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Musik

"Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt"

Gaby Reucher
28. Oktober 2021

Richard Wagner polarisiert die Musikwelt. Und doch gibt es Tausende von Wagnerianern, die ihn weltweit verehren. Ein Film zeigt, warum das bis heute so ist.

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Axel Brüggemann steht vor einem Plakat, das Richard Wagner zeigt.
Regisseur Alex Brüggemann mit seinem Titelhelden Richard WagnerBild: Angelika Warmuth/dpa/picture alliance

Wie kann ein umstrittener Komponist und Antisemit wie Richard Wagner Menschen mit seiner Musik faszinieren, egal welcher Religion oder Kultur sie angehören? Dieser Frage ist der Regisseur und Autor Axel Brüggemann in seinem Dokumentarfilm "Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt" nachgegangen. 

Über 125 Wagnerverbände gibt es weltweit mit rund 30.000 Mitgliedern. Da ist der japanische Milliardär Koichi Suzuki, der Wagners "Parsifal" als Kinderoper inszenieren lässt, oder Scheich Zaki Anwar Nusseibeh, der Wagners Musik wegen ihrer Spiritualität liebt. Genau zwei Mitglieder hat der Wagnerverband in Abu Dhabi: den Scheich und Ronald Perlwitz, der die Konzertreihe "Abu Dhabi Classic" veranstaltet und mit denBayreuther Festspielen zusammenarbeitet. Regisseur Axel Brüggemann hat Wagnerstimmen an den verschiedensten Drehorten der Welt eingefangen, von Lettland über Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate bis in Japan und den USA.

Festspielintendantin Katharina Wagner
Katharina Wagner hat sich im Film bei ihrer Regiearbeit über die Schulter gucken lassenBild: Filmwelt Verleihagentur

Verrückt nach Wagner

Im US-amerikanischen Bundesstaat New Jersey engagierte sich der schwarze Tenor Kevin Maynor dafür, den ersten "Ring des Nibelungen" in Newark nur mit "People of Color" zu verwirklichen. "In Wagners Opern geht es um komplexe Situationen aus dem Leben: Man begehrt die Frau eines anderen, es gibt eine Art von Rassismus, und die Leute, die Macht und Reichtum haben, beachten die Armen nicht." Das seien Geschichten, die auch People of Color in seiner Gemeinde täglich erleben würden, erzählt Maynor.

"Wagners Musik ist religiös, sie verbindet sich mit dem Kosmos und mit den Worten Gottes", meint ein Wagner-Fan im Film. Ein anderer Wagnerianer sagt, er fühle sich bei Wagners Musik wohl "wie in einem Schaumbad". Und eine Frau erklärt, ein Wagnerianer sei ein Mensch, "dem das Herz höher schlägt, wenn er an den Sommer in Bayreuth denkt". "Ich wollte diese Wagnerianer, diesen Wahn zeigen, und was das mit uns Menschen heute, 2021, macht", so Autor und Regisseur Axel Brüggemann im Gespräch mit der DW.

Sänger auf der Bühne in bläulichem Licht.
Piotr Beczala in der Rolle des "Lohengrin" - das Bühnenbild in Blau entwarf der Künstler Neo RauchBild: Filmwelt Verleihagentur

Obwohl er am liebsten Mozart hört, hat auch Brüggemann ein großes Faible für Richard Wagner. "Der hat mich seit meiner Jugend begleitet." Manchmal möchte Brüggemann das gar nicht. "Weil der so groß ist und so deutsch und so problembelastet." Auch Festspielintendantin Katharina Wagner, die Brüggemann mit seinem Team hinter den Kulissen in Bayreuth begleiteten durfte, fühlt sich als Urenkelin des Komponisten nicht immer wohl. "Das Vergnügen, eine Wagner zu sein, hält sich manchmal tatsächlich in Grenzen. Man muss immer wieder gegen Vorurteile und Klischees kämpfen."

Die dunkle Vergangenheit um Wagners Musik

Wagner war bekennender Antisemit und hat seine diesbezügliche Haltung in Pamphleten veröffentlicht. Während der Hitler-Diktatur vereinnahmten die Nazis seine Musik. In Bayreuth, im Hause Wagner, sympathisierten Sohn Siegfried und dessen Frau Winifred mit dem NS-Regime. "Der war Unsympath, ein Antisemit, der hat seine Frauen betrogen. Und trotzdem verfallen wir seiner Musik", sagt Brüggemann.

Der Musikjournalist hat dem Thema Antisemitismus in seinem Film ein großes Kapitel gewidmet. In Israel sind Aufführungen von Wagners Musik bis heute unerwünscht. Doch selbst dort gibt es einen Richard-Wagner-Verband, gegründet von Jonathan Livny. Sein Vater war als Jude vor den Nazis geflohen. Im Gepäck hatte er 78 Schallplatten, die meisten mit Musik von Richard Wagner. Seine Liebe zu Wagners Musik hat er an den Sohn weitergegeben.

Wagners Antisemitismus wirkt bis heute

Außer Livnys Vater hat keiner der Familie den Holocaust überlebt. Jonathan Livny erinnert sich im Film an das beklemmende Gefühl, als er das erste Mal in Bayreuth war: Von einem Foto kannte er das Fenster, an dem Hitler gestanden hatte, während ihm die Menge zujubelte. Als sich die Türen im Konzertsaal mit einem Ruck schlossen, musste Livny unwillkürlich an die Konzentrationslager denken. Doch von Hitler wolle er nicht seinen Musikgeschmack beeinflussen lassen, sagt er. "Es wird noch einige Generationen brauchen, bis wir in der Lage sind, das Erbe des Hasses von dieser wunderbaren Musik zu trennen."

Die Menge umringt eine Figur mit übergroßem Kopf, grimmigem Geschichtsausdruck, krummer Nase, Bart und Kippa auf dem Kopf.
Barrie Kosky inszenierte Wagners "Meistersinger" mit Anspielung auf Klischees über JudenBild: Bayreuther Festspiele/E. Nawrath

Obwohl viele Wagnerianer sagen, man müsse die Musik Wagners von seiner antisemitischen Haltung trennen, hat US-Regisseur Barrie Kosky genau das Gegenteil getan. In einer vielgelobten Inszenierung der "Meistersinger" 2017 in Bayreuth spielte er explizit mit den Klischees über Juden. Man müsse Wagners Stücke im Zusammenhang mit dem allgemeinen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts sehen, meint Kosky. Wagner sei nicht verantwortlich für das Dritte Reich, aber: "Wenn ein Nicht-Jude, ein Deutscher, zu mir sagt: 'Hey, Kosky, das Stück ist nicht antisemitisch', sage ich: Sie entscheiden nicht ob das Stück antisemitisch ist. Ich sage Ihnen als Jude, dass ich das Stück antisemitisch finde."

Bayreuth hinter den Kulissen

Axel Brüggemann hat in den drei Jahren seines Filmprojektes hauptsächlich in Bayreuth gedreht. Er zeigt die Arbeit hinter den Kulissen und lässt Dirigenten genauso zu Wort kommen wie Bühnenarbeiter und Nachtwächter. Dirigent Christian Thielemann, der lange Zeit Musikdirektor in Bayreuth war, erklärt zum Beispiel den einzigartigen Orchestergraben mit seiner differenzierten Akustik, für die Bayreuth berühmt ist.

Der russische Dirigent Valery Gergiev hat in Bayreuth den Tannhäuser inszeniert. Er sieht in Wagner einen großen Neuerer der klassischen Musik. "Was am Ende zählt, ist sein unglaublicher Einfluss auf die Musikgeschichte", sagt er. Wagner verwirklichte zum Beispiel im eigenen Festspielhaus seine Idee vom Gesamtkunstwerk, bei dem Musik, Text, Bühnenbild, Architektur und Kostüme aus einer Hand kommen, vorzugsweise aus seiner Hand.

Wagner verstehen und genießen

Brüggemann kommentiert seine Protagonisten nicht, er stellt sie gegenüber. Alex Ross, Musikwissenschaftler und Wagnerexperte, erklärt die Wagner-Welt und ordnet sie ein. Ganz bodenständig ist dagegen das Metzger-Ehepaar Rauch, das immer wieder auftaucht - mit Erinnerungen an vergangene Zeiten und ganz persönlichen Musikerlebnissen. Das Paar ist Brüggemann besonders ans Herz gewachsen. "Die reden so schön über Wagner, dass es jeder versteht. Und sie erklären die Musik vielleicht sogar besser als ein Dirigent."

 Ulrike und Georg Rauch
Seit Jahrzehnten Wagnerfans: das Ehepaar Ulrike und Georg RauchBild: Filmwelt Verleihagentur

Wegen der Corona-Pandemie konnte Regisseur Axel Brüggemann nicht an allen Drehorten persönlich dabei sein. Seine geplante Weltreise in die verschiedenen Länder musste er aufgeben und engagierte stattdessen Filmteams vor Ort. Mit dem fertigen Film im Gepäck will der Regisseur die Reise aber auf jeden Fall nachholen und das Werk in Ländern, aus denen die Protagonisten kommen, persönlich präsentieren. "Wir werden nach Tokio fliegen, nach Abu Dhabi und wir werden auf jeden Fall nach Israel fahren und in Riga sein. Das ist der feste Plan, allen Protagonisten irgendwann die Hand zu schütteln."

In Deutschland und anderen europäischen Ländern startet der Dokumentarfilm von Alex Brüggemann am 28. Oktober 2021.