Flutkatastrophe in Valencia: Kam die Warnung zu spät?
1. November 2024In der spanischen Provinz Valencia türmen sich die Autos, Rettungskräfte suchen nach Vermissten und versuchen Straßen wieder nutzbar zu machen. Manche Anwohner versuchen zu retten, was zu retten ist, andere verlassen die am schwersten betroffenen Gebiete. Viele suchen Unterschlupf bei Freunden und Verwandten. Für Menschen, deren Wohnung die Fluten zerstört oder unbewohnbar gemacht haben, hat die Regionalregierung der Comunitat Valenciana Notunterkünfte eingerichtet.
Die Überschwemmungen im Südosten Spaniens, von denen auch Gebiete der autonomen Regionen Andalusien, Castilla-La Mancha und Murcia betroffen sind - gelten schon jetzt als die schlimmsten des Jahrhunderts. Nach Behördenangaben sind mehr als 200 Menschen gestorben, die meisten in Valencia. Erst am Donnerstagnachmittag wurde die höchste Alarmstufe für alle Regionen auf "orange" oder "gelb" herabgestuft. Seit Dienstag hatte in der Comunitat Valenciana die höchste Warnstufe "rot" gegolten.
Haben die Behörden die Bevölkerung zu spät gewarnt?
Nun mehren sich Stimmen, die den Behörden vorwerfen, sie hätten zu spät Alarm geschlagen. Nach übereinstimmenden Berichten sendete der regionale Katastrophenschutz der Comunitat Valenciana seine Warnung erst am Dienstag gegen 20 Uhr per ES-Alert an die Handys in der Region. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 48 Stunden mit teils heftigen Niederschlägen im Südwesten Spaniens vergangen - auch in Valencia. Kleine Flüsse waren über die Ufer getreten und Straßen wurden überschwemmt.
ES-Alert ist die spanische Version des europäisches Systems EU-Alert, mit dem Behörden die Bevölkerung im Katastrophenfall Warnungen auf Mobiltelefone in einem gestimmten Gebiet schicken können, ohne die Telefonnummern zu benötigen.
Regionalpräsident Mazón beharrt darauf, dass der Alarm in Übereinstimmung mit den geltenden Protokollen zur Benachrichtigung der Bevölkerung gesendet wurde. Am Mittwoch postete er ein Video auf X (s.o.), in dem der Feuerwehrchef von Valencia, José Miguel Basset, dies bestätigt und zu bedenken gibt, dass solche Warnungen an Tausende Menschen gehen und dementsprechende Vorsicht geboten sei, um Überreaktionen zu vermeiden.
Alarm der Warnstufe "rot" kam erst nach Überschwemmungen
Schwere Regenfälle sind im sonst weitgehend trockenen Klima Spaniens keine Seltenheit. Insbesondere im Südosten sorgt die "Kaltlufttropfen" (Spanisch: Gota fría, oder: DANA) genannte Wetterformation häufig für extreme Niederschlagsmengen. Obwohl seit vielen Jahrzehnten bekannt, gibt sie Meteorologen noch Rätsel auf, erklärt Andreas Walter vom Deutschen Wetterdienst (DWD): "Prinzipiell sind Kaltlufttropfen in den Modellen zu sehen. Die Auswirkungen - wo genau die Niederschläge fallen und wie stark - sind jedoch oft nur wenige Stunden vor dem Ereignis genauer abzuschätzen."
Dies spiegelt sich auch in den Warnungen der Staatlichen Meteorologieagentur (AEMET) wider. Bereits für das letzte Wochenende waren starke Regenfälle im gesamten Süden des Landes angekündigt. Seit Samstag haben die Meteorologen ihre Vorhersagen und Unwetterwarnungen für die verschiedenen Gebiete immer wieder angepasst und präzisiert. Einzelne Kommunen in der Comunitat Valenciana sagten für Dienstag den Unterricht ab.
Am Dienstagmorgen stuft das AEMET die Warnung für die Provinz Valencia von "orange" auf die höchste Stufe "rot" hoch, um 7:47 Uhr übernimmt auch die Regionalregierung laut der spanischen Zeitung "La Razón" diese Einordnung. Etwa eine Stunde später rät die Notfallzentrale (Emergencia 112), von Autofahrten abzusehen, die nicht unbedingt erforderlich sind. Doch das Leben geht weitgehend seinen normalen Lauf, berichten Lokalreporter.
Kurz vor Mittag geht eine Warnung an die Bewohner der Städte entlang des Rio Magro, der die Provinz Valencia von West nach Ost durchfließt: Man solle sich dem Fluss nicht nähern, da er über die Ufer treten könne. Die Notfallzentrale der Comunitat Valenciana twittert zu dieser Zeit auf ihrem X-Account bereits unentwegt Updates und Warnungen zu den Unwettern. Um kurz vor 16 Uhr postet sie ein Video, in dem zu sehen ist, wie schlammige Wassermassen Straßen in der Weinregion Utiel-Requena am Oberlauf des Rio Magro überströmen und Autos mit sich reißen. Die ES-Alert-Meldung steht weiterhin auf "orange".
Erinnerungen an die Überflutung des Ahrtals werden wach
Deutsche Regionalpolitiker trafen nach der desaströsen Unwettern in Rheinland-Pfalz im Jahr 2021 ähnliche Vorwürfe. Damals verloren 141 Menschen ihr Leben, fast 800 wurden verletzt. Rund 500 Gebäude wurden zerstört, weitere 2500 beschädigt. Besonders stark betroffen war das Tal des Rhein-Nebenflusses Ahr.
"Um einen Vergleich zur Ahrtalflut herstellen zu können, benötigen wir zunächst noch weitere Datensätze aus Spanien", erklärt DWD-Experte Walter. "Es zeigt sich jedoch offenbar schon jetzt, dass die in Spanien gefallenen Regenmengen weit über den damals im Ahrtal gefallenen Mengen liegen."
Doch es nicht allein die Niederschlagsmenge macht Starkregen zu einer Katastrophe, sagt Walter: "Wären beispielsweise bei dem Ereignis im Ahrtal die Niederschläge nur etwas weiter nördlich gefallen, wären nicht solch katastrophale Folgen eingetreten." Dort liegt die Köln-Bonner Bucht, eine weitgehend flache Landschaft, in der sich Niederschläge nicht wie in der engen Sohle des Ahrtals zu einer metertiefen Flut sammeln können.
Wie die Ahr füllt sich auch der Rio Magro (Deutsch: "Dünner Fluss") regelmäßig bei ausgiebigem Regen. Im Jahresmittel führt er jedoch nur rund zehn Prozent so viel Wasser wie die Ahr. Die Lage in Valencia zeigt, welch zerstörerische Kraft selbst solch ein beschauliches Flüsschen bei extremem Regen entfalten kann.
In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass am Sonntag vor der Überschwemmung ein Testlauf für den Telefonalarm durchgeführt worden sei. Dieser Test fand jedoch am 27.10.2022 statt, nicht 2024. Wir entschuldigen uns für den Fehler.