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Ein Leben in der Warteschleife

Carla Bleiker23. Oktober 2013

Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt und Asyl beantragt, muss sich auf eine lange Wartezeit und viele Beschränkungen einstellen. Gegen diesen Umgang mit oftmals Hilfe suchenden Menschen regt sich Protest.

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Flüchtlinge und Unterstützer räumen am 19.10.2013 in Berlin ihr Camp am Pariser Platz. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Zehn Tage lang haben sie nichts gegessen, die rund 25 Flüchtlinge, die vor dem Brandenburger Tor in Berlin zelteten. Den Hungerstreik haben sie erst einmal aufgegeben, aber ihre Forderungen noch lange nicht. Die Hälfte von ihnen wartet derzeit auf die Bearbeitung ihres Asylantrags.

Die Protestierenden sind nun in einer Kirche im Berliner Stadtteil Kreuzberg untergebracht. Einige von ihnen kommen aus Bayern und hatten dort bereits gegen die geltende Flüchtlingspolitik protestiert. Und auch in Hamburg gehen Flüchtlinge und Unterstützergruppen auf die Straße. Sie alle fordern, dass die Bedingungen für Asylbewerber in Deutschland besser werden.

Leben im Schwebezustand

Ein Flüchtling, der Asyl beantragt, muss sich auf eine lange Wartezeit einstellen. Die Bearbeitung eines Asylantrags dauere zurzeit knapp acht Monate, sagt Katrin Hirseland, Pressesprecherin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der DW. Einzelfälle könnten wesentlich schneller über die Bühne gehen oder erheblich länger dauern. Und danach ist ein Leben in Deutschland keinesfalls garantiert. Im ersten Halbjahr 2013 erlaubte das Bundesamt einem Drittel der Bewerber einen langfristigen Aufenthalt in Deutschland - die anderen Anträge auf Asyl wurden abgelehnt.

Während des Wartens auf die Entscheidung des Bundesamts verharrt das Leben der Flüchtlinge im Stillstand. In den ersten neun Monaten darf ein Asylbewerber keine Arbeit annehmen und in Bundesländern wie Bayern oder Sachsen nicht den Landkreis verlassen, dem er zugeteilt wurde. In anderen Bundesländern ist die Residenzpflicht, also die Pflicht, immer da zu bleiben, wo man untergebracht wurde, weniger streng. Aber auch dort dürfen die Asylbewerber höchstens ins Nachbarland reisen, also zum Beispiel von Niedersachsen nach Bremen.

Grüne wollen Asylrecht ändern

Für Flüchtlinge, die in Deutschland nur noch geduldet sind, gelten weitreichendere Regeln. Das sind Menschen, deren Asylantrag das Bundesamt abgelehnt hat, die aber von der Ausländerbehörde im für sie zuständigen Bundesland noch nicht ausgewiesen wurden. Das kann daran liegen, dass sie zu krank sind, um zu reisen, oder die Situation in ihrem Heimatland zu gefährlich ist. Die Geduldeten haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Essen oder Hygieneprodukte wie Shampoo können sie mancherorts nur mit Wertgutscheinen kaufen, andere erhalten eine kleine Summe Geld vom Staat. Außerdem müssen sie ihre Duldung schlimmstenfalls alle sechs Monate neu beantragen. In jedem Fall aber sollen sie Deutschland so bald wie möglich verlassen. Das macht ihre Integration so gut wie unmöglich.

Grünen Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, spricht am 19.10.2013 auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Partei Bündnis90/Die Grünen im Velodrom in Berlin. (Foto: Michael Kappeler/dpa)
Göring-Eckardt: Deutsche Asylpolitik ist absurdBild: picture-alliance/dpa

Der Umgang mit Flüchtlingen stößt bei Politikern der Opposition und Hilfsorganisationen auf Kritik. "Wir müssen in Deutschland anders mit Flüchtlingen umgehen", sagt Katrin Göring-Eckhardt, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Die Residenzpflicht, die Flüchtlinge davon abhalte, Freunde oder Familie zu besuchen, bezeichnete sie im Gespräch mit einem Berliner Radiosender als "völlig absurd". Das Arbeitsverbot wolle ihre Partei ebenfalls abschaffen, und sieht dafür auch Rückhalt in der Bevölkerung. "Viele Leute bei der Handwerkerschaft beispielsweise sagen: Natürlich hätten wir Arbeit für Menschen, die teilweise Fachkräfte sind, die hierher kommen."

Ein geretter Flüchtling verlässt ein Schiff der maltesischen Armee mit seinem Kind auf dem Arm. (Foto: REUTERS/Darrin Zammit Lupi)
Hunderte von Flüchtlinge mussten allein im Oktober aus dem Mittelmeer gerettet werdenBild: Reuters

Anderer Status für syrische Flüchtlinge

Volker Beck, Bundestagsabgeordneter der Grünen, ist ebenfalls nicht zufrieden damit, wie das Bundesamt mit Flüchtlingen umgeht. "Es wäre wichtig, dass das Bundesamt etwas genauer hinschaut, wie die Menschenrechtslage in bestimmten Ländern ist", bevor es Asylanträge ablehne, fordert er. Der Grüne wünscht sich eine großzügigere Anerkennungspraxis. Denn das deutsche Asylsystem sei "sehr stark geprägt von einer Abwehrtendenz", sagt Beck im Gespräch mit der DW.

Bei Sondierungsgesprächen für eine mögliche Koalition mit der CDU/CSU machten sich die Grünen für Änderungen im Asylgesetz stark. Und zu ihrem Parteitag hatte die Partei Flüchtlinge aus einem Protestlager vom Berliner Oranienplatz eingeladen. Besser als die Flüchtlinge, die in Berlin in Zeltlagern ausharren, haben es die Menschen, die im Rahmen des von der Bundesregierung bewilligten Kontingents aus Syrien nach Deutschland kommen. Die 5000 Syrer erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung für zwei Jahre und dürfen sofort arbeiten und reisen. Sie bilden jedoch nur eine kleine Gruppe im Vergleich zu den mehr als 100.000 Asylbewerbern, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für 2013 vorhersagt.

Die umstrittene Dublin II-Verordnung

Auf europäischer Ebene ist das Flüchtlingsthema in aller Munde, seit Anfang Oktober mehr als 300 Flüchtlinge vor der italienischen Insel Lampedusa starben, weil ihr Boot kenterte. Die, die es lebend an Land schafften, werden in Italien Asyl beantragen müssen. Laut der "Dublin II-Verordnung" dürfen sie nicht nach Deutschland kommen, auch wenn sie Verwandte hier haben. Das EU-Gesetz besagt, dass Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, in dem sie ankommen.

Portrait Marei Pelzer. (Foto: M. Pelzer, Pro Asyl)
Pelzer: Regierungen müssen Verantwortung übernehmenBild: Pro Asyl

"Die Dublin-Verordnung kritisieren wir seit Jahren sehr stark, weil sie dazu geführt hat, dass Flüchtlinge in Europa immer wieder hin und her geschoben werden", sagt Marei Pelzer, Referentin bei der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. Regierungen könnten so die Verantwortung von sich weisen.

Nach der Lampedusa-Katastrophe bemängelten Kritiker der europäischen Flüchtlingspolitik außerdem, dass die Länder an den Außengrenzen Europas mit der Flüchtlingsfrage allein gelassen würden, während die Staaten in Nord- und Westeuropa sich zurücklehnen könnten.

77.500 Asylanträge in Deutschland

"Da sprechen die Zahlen einfach gegen diese Kritik," sagt Katrin Hirseland vom Bundesamt. "Wir hatten im letzten Jahr gut 330.000 Asylbewerber in der EU. Die meisten davon hat Deutschland aufgenommen." 77.500 Menschen beantragten demnach 2012 in Deutschland Asyl, das sind 23 Prozent. Auf Platz zwei folge Frankreich, dann Schweden. All diese Länder, darauf weist Hirseland hin, hätten keine EU-Außengrenzen. Und Italien? Dort beantragten ihren Angaben zufolge 15.700 Flüchtlinge Asyl. Und damit liege der Küstenstaat sogar noch hinter Österreich.

Die Flüchtlinge aus dem Protestcamp vor dem Brandenburger Tor wollen indes weiter für eine andere Flüchtlingspolitik protestieren. Den Hungerstreik wollen sie Mitte Januar 2014 wieder aufnehmen, kündigten sie an.