Finnland im Glücksrausch
20. März 2024Finnland, immer wieder Finnland. Wenn unabhängige Wissenschaftler jedes Jahr den "Weltglücksbericht" im Auftrag der Vereinten Nationen veröffentlichen, dann liegt das Land meistens vorn, so auch dieses Jahr. Rang eins bis vier sind von nordeuropäischen Nationen belegt.
Wissenschaftler aus der ganzen Welt haben an dem Report mitgearbeitet. Die Basis bilden Umfragen des Instituts Gallup, einem der weltweit führenden Meinungsforschungsinstitute mit Sitz in den USA.
Warum also immer wieder Finnland? "Wir Finnen haben im Allgemeinen sehr niedrige Erwartungen", erklärt Dan Ekholm von der finnischen Botschaft in Berlin der DW. "Der Vorteil: Man kann viel leichter positiv überrascht werden. Auf Finnisch sagen wir deshalb: Der Pessimist wird nicht enttäuscht!"
Als Indikator für das Glücksempfinden nehmen die Experten der Vereinten Nationen unter anderem das Bruttoinlandsprodukt eines Landes Pro-Kopf. Auch die Lebenserwartung ist wichtig, und die Selbsteinschätzung der Menschen zu ihrer Lebenszufriedenheit und ihrem sozialen Umfeld.
Dazu, wieviel Unterstützung sie in schwierigen Phasen erhalten. Und in diesem Jahr ganz besonders: Wie glücklich sind die Menschen in den verschiedenen Altersstufen?
Jung ist glücklich, alt eher nicht? Stimmt so nicht
Lange Zeit galt es als wissenschaftliche Konsens, dass Junge Menschen glücklicher seien, weil sie das Leben noch vor sich haben, Pessimismus und geringeres Glück nähmen mit dem Alter zu. Aber mittlerweile gilt: Glück kann man in allen Lebensphasen empfinden, es wandelt sich nur ständig, was die Menschen darunter verstehen.
Genau das berücksichtigt der Report nun. Und schon ergibt sich ein differenzierteres Bild im Ranking: Litauen führt die Liste der glücklichen Kinder und Jugendlichen unter 30 Jahren an, während Dänemark die glücklichste Nation der Welt für die über 60-Jährigen ist. Das ist auch der Grund, warum Dänemark fast zum langjährigen Sieger Finnland aufgeschlossen hat. Am Ende der Tabelle von 143 Ländern liegt Afghanistan.
Deutschland und die USA verlieren an Boden
In Deutschland sind die Menschen nicht unglücklicher als in den vergangenen Jahren, aber andere Länder sind vorbeigezogen. So bleibt für Deutschland Rang 24 nach Rang 16 im Jahr zuvor.
Ähnliches gilt für die USA auf Platz 23. Die Vereinigten Staaten sind zum ersten Mal nicht mehr unter den glücklichsten 20 Ländern der Welt vertreten. Denn auch dort ist das Wohlbefinden junger Menschen unter 30 Jahren im Vergleich zu anderen Ländern stark zurückgegangen.
Der Glücksreport wird seit 2012 jedes Jahr neu erstellt. Damals ernannten die Vereinten Nationen den 20. März zum Weltglückstag. Die Idee dazu kam aus dem südasiatischen Kleinstaat Bhutan. Dort wird nicht nur das Bruttosozialprodukt gemessen, sondern auch das Bruttonationalglück.
Großzügigkeit macht glücklich
Also, was ist los in Deutschland? Müssten die Menschen hier nicht glücklicher sein, in einem der reichsten Länder der Welt? Anruf bei Hilke Brockmann. Sie ist Professorin für Soziologie an der privaten "Constructor University" in Bremen. Und sie forscht schon lange über das menschliche Glück.
Nach ihrer Einschätzung könnte das zuletzt magere Wirtschaftswachstum dazu beigetragen haben, dass Deutschland im Glücks-Ranking abgerutscht ist: "Was man auch noch berücksichtigen muss, ist, dass der deutsche Staat nicht besonders generös ist. Die Austeritätspolitik, die in Deutschland betrieben wird, ist sicherlich nicht besonders glücksfördernd". Und das Nichtfunktionieren von öffentlicher Infrastruktur trägt auch nicht unbedingt zum Glück bei.
Das Glück in Skandinavien führt sie vor allem auf eines zurück: Die großzügigen Wohlfahrtsstaaten dort: "Das schafft auch eine Art Grundsolidarität, die vielleicht in so konservativen Wohlfahrtstaaten wie Deutschland doch ein wenig fehlt."
Der Krieg und die deutsche Geschichtserfahrung
Tatsächlich stammen die Daten des Glücksreports 2024 aus den Jahren 2021 bis 2023. Also einem Zeitraum, in dem die Corona-Pandemie noch bestimmend war und Russland die Ukraine überfiel.
Brockmann zur DW: "Vielleicht reagiert die deutsche Öffentlichkeit viel sensibler auf den Ausbruch des Krieges als andere Bevölkerungen aufgrund unserer Geschichte." Deutschland habe durch zwei verlorene Weltkriege eine spezielle Geschichtserfahrung. "Das prägt ein Gemeinwesen. Vielleicht resultiert daraus auch diese German Angst."
Auch dafür, dass insgesamt in allen Ländern eher junge und alte Menschen Glück empfinden, hat die Forscherin eine, wenn auch vorsichtige Antwort: Es könne sein, dass viele Menschen in der Mitte des Lebens die Erwartungen, die sie am Anfang des Erwachsenenlebens hatten, als nicht ganz erfüllt ansähen.
Und: "Auch ganz wichtig für das Wohlbefinden sind Lebenspartner", so Brockmann. In der Lebensmitte seien "diese Partnerschaften dann meist schon etwas älter, und sie müssen sich dann auch viel mit dem Alltag auseinandersetzen. Das macht auch nicht immer glücklich."
Ein Mietvertrag mit 19 Seiten
Alles einleuchtend, aber zurück zu den Finnen. Botschaftsrat Dan Ekholm denkt über die Frage nach, was die Finnen besser machen als die Deutschen. Und sagt dann: "Das Vertrauen zwischen den Menschen ist wirklich wichtig. Alles wird einfacher, schneller und effizienter und weniger bürokratisch, wenn es Vertrauen gibt. Ein Beispiel: Als ich nach Deutschland kam, musste ich einen Mietvertrag unterschreiben, der 19 Seiten umfasste. In Finnland wäre es nur eine Seite."
Und den Deutschen gibt der finnische Botschaftsrat dies mit auf den Weg: "Nicht immer den angeblich guten, alten Zeiten nachhängen! Weniger Bürokratie! Mehr in der Natur sein und natürlich: Saunen!" Manchmal braucht es offenbar wirklich nicht viel, um glücklich zu sein.