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Werben für Kompromiss

16. Juni 2015

Alle reden von Verantwortung und Solidarität. Doch die EU-Innenminister kommen einer Lösung des Flüchtlingsproblems nicht näher. Eine obligatorische Aufnahmequote scheint dabei ohne Chancen. Von Barbara Wesel, Luxemburg.

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Flüchtlingle an der italienisch-französischen Grenze - Foto: Jean Christophe Magnene (AFP)
Bild: Getty Images/AfpJ.C. Magnenet

"Sie sehen hier drei Freunde", sagte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve, als er gemeinsam mit seinem italienischen Kollegen Angelino Alfano und dem Deutschen Thomas de Maizière vor die Presse trat. Die drei haben beschlossen, ihre Interessen gegenüber den übrigen EU Ländern gemeinsam zu vertreten. Eine gute Strategie um anderen zumindest Teilzugeständnisse abzuringen, obwohl die Interessen untereinander durchaus unterschiedlich sind. Dabei verzichtete der Italiener hier auf jedes Drohszenario, wie es zuvor noch von seinem Regierungschef Matteo Renzi ausgemalt worden war. Es könne keine Rede davon sein, dass Italien Flüchtlingen vorübergehende Aufenthaltserlaubnisse ausstellen wolle, mit denen sie dann in den Rest Europas weiter reisen könnten, so Alfano. Das sei in der Presse total verzerrt dargestellt worden. Klar ist, Italien sucht jetzt Kooperation statt Konfrontation mit den großen Partnern.

Von dem Vorschlag allerdings, den die EU-Kommission angesichts der Flüchtlingskrise im Mittelmeer vorgelegt hatte, wird nicht viel bleiben: Sie sollte die Mitgliedsländer verpflichten, anhand einer obligatorischen Quote wenigstens die 40.000 Flüchtlinge aufzunehmen, die sich schon in der EU befinden. Die sitzen vor allem in Italien und in Griechenland. Bei dem Wort "obligatorisch" allerdings gingen in den meisten Hauptstädten die Rollläden herunter. Großbritannien, Dänemark und Irland machten sofort von ihren Opt-outs Gebrauch, die meisten Osteuropäer sagten einfach Nein. Und andere, wie etwa Spanien, waren unzufrieden mit dem Schlüssel zur Verteilung. Dabei müsse etwa die Zahl der Arbeitslosen stärker berücksichtigt werden, monierte die Regierung in Madrid. Der Kommissionsvorschlag schien tot, bevor die Gespräche überhaupt begonnen hatten.

Details noch völlig vage

Nach ein paar Stunden Verhandlung in Luxemburg aber waren zumindest die großen Drei etwas optimistischer, dass man sich auf gewisse Lösungswege einigen könne. Eines der häufigsten Schlagwörter dabei war "Hotspots". Damit sind Aufnahmelager gemeint, die im Süden Italiens und in Griechenland eingerichtet werden sollen. Dort soll unter anderem die EU-Kommission der jeweiligen Regierung dabei helfen, die Lager zu betreiben, die Flüchtlinge zu registrieren und jene auszusortieren, die erkennbar aus wirtschaftlichen Gründen über das Mittelmeer gekommen sind. Mithilfe der Grenzschutzagentur Frontex - so die Pläne weiter - will man dann Flüchtlinge ohne Asylanspruch umgehend in ihre Heimatländer zurückbringen.

Innenminister Angelino Alfano, thomas de Maizière und Bernard Cazeneuve - Foto: Barbara Wesel (DW)
Innenminister Alfano, de Maizière und Cazeneuve: "Sie sehen hier drei Freunde"Bild: DW/B. Wesel

Alle Details sind dabei noch völlig vage: Woher kommt das Personal zum Betrieb dieser Lager? Wie können dort Asylentscheidungen getroffen werden, die rechtlichen Kriterien genügen? Wie kann die Rückführung in Heimatländer aussehen, die ihre Bürger nicht zurücknehmen wollen? Was tun mit Flüchtlingen, die in Erwartung einer möglichen Ausweisung ihre Pässe wegwerfen?

Diese ganze Diskussion ist in der Europäischen Union nicht neu und ist dabei noch nie in die Nähe einer Lösung gekommen. Allerdings war auch noch nie der Druck durch die Menge der Flüchtlinge aus den Krisengebieten Nordafrikas so groß. Derzeit haben etwa 60 Prozent der in Südeuropa eintreffenden Menschen Anspruch auf Schutz, vor allem Syrer, Eritreer, Sudsudanesen und Iraker aus vom IS besetzten Gebieten. Sie müssten zumindest anhand freiwilliger Aufnahmequoten in der EU verteilt werden, so schlagen jetzt Frankreich, Italien und Deutschland vor. An dem Punkt sind auch einige Länder wie zum Beispiel Polen kompromissbereit. Wenn man darüber entscheiden könnte, welche und wie viele Flüchtlinge man jeweils aufnehmen wolle, seien auch sie willens mitzumachen.

Beschlüsse zur "gesamten Flüchtlings-Agenda"

Entlang dieser Linien wollen die Minister nun weiter verhandeln, das Problem wird in der nächsten Woche auch Thema beim Gipfeltreffen der Regierungschefs sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach bereits davon, dass man Lösungen zu einer gerechten Verteilung finden müsse. Allerdings brauche man Beschlüsse zur gesamten Flüchtlings-Agenda, die von der Stabilisierung gewisser afrikanischer Länder, über den Kampf gegen Schlepper bis zur notwendigen Aufnahme von Kriegsflüchtlingen reicht.

Polizeieinsatz am Grenzübergang Ventimiglia-Menton - Foto: Sebastien Nogier (EPA)
Polizeieinsatz am Grenzübergang Ventimiglia-Menton: Schengen-Regelung in GefahrBild: picture-alliance/dpa/S. Nogier

In Fundamentalopposition befindet sich weiter Großbritannien. Zwar betont auch die britische Innenministerin Theresa May, die Welt und Europa stünden vor einer nie gesehenen Flüchtlingskrise. Dieser Satz war bei dem Ministertreffen übrigens in allen Sprachen zu hören. Gleich danach aber begann der Abwehrkampf: May sprach so, als ob das ganze Drama ihr Land überhaupt nichts anginge. "Wir müssen gegen die Schleuderbanden kämpfen, und wir müssen die Menschen nach Nordafrika und in ihre Heimatländer zurückbringen", war alles, was von ihr zu hören war. Großbritannien engagiere sich in der Seenotrettung und verweist auf seine Entwicklungshilfe. Die Aufnahme von Flüchtlingen mit Quote oder ohne kommt für sie nicht infrage.

"Transitraum" für Tausende von Flüchtlingen

Sorgen machten sich hier mehrere europäische Innenminister über die Zukunft des freien Grenzverkehrs. Nach Berichten über wieder eingeführte Kontrollen in verschiedenen EU Ländern ermittelt inzwischen die Kommission in Brüssel. Nach dem Schengen Abkommen sind nämlich systematische Kontrollen verboten. "Wir kontrollieren nicht die Grenzen, sondern den Grenzraum", erklärte dazu zum Beispiel die Vertreterin aus Österreich, Johanna Milk-Leitner. Sie klagte, dass ihr Land zu einer Art Transitraum für Tausende von Flüchtlingen geworden sei, die über die Balkanroute kommen. Auch Jean Asselborn aus Luxemburg sieht die Schengen-Regelung in Gefahr: Wenn einzelne Mitgliedsstaaten jetzt systematisch mit Grenzkontrollen versuchten, Flüchtlinge abzuwehren, sei die Bewegungsfreiheit aller EU-Bürger gefährdet und damit auch eine der zentralen Freiheiten der Europäischen Union.

Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve blieb an dem Punkt vage. Angesichts der dramatischen Lage am italienisch-französischen Grenzübergang Ventimiglia-Menton steht er gerade im Mittelpunkt der Kritik. Cazeneuve jedoch zieht sich auf die Regeln von "Dublin II" zurück. Es gebe keine Blockade der Grenze vonseiten Frankreichs, es müsse eben jeder Flüchtling in dem Land Asyl beantragen, wo er zuerst lande. Von dieser längst unzweckmäßig gewordenen Regel will übrigens auch sein deutscher Kollege de Maizière nicht Abstand nehmen. Würde man zugeben, dass das Prinzip längst untauglich ist, könnte man die Diskussion über völlig neue Regeln für Migranten und Asylbewerber nicht länger abwehren.