 8 führen zu heftigem Unmut im Betriebsrat und in Teilen der Belegschaft von Volkswagen
Die weiter andauernden Produktionsprobleme beim neuen Golf 8 führen zu heftigem Unmut im Betriebsrat und in Teilen der Belegschaft von VolkswagenBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Zuvor waren Details etwa über anhaltende Probleme in der Produktion des neuen Golf 8 und des Elektrofahrzeugs ID.3 oder Diess' angeblichen Wunsch einer frühzeitigen Vertragsverlängerung öffentlich geworden. In der Videokonferenz soll der Manager davor gewarnt haben, dass der Aufsichtsrat das Unternehmen schwäche - wobei sich die Streuung solcher Interna aus seiner Sicht bestimmten Aufsehern zuordnen ließ.

Viele Probleme bei VW

"Mir ist der Begriff 'Interna' in diesem Zusammenhang nicht klar", sagt Frank Schwope, Autoanalyst bei der NordLB gegenüber der DW. Probleme im Zusammenhang mit dem Golf 8 und dem neuen Elektroauto ID. 3 oder der angebliche Wunsch von Diess nach einer frühzeitigen Vertragsverlängerung würden auch im mittleren Management diskutiert oder im Betriebsrat. "Mir ist die Dramatik nicht bewusst, was denn da durchgestochen worden sein soll", so Schwope.

Experte Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler glaubt, dass Diess auch über ungeschickte Auftritte in der Öffentlichkeit gestolpert ist. Die Automobilindustrie habe nach der Diesel-Krise nicht den richtigen Ton gefunden, um bei der Politik Gehör zu finden. "Es fehlt ihr an der nötigen Demut und an Bescheidenheit, zumindest an der Bereitschaft, gewissen Dingen zuzuhören und dazuzulernen." 

Bereits in den vergangenen Wochen hatte es wegen Problemen beim Golf 8 und dem Elektro-Hoffnungsträger ID.3 massive Kritik an Diess gegeben. Bei beiden Modellen hatten sich jüngst Berichte über Schwierigkeiten unter anderem mit der Software gehäuft.

Der Betriebsrat hatte den VW-Vorstand deshalb scharf kritisiert. In einem offenen Brief äußerten sich die Vertrauensleute der IG Metall bei VW "massiv besorgt über die vielen vom Vorstand zu verantwortenden negativen Presseberichte über unser Unternehmen". Hierbei bezogen sich die Arbeitnehmervertreter neben den technischen Problemen auch auf "das Marketing- und Kommunikationsdesaster" rund um eine Instagram-Werbung zum neuen Golf , bei der sich VW mit Rassismusvorwürfen konfrontiert sah.

Rassismus-Vorwürfe gegen Werbevideo

Dieses "schlechte Bild in der Öffentlichkeit zerstört das über Jahrzehnte gewachsene Kundenvertrauen und gefährdet so unsere Arbeitsplätze", beklagten sie. "Außerdem leidet die ganze Belegschaft jeden Tag unter dem Verlust des Ansehens unseres Unternehmens." In dieser Situation komme es nun darauf an, "dass der Vorstand alles dafür tut, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen".

Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Produktionsstart des Elektroautos VW ID.3
Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Produktionsstart des Elektroautos VW ID.3Bild: Reuters/M. Rietschel

Doch Vorstandchef Diess reagierte nicht mit Einsicht, sondern griff seinerseits den Aufsichtsrat scharf an, bezichtigte ihn in diesem Zusammenhang sogar, mit der Weitergabe von internen Informationen Straftaten begangen zu haben. Dem Vernehmen nach sollen Teilnehmer der Sitzung, bei der er das tat, und auch Mitglieder des Kontrollgremiums schockiert von diesen Äußerungen gewesen sein. Diess habe sich anschließend entschuldigen müssen.

Bei einer sofort einberufenen Sondersitzung sei auch diskutiert worden, Diess zu entlassen, so der Bericht des "Handelsblattes". Juristische Bedenken hätten das aber verhindert, wie aus Unternehmenskreisen zu hören war.

Mächtige Eigentümer-Familien stützen Diess

Trotz der Abgabe der VW-Markenspitze und der Vorwürfe an den Aufsichtsrat stehen die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch hinter Konzernchef Herbert Diess - mahnen aber, die Baustellen bei dem Autohersteller müssten nun dringend beseitigt werden. "Herr Diess hat sich in aller Form entschuldigt, er hat dabei den gesamten Aufsichtsrat adressiert", hieß es bei den Mehrheitseignern von Volkswagen am Dienstag. "Die Kapitalseite steht weiter hinter ihm." Nun sei es höchste Zeit, zur Sacharbeit zurückzukehren.

Der VW-Konzern werde in diesem Jahr nur zwischen neun und zehn Millionen Autos verkaufen statt elf Millionen, die man möglicherweise erreicht hätte, wenn alles glatt gelaufen wäre ohne Corona, fasst Autoanalyst Schwope die Hauptursache der Probleme bei Volkswagen zusammen. Da sei es nur gut, wenn die Machtfülle des Vorstandschefs etwas beschnitten werde.

"Schlecht für Diess, aber gut für Volkswagen, um es auf eine Formel zu bringen. Klar - man nimmt nicht dem Konzern-CEO die Führung der wichtigsten Marke weg, ohne ihn zu beschädigen."